Gastkommentar

Ein Rechtsruck in Etappen

Nach der Europa-Wahl. Die EU muss handlungsfähiger, innovativer werden. Nur so kann der rechte Vormarsch gestoppt werden.

Der angekündigte Rechtsruck bei den Europawahlen verlief weniger deutlich als erwartet, auch wenn in mehreren Mitgliedsstaaten EU-feindliche, nationalistische und rechtsextreme Parteien stärker wurden. Die beiden rechten Fraktionen im Europaparlament, ID (Identität und Demokratie), in der Frankreichs EU-Wahlsiegerin Marine Le Pen dominiert, und die EKR (Europäische Konservative und Reformer), wo Italiens rechte Regierungschefin und EU-Wahlsiegerin Giorgia Meloni den Kurs bestimmt, haben zwar Zugewinne erzielt, aber gemeinsam verfügen sie nur über etwa ein Viertel der 720 Mandate.

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Dennoch werden sie ab jetzt versuchen, neue EU-Regelungen in ihrem Sinne zu beeinflussen, aber sie können sie nicht aufhalten. Denn die weiterhin größten Fraktionen, die Europäische Volkspartei EVP und die Sozialdemokraten S&D, kommen zusammen mit Stimmen der deutlich geschwächten Fraktionen der Liberalen und Grünen auf eine klar abgesicherte Mehrheit im Europaparlament. Ob diese für eine Wiederwahl der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zustande kommt, ist aber noch höchst unsicher. Daher hat die deutsche Politikerin eine Kooperation mit Giorgia Meloni nicht mehr ausgeschlossen.

Die rechtsorientierten und rechtsextremen EU-Gegner liegen mit ihren Parteien in den drei größten EU-Staaten an der Spitze, in Frankreich und Italien sogar auf dem ersten Platz. In Frankreich fuhr Marine Le Pen mit ihrem Rassemblement National einen deutlichen Sieg ein. Offenbar geschockt rief Frankreichs Präsident Emmanuel Macron daraufhin Neuwahlen für das Parlament aus, was aber politischem Harakiri gleichkommen könnte. In Italien blieb Giorgia Meloni mit ihrem staatstragenden, pragmatischen Kurs erfolgreich.

Der rechte Vormarsch (auch in Deutschland mit der AfD, siehe Text links von Eckhard Jesse, Anm. der Redaktion) gibt Anlass zu Besorgnis. Denn wenn rechtsextreme Parteien bei nationalen Wahlen siegen, dann sitzen sie auch im Europäischen Rat der 27 Regierungschefs und im Ministerrat. Erst dort können sie den Kurs der Europäischen Union wirklich mitbestimmen oder durch Vetodrohungen blockieren.

In Österreich siegte die FPÖ erstmals bei einer bundesweiten Wahl. Sie konnte mit der Parole „Stoppt den EU-Wahnsinn“ und simplen „Österreich zuerst“-Rufen ein Viertel der Wähler überzeugen. Ohne ernsthafte Konzepte vorzulegen, spekuliert sie offen mit einem EU-Austritt Österreichs. Zuvor will sie mit Gleichgesinnten Kompetenzen von der EU-Ebene zurück in die Mitgliedsländer verlagern. Auch das bedeutet eine Schwächung der EU, denn bei allen großen Herausforderungen - von der Klimakrise über die Migration, dem Wettbewerb mit den USA und China bis zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik - sind einzelne Mitgliedsstaaten der EU, selbst die größten, handlungsunfähig. Nur eine einige EU kann Lösungskonzepte erarbeiten und in der Weltliga mitspielen.

Erwartungen oft enttäuscht

Die EU hat hier die Erwartungen ihrer Bürger oft enttäuscht. Viel zu spät einigten sich die EU-Regierungschefs erst gerade auf ein neues Migrations- und Asylpaket, das die unkontrollierte Zuwanderung einbremsen soll. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat sicherheitspolitische Defizite sichtbar gemacht. Auch wenn sie selten Gegenkonzepte vorlegen, punkten rechtsextreme Parteien mit Angstmache, offenem Rassismus und Lügen über die EU.

Daher sollte das Wahlergebnis Europa-Anhänger aufrütteln. Keine Errungenschaft der EU-Integration – vom Euro bis zum wirtschaftlichen Aufschwung durch den Binnenmarkt – darf mehr als gesichert aufgefasst werden. Daher müssen neue europäische Initiativen besser erklärt werden, wie zuletzt die beiden Alt-Kanzler Franz Vranitzky und Wolfgang Schüssel in Interviews auf ORF III eindringlich forderten.

So waren populistische Rückzieher von Kanzler Karl Nehammer und seinem Spitzenkandidaten Reinhold Lopatka beim Aus für Verbrennermotoren oder beim Renaturierungsgesetz im Kampf gegen wachsende EU-Skepsis wenig hilfreich. Die steigende Desinformation durch EU-Mythen und Verschwörungstheorien sollte schon in der Schule durch Kurse für Medienkompetenz bekämpft werden.

Europa-freundliche Politiker müssen nun für die nächsten fünf Jahre zu aktuellen Problemen Lösungsvorschläge vorlegen. Der 2019 ausgerufene „Green Deal“ benötigt weitere Regelungen für einen wirksamen Klimaschutz. In der Außen- und Sicherheitspolitik und bei der Verteidigung braucht es deutlich mehr Kooperation. Die EU muss insgesamt handlungsfähiger werden. Das bedeutet auch ein Ende für einstimmige Beschlüsse und Vetoblockaden. Aber auch der Wildwuchs an übertriebenen EU-Regelungen – etwa zu den umstrittenen Verschlüssen an Plastikflaschen – sollte aufhören.

Dafür muss die EU muss ihre industrielle Produktion gegen Abwanderung und unfaire Konkurrenz besser schützen. Noch immer funktioniert der Binnenmarkt nur mangelhaft, etwa im Energie- und Sozialbereich. In Wissenschaft und Forschung sollten deutlich mehr Budgetmittel fließen, um mit den USA oder China mithalten zu können. Nur dann kann die EU in Zukunftstechnologien zum Weltmarktführer aufsteigen. Erst wenn vieles davon gelingt, wird auch die EU-Skepsis wieder sinken – und der Zulauf zu rechten Parteien.

Otmar Lahodynsky (*1954) ist freier Journalist und Ehrenpräsident der Association of European Journalists (AEJ).

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