Neues Album

Bon Jovi, auferstanden aus der Stimmruine

Mit veränderter Stimme fräst sich Jon Bon Jovi durch die neuen Songs.
Mit veränderter Stimme fräst sich Jon Bon Jovi durch die neuen Songs.Mark Selinger/Universal
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Die Stimme gilt als Fenster zur Seele. Wenn sie weg ist, dann droht der Absturz. Jon Bon Jovi hat mit Training und Operation indes die Kurve gekratzt, wie eine vierteilige Doku und das grundsolide neue Album „Forever“ zeigen.

Manchmal ist es die Psyche, meist der Lebensstil, der die Stimmen von Rocksängern und Hoch-Oktaven-Popsängerinnen ruiniert. Kaum jemand im Pop-Business weiß um die Fragilität der eigenen Stimme. Und so pflegen nur wenige das Organ, dem sie ihre Karriere verdanken. Der Eibischtee wird backstage selten gereicht. Eher Hochprozentiges, das Stimmen ruinieren kann (Amy Winehouse war in Gefahr). Andere aber durchaus aufwertet: Raukehlchen Tom Waits hatte beispielsweise vor seiner Alkoholikerphase eine ausgesprochen milde Stimme in mittlerer Tonhöhe. Bei Van Morrison ist es noch faszinierender. Sein Organ hat sich im Laufe seiner Karriere oft verändert. Mühelos sind da über die Jahre etwa acht unterschiedliche Stimmen zu hören.

Andere hingegen verlieren ihr Charisma. Steve Harley von den Glamrockern Cockney Rebel etwa. Oder auch John Mayer, der nach einer Operation nie mehr wieder die sexy Kehllaute produzieren konnte, mit denen er auf seinem Meisterwerk „Continuum“ aufwartete. Auch Axl Rose, die Röhre von Guns N’Roses, hatte zuletzt massive Probleme mit seinem stark ramponierten Organ. Allerdings lernte er damit umzugehen. Beim letzten Stadionkonzert in Wien erstaunte, wie elegant er mit seinem armen Zeiserltenor durch Jimmy Webbs Klassiker „Wichita Lineman“ navigierte und damit wohlige Gefühle auslöste.

Whitneys Manager war unerbittlich

Am tragischsten war wohl der Stimmverlust der süchtigen Whitney Houston. Bei ihrer letzten Tournee konnte man sie verzweifelt schnaufen hören, während sie mit kunstvollen Melismen zu kaschieren versuchte, dass sie hohe Noten nicht mehr erreichte. Fans hätten nichts gegen ein Alterswerk in tieferer Stimmlage gehabt, aber Manager Clive Davis schickte sie unerbittlich mit dem Jugendrepertoire auf Welttournee. Wir wissen, wie es endete.

Jon Bon Jovi, der jüngst ganz ähnliche Probleme hatte, weil sich sein Sandpapierorgan nicht mehr in die höchsten Höhen von „Livin’ on a Prayer“ treten ließ, wählte dagegen das Drama statt der Tragödie. Lustvoll aufbereitet in der vierteiligen, von Gotham Chopra realisierten Dokuserie namens „Thank You, Goodnight“, die mehrmals klug zwischen Absturz und Wiederauferstehung wechselt. Zudem ist das neue Album ein Statement fürs Weitermachen nach einem Marathon aus Training, Laserbehandlung, Massage und Operation. Mit leicht veränderter Stimme fräst er durch die neuen, wieder einmal brutal durchschnittlichen Powerrocksongs von „Forever“ (Island Records/Universal), dem 16. Studioalbum der beliebten Stadionrock-Kombo.

Gemessenen Tempos trabt Jon Bon Jovi durch „We Made It Look Easy“ in dem der mittlerweile 62-jährige Sänger mit wehem Blicken auf die vergangenen wilden Zeiten zurückblickt. „We would laugh ’til we cried, gettin’ drunk, gettin’ high, when we didn’t know how, we were chasing the dawn.“ Das Nichtwissen um die Zerbrechlichkeit der eigenen Stimme, ja des Lebens überhaupt, schützte ihn lange.

An Schärfe verloren, aber authentisch

Jetzt rockt er mit Zweifel, was ihm offenbar guttut, wie man in „Living Proof“ hört, in dem er herrlich naiv existenzielle Fragen stellt. Scheint denn tatsächlich die Sonne auch in den Einbahnstraßen des Lebens? Wohl schon, denn permanent gute Zeiten zu haben, das wäre wohl kaum erstrebenswert. Das hat er behirnt. Eine Zeile wie „Wake up, and it’s welcome to your breakdown“, die singt er sich wohl in erster Linie selbst zu. Später probiert er sich, man sollte sich nicht durch die grimmige Intonation täuschen lassen, gar in Larmoyanz: „Is there anything left for a sinner like me?“

Auch wenn seine Stimme an Schärfe verloren hat, ist sie authentisch. Das ist wesentlich. Worte können bekanntlich lügen, nicht aber die Stimme. Sie gilt immer noch als Spiegel der Seele. Auch für jene, die professionell mit Emotionen handeln. In „Kiss the Bride“ demonstriert Jon Bon Jovi, dass er sich mit runderneuertem Organ ehrenvoll durch das Pathos einer Hochzeit schnurren kann. Zumal es sich wohl um jene der Tochter handelt, die da groschenromanmäßig überhöht wird: „May the road be kind, your eyes stay bright, may your life be as beautiful as you look tonight.“

Fazit: Von Jon Bon Jovis Stimmruine ist mehr stehen geblieben als bei jener von Axl Rose. Er wird grundsolide weitergreinen können. Sorgen muss sich niemand machen. Aber ins Königsfach Chanson, in dem die Größten immer schon „ohne Stimme“ singen, wird er es in diesem Leben nicht mehr schaffen.

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