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Neuer Eminem-Song: Warum „Slim Shady“ langsam stirbt

Bekannt wurde er mit Humor und ohne Fünftagebart: Eminem provozierte sich um die Jahrtausendwende in die Herzen von Rap-Fans und Mittelstandskids. Jetzt schickt er seine Kunstfigur Slim Shady gegen Cancel Culture in den Ring.
Bekannt wurde er mit Humor und ohne Fünftagebart: Eminem provozierte sich um die Jahrtausendwende in die Herzen von Rap-Fans und Mittelstandskids. Jetzt schickt er seine Kunstfigur Slim Shady gegen Cancel Culture in den Ring.Mark J. Rebilas
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Der Ex-Skandalrapper Eminem holt sein politisch unkorrektes Alter Ego aus der Mottenkiste. Das weckt, wie so oft beim 51-jährigen Star, zwiespältige Gefühle.

Raten Sie mal, wer wieder da ist! Demi Moore? Die Eistorte Viennetta? Ja, die auch. Aber welcher Popkultur-Held der späten Neunziger- und frühen Nullerjahre fehlte bislang im großen Revival-Fieber der Gegenwart? Genau: Eminem! Klar, wirklich weg war der berühmte (Ex-)Skandalrapper nie. Seit 2010 hat er fünf Alben veröffentlicht. Wer sich aber sehr wohl absentiert hat, ist das Alter Ego, das ihm seine größten Erfolge bescherte: Slim Shady, der böse Spitzbub und Bürgerschreck, dessen kunstvoll goscherte Reime zartes Teenagerblut weiland gehörig in Wallung brachten.

Höchste Zeit, ihn aus der Versenkung zu holen! Dachten sich wohl die Verwalter des Eminem-Imperiums. Also tritt Shady im Video zu „Houdini“, der jüngsten Single des Rappers, durch ein Zeitportal in die Welt von heute. Und trifft flugs auf sein älteres Selbst. Ist genug Platz für zwei „white jerks“ (weiße Trottel) auf dieser Erde? Und darf ein so schlimmer Finger wie Slim überhaupt noch sagen, was er sich denkt?

Eminems Antwort im Songtext lautet wenig überraschend: Ja. „Fuck that, if I think that shit, I’ma say that shit“, lässt er uns mit gewohnter Höflichkeit wissen. Und teilt entsprechend aus. Gegen das, wogegen man halt so austeilt als 51-jähriges Enfant terrible, dem die kulturelle Relevanz längst abhandengekommen ist: Cancel Culture, Identitätspolitik, biedere „Pfadfinderinnen“-Mentalität. Alles ein bisschen ironisch gebrochen, versteht sich, im Lied und vor allem im hemmungslos selbstreferenziellen Video. Wirklich gecancelt werden will „Em“ ja nicht.

Lyrisches Mirakel voll toxischer Wut

Hat die Welt darauf gewartet? Knappe 40 Millionen YouTube-Klicks für „Houdini“ sprechen zumindest nicht dagegen: Wenig im Vergleich zu den zwei Milliarden für den Clip zu Eminems Hit „Without Me“ (2002), aber trotzdem nicht ohne. Slim Shadys Geist spukt offenbar immer noch durch die Köpfe sehr vieler Rap-Fans, die um die Jahrtausendwende den Kinderschuhen entwuchsen. Der Einfluss des Provokateurs auf die Nachwelt sollte nicht unterschätzt werden.

Nicht zuletzt im musikalischen Sinn: Obwohl der aus armen Verhältnissen stammende Marshall Bruce Mathers III – so Eminems bürgerlicher Name – oft als „Weißbrot“ bespöttelt wurde, der schwarzen Rappern das Rampenlicht stiehlt, sehen ihn viele von diesen als Vorbild. Auch Kritikerliebling Kendrick Lamar hat sein „Genie“ gepriesen. Vor allem das Talent Eminems als Sprachkünstler ist unbestritten: Es prägte einen Stil, der heute (bisweilen abschätzig) als „Lyrical miracle“-Rap bezeichnet wird. Im Vordergrund stehen dabei – nomen est omen – findig verschachtelte Reime und (zwangs-)originelle rhetorische Figuren.

Abseits der Genre-Bubble bleibt Eminem freilich eher als „Edgelord“ in Erinnerung: Also als einer, der die Grenzen des Sagbaren überspannt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Seine Texte strotzten nur so von misogynen und homophoben Tiraden, die aber meistens so überzeichnet waren, dass man sie nicht ganz ernst nehmen konnte. Ein durchaus intendierter Effekt, der ihm (und in Folge auch Rapmusik im Allgemeinen) Zutritt zu Ohrwascheln und Geldbörsen der weißen Mittelschicht verschaffte.

Die Nachhaltigkeit seines Erfolgs verdankt sich indes dem Fakt, dass er mehr als ein frecher Schmähtandler war: Hinter Slim Shadys nassforschen Spaßettln brodelte spürbare Wut, die in manchen seiner ernsteren Songs tief blicken ließ: Etwa in „Stan“, dem Porträt eines Eminem-Fans, der aus Frust zum verbitterten Stalker und Frauenmörder wird. Der Titel ging in die Umgangssprache ein, heute steht „stan“ – auch als Verb – für übertriebenes Fangehabe.

Typische Pop-Ironie: Als Eminems Aggression nach seinem Welterfolg abnahm, schwand auch die Überzeugungskraft seiner Musik. Was blieb, war technische Könnerschaft – die aber zusehends streberhaft wirkte – und nachgerade soldatisches Pathos. Insofern sorgt die Rückkehr zur Selbstironie der Slim-Shady-Figur für frischen Wind, auch wenn ihr Witz stark an Biss verloren hat. Das zugehörige Album soll bald erscheinen. Es heißt „The Death of Slim Shady (Coup de Grâce)“. Ein Abschied? Mal schauen.

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