Spectrum

Karl-Markus Gauß über den höflichen Autor Walter Kappacher

„Nichts zu wollen“, danach strebte Walter Kappacher.
„Nichts zu wollen“, danach strebte Walter Kappacher.Die Presse, Clemens Fabry
  • Drucken

Er wollte Motorradrennfahrer werden und hat sich später als Schauspielschüler und Staubsaugervertreter versucht. Er gehörte einem Typus von Schriftsteller an, der in den vergangenen Jahrzehnten nahezu abgeschafft worden ist. Nachruf an Walter Kappacher.

In einer biografischen Skizze hat sich Walter Kappacher 1998 an einige wichtige Begegnungen und Ereignisse seines Lebens erinnert. Daran, dass er 1947 einen Sommer bei einer bürgerlichen Familie in Lausanne verbrachte, verschickt als eines von Hunderten österreichischen Kindern, die in den ersten Nachkriegsjahren von wohlhabenden und wohlmeinenden Familien in der Schweiz aufgenommen und ein paar Wochen lang durchgefüttert wurden.

Er berichtet, dass ihm der gleichaltrige französischsprachige Sohn seiner Gasteltern nach allen deutschen Wörtern für „pissen“ examinierte und so im österreichischen Kind ein besonderes Gefühl für die stilistischen Valeurs seiner Muttersprache weckte.

1953 begann er eine Lehre als Mechaniker, laut seinem Selbstzeugnis aus dem einzigen Grund, dass er selbst Motorradrennfahrer werden wollte. Später hat er sich als Schauspielschüler und Vertreter für Staubsauger versucht – weder auf der Bühne noch auf der Suche nach Käufern von Haushaltsgeräten kann man sich ihn, dem das Laute und allzu Direkte in der Literatur wie in der mündlichen Rede fremd war, recht vorstellen.  

Sogar in dem biografischen Protokoll, das Kappacher zu seinem 60. Geburtstag für die Zeitschrift „Salz“ verfasste, ist noch so etwas wie Verwunderung darüber zu vernehmen, dass er aus der Nachkriegsarmut, aus der Werkstatt für Motorräder, aus dem Büro eines Reiseveranstalters hinaus- und in die Welt der Bücher eingetreten und Schriftsteller geworden ist. Es hat ihm zwar nie an einflussreichen Förderern gemangelt, gleichwohl konnte keine Rede davon sein, dass er mit den fünf Romanen und fünf Erzählsammlungen, die er bis dahin veröffentlicht hatte, zu den bekannten Namen der Gegenwartsliteratur gehörte.

Noch um die Jahrtausendwende hat er etliche seiner Texte an entlegenen Stellen und in Kleinstauflage veröffentlichen müssen, die er mir damals mit freundlicher Widmung, doch fast verschämt überreichte, als würde er mich mit diesen noblen Gaben belästigen. Da ist etwa der „Sonderdruck der Kreissparkasse Calw“, in dem er von seinen „Tagen in Calw“, der Kleinstadt in Baden-Württemberg, erzählt, die ihm das Hermann-Hesse-Stipendium zugesprochen hatte. Oder der „Private Computer-Ausdruck“ aus dem Oktober 2000, betitelt „Vorübergehende Abwesenheit“, 22 fadengeheftete Seiten, die die Keimzelle zu dem Roman enthalten, mit dem Kappacher neun Jahre später berühmt werden sollte: „Der Fliegenpalast“.

Die Stars der Schüchternheit

Er war 70, als dieser Roman im Residenz Verlag erschien, der ihm eine hohe Auflage und gar den Georg-Büchner-Preis eintrug. Die Auszeichnung galt einem Typus von Schriftsteller, der in den Jahrzehnten davor nahezu abgeschafft worden war und mit ihm als Preisträger rehabilitiert werden sollte. Die mediale Hochrüstung hat die Schriftsteller dazu genötigt – oder verführt –, sich in Fähigkeiten auszubilden, die mit dem Metier, das früher das ihre gewesen war, dem Schreiben, nicht viel zu tun haben. Ein Autor hat sich heute auf Talkshows und in Fernsehdiskussionen zu behaupten, soll ein Vortragskünstler seiner eigenen Werke sein, der die Säle als Rezitator füllt, willens wie fähig, vor Kamera und Mikrofon als origineller Rabauke, brillanter Rhetoriker, als hübsches Model oder weltfremdes Genie zu posieren. Kurios genug, gibt es sogar die schüchternen Stars oder besser die medientauglichen Stars der Schüchternheit, die diese glaubwürdig zu bekennen pflegen, sobald die Kameras laufen. 

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.