Gastkommentar

Wiens Handschrift beim Green Deal der EU

(c) Peter Kufner
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Österreich hat in Brüssel seit 2019 sehr wohl intensiv gestaltet.

Der Green Deal der EU ist nicht nur ein Umweltprojekt. Er ist ein Wirtschaftsprojekt, ein Steuerprojekt, ein Technologieprojekt.“ Das wird Othmar Karas nicht müde zu betonen. Er ist Vizepräsident des EU-Parlaments und seit 1999 EU-Abgeordneter.

Als Fahrplan in Richtung Klimaneutralität der EU im Jahr 2050 besteht der Green Deal (EGD) aus Einzelgesetzen, Gesetzesbündeln und Strategien. Es geht zum einen um die Klimapolitik. Ihr Herzstück sind das EU-Klimagesetz und das Paket „Fit for 55“. Hier steht nun die Umsetzung an. Zum anderen beinhaltet der EGD Ziele für die Biodiversität und die Landwirtschaft („Vom Hof auf den Tisch“). Diese Themen – etwa Renaturierung, Pestizid-Reduktion – sind erst 2023 im legislativen Prozess virulent geworden. Sie werden die EU-Debatten der nächsten Jahre prägen.

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Im Außenministerium in Wien und in der Ständigen Vertretung in Brüssel ist der EGD seit der Erarbeitungsphase im Herbst 2019 Dreh- und Angelpunkt des EU-Alltags; in den ersten Jahren lief die umfassende Querschnittsmaterie in einer eigenen Taskforce zusammen. Man verfolgte engmaschig, welches Thema welchem EU-Staat wichtig ist, und initiierte entsprechende Allianzen. Österreichs Minister und Diplomaten haben seit 2019 etliche rot-weiß-rote Interessen im Green Deal verankert, vielfach hinter den Kulissen. Beispiele: 
1. Die globale Dimension des EGD: Aus Österreich kam bereits im Herbst 2019 die Anregung, ein Green Deal müsse international und gesamtheitlich aufgesetzt sein. Neben Maßnahmen in Europa brauche es funktionierende außen- und handelspolitische Instrumente zur Senkung von Treibhausgasemissionen. Auch auf das klare Bekenntnis der EU-Staaten zur Umweltdiplomatie im März 2024 hat man intensiv hingewirkt. Da heißt es: „Der Rat betont, wie wichtig es ist, die Stimme und die uneingeschränkte, gleichberechtigte und substanzielle Mitwirkung von Frauen und jungen Menschen an Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen zur Verbesserung der Klima-, Energie-, Umwelt- und Wasserpolitik zu stärken.“

2. Sozialer Klimafonds: Es waren Österreichs Diplomaten, die das politisch abgesicherte und kosteneffiziente EU-Modell erarbeitet hatten, in dem ab 2026 Einnahmen aus dem Emissionshandel direkt in den Sozialklimafonds und von dort an die Mitgliedstaaten gelenkt werden.

3. Dekarbonisierung: Das 6000 Seiten umfassende „Fit for 55“-Gesetzesbündel – das bisher umfänglichste in der EU-Geschichte – regelt die grüne Wende etwa im Bau oder Verkehr. Österreich hat aktiv mitgewirkt und mitgestimmt: Ja zur nationalen Senkung der CO2-Emissionen um 48 Prozent bis 2030, zur Ausweitung des Emissionshandels, zum Verbrenner-Aus im Jahr 2035. Infrastrukturprojekte ab 155 Millionen Euro müssen nun einem Klimacheck unterzogen werden.

4. Erneuerbare Energie: Österreich initiierte aus der Anti-Atomkraft-Position heraus eine aktive Staatenallianz in der EU, die „Freunde der Erneuerbaren“. In ihr arbeiten je nach Konstellation bis zu 14 EU-Staaten zusammen. Man setzt sich etwa für eine bessere Vernetzung der Strommärkte und die nötige Energie- und vor allem Strominfrastruktur ein.

5. Biomasse: Holzabfälle sollten zuerst nur zu einem Teil als erneuerbare Energiequelle eingestuft werden; dank österreichischem Engagement ist die quantitative Beschränkung weggefallen.

6. Wald und Forst: Auf Ebene der Botschafter in Brüssel initiierte Österreich eine informelle Allianz der waldreichen Staaten, die eine Zusammenarbeit und die Stärkung nachhaltigen Waldmanagements verfolgt. Dabei sind Tschechien, Slowenien, die Slowakei, Kroatien und Rumänien. Eine Ebene höher hat Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig eine „For Forest Group“ von anfangs vier Staaten mit initiiert; auch hier geht es ums nachhaltige Waldmanagement.

7. Forschung: Im aktuellen „Horizon Europe“-Rahmen sind allein zum EGD neun große Projekte unter österreichischer Leitung in Realisierung begriffen, etwa zu Wasser, Wald und Geothermie.

8. EU-Taxonomie, Wasserkraft: Die Erarbeitung dieses Kataloges nachhaltiger Investitionen war für Wien von Beginn an sehr wichtig, inklusive der Berücksichtigung der Wasserkraft. Allerdings beanstandet man die Rolle der Atomkraft in diesem Katalog.

9. Green Finance: Die neue nationale Green Finance Agenda baut auf entsprechenden EU-Vorgaben auf. Zudem haben sich elf heimische Finanzunternehmen – etwa Uniqa und Unicredit Bank Austria– in einer neuen Allianz zu wissenschaftlich formulierten Dekarbonisierungszielen verpflichtet.

10. Verkehrswende: Erträge aus dem neuen Emissionshandel werden ab 2026 auch für den nachhaltigen Schienenverkehr eingesetzt. Zudem verzeichnet der Bahnsektor viele Etappenerfolge im Bereich Infrastruktur. ÖBB-Chef Andreas Matthä ist seit 2020 Vorsitzender des europäischen Bahnverbands CER. 

Kontrastierend zu innen- und parteipolitischen Auslegungen bezeichnen führende Ökonomen den EGD nach dem Binnenmarkt und der Wirtschafts- und Währungsunion als dritte Ausbaustufe der europäischen wirtschaftlichen Integration. Entsprechend zieht sich der umfassende Reformgedanke des EGD auch durch den noch druckfrischen Bericht, den Enrico Letta – Italiens Ex-Ministerpräsident – jüngst präsentiert hat. Das Thema: die Zukunft des EU-Binnenmarkts.

Peter Mayr

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Die Autorin:

Peter Mayr

Mag. Verena Ringler (* 1976) MA, Politologin, leitete die Feldstudie „Regionen auf dem Weg zum European Green Deal“, gründete den unabhängigen Verein Agora EGD (agora-egd.eu). Bis 2018 baute sie das Europaprogramm der Stiftung Mercator mit auf, zuvor war sie für den Europäischen Rat im Kosovo tätig.

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