Medien

Diplomatische Retourkutsche: Russland weist ORF-Korrespondentin aus

Maria Knips-Witting berichtete seit Jänner aus Moskau. Bürochefin Carola Schneider bleibt vor Ort.
Maria Knips-Witting berichtete seit Jänner aus Moskau. Bürochefin Carola Schneider bleibt vor Ort. ORF
  • Drucken

Beiden Wien-Korrespondenten der russischen Staatsagentur TASS war die Akkreditierung entzogen worden, einer gilt als Nachrichtendienst-Mitarbeiter. In einer „Spiegelmaßnahme“ muss nun die ORF-Korrespondentin Maria Knips-Witting das Land verlassen.

Die österreichische Journalistin Maria Knips-Witting muss Russland verlassen: Der ORF-Korrespondentin wurde die Akkreditierung entzogen, sie wurde zur Ausreise aufgefordert, teilte das Moskauer Außenministerium am Montagabend mit. Es handle sich demnach um eine „Spiegelmaßnahme“ auf den Entzug der Akkreditierungen der beiden russischen Korrespondenten der Staatsagentur TASS in Österreich, Iwan Popow, der als Mitarbeiter eines Auslandsnachrichtendienstes gilt, sowie seiner Kollegin Arina Dawidjan. Popow musste bereits ausreisen, Dawidjan befindet sich APA-Informationen zufolge noch in Wien. Zunächst war nur von einem TASS-Mitarbeiter die Rede.

Im Gegenzug müsse die österreichische Korrespondentin das Land nun verlassen, hatte das russische Außenministerium am Montagabend mitgeteilt. Knips-Witting hatte seit Jänner 2024 aus Moskau berichtet. Geleitet wird das Korrespondentenbüro von Carola Schneider – sie bleibt in Moskau. Der ORF selbst bestätigte in der Nacht auf Dienstag den Akkreditierungsentzug für Knips-Witting und bedauerte gleichzeitig die Entscheidung des Außenministeriums in Moskau. Man könne diese nicht nachvollziehen und werde alle notwendigen Schritte unternehmen, um für das ORF-Publikum weiterhin eine unabhängige und umfassende Berichterstattung aus Russland sicherzustellen, hieß es in einer Stellungnahme. Von Knips-Witting gebe es noch kein Statement, hieß es aus dem ORF.

Keine konkreten Vorwürfe gegen Journalisten

Indem ausländische Journalisten aus Russland gedrängt werden, spielt Russland seine Macht aus. Auch schon die BBC und „Politico“ waren betroffen. Das Akkreditierungs-System ist restriktiv und intransparent, ermöglicht jederzeit die Ausweisung. Oft sind diese Maßnahmen Retourkutschen: Als der Propagandasender RT, früher Russia Today, von Deutschland verboten wurde, verlor im Gegenzug die „Deutsche Welle“ ihre Sendelizenz in Russland. Anders als in der sowjetischen Vergangenheit wurden den betroffenen Korrespondentinnen und Korrespondenten dabei zumeist konkret gar nichts vorgeworfen und die Maßnahme mit Entscheidungen ihrer Herkunftsländer begründet.

Seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine 2022 ging der russische Staat aber auch rechtlich gegen internationale Korrespondenten vor. Möglichkeit zu Maßnahmen gegen internationale Journalisten bietet freilich auch eine im Frühjahr 2022 in Russland de facto eingeführte Kriegszensur, die „öffentliche Handlungen zur „Diskreditierung des Einsatzes der russischen Streitkräfte“ sanktioniert. Viele Mitarbeiter westlicher Medien und auch kritischer russischer Medien haben deshalb aus Sicherheitsgründen 2022 Russland verlassen.

Russland gegen Auslandsjournalisten

„Wall Street Journal“-Journalist Evan Gershkovich befindet sich im Zusammenhang mit fragwürdigen Spionagevorwürfen seit März 2023 in Untersuchungshaft – Moskau strebte hinter den Kulissen seinen Austausch gegen den in deutscher Haft befindlichen FSB-Agenten Wadim Krassikow an, der im Tiergarten in Berlin 2019 einen gebürtigen Georgier ermordet hatte und dafür zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Seit Herbst 2023 befindet sich zudem die für Radio Liberty tätige russisch-amerikanische Doppelstaatsbürgerin Alsu Kurmasheva in Untersuchungshaft – ihr wird vorgeworfen, sich nicht als „ausländische Agentin“ registriert zu haben.

Mit der Begründung, dass russische Journalisten in Großbritannien kein Visum erhalten hätten, war bereits 2021 etwa das Visum der langjährigen Moskauer BBC-Korrespondentin Sarah Rainsford nicht mehr verlängert und ihr erzählt worden, dass sie nie mehr zurückkommen könne.

2023 waren die Aufenthaltstitel der niederländischen Journalistin Eva Hartlog und ihrer finnischen Kollegin Anna-Lena Laurén nicht mehr verlängert worden. Beide mussten ebenso das Land verlassen.

WDR-Korrespondent Björn Blaschke floh, bevor ein Verfahren nach dem russischen Strafrecht hätte eingeleitet werden können. Er war im Februar 2024 in der russischen Provinz für einen deutschsprachigen Tweet, in dem er im Sommer 2022 einen Experten über die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf Lebensmittelpreise in Afrika zitiert hatte, zu einer Geldstrafe nach dem Verwaltungsstrafrecht verurteilt worden. Er verließ Russland kurze Zeit später. Im Wiederholungsfall hätte er nach dem Strafrecht angeklagt werden können und es hätten für derartige Nachrichten auf X, ehemals Twitter, zumindest fünf Jahre Haft gedroht.

Retourkutsche für Ausweisung – mit Vorwarnung

Auch im Fall des ORF scheint Russland „Gleiches mit Gleichem vergelten“ zu wollen. Das russische Außenministerium geht in seiner Stellungnahme auch konkret auf jenen Fall ein, der zum Akkreditierungsentzug von Knips-Witting geführt hat – und dass Österreich vorgewarnt wurde: „Am 31. Mai wurde der Botschafter Österreichs in das russische Außenministerium zitiert“, heißt es. Das russische Außenministerium spricht von „diskriminierenden Maßnahmen gegen russische Journalisten“, gegen die heftiger Protest eingelegt worden sei. „Der Leiter der diplomatischen Vertretung wurde gewarnt, dass, falls Wien seine Entscheidung, die Rechte russischer Journalisten zu verletzen, nicht überdenke, Gegenmaßnahmen in Bezug auf die in Russland ständig akkreditierten österreichischen Korrespondenten ergriffen würden“, hieß es.

Von russischer Seite wurde betont, „dass eine solche Entwicklung nicht auf Moskaus Wunsch geschehe, sondern eine erzwungene Maßnahme darstelle“. Demnach hatten die österreichischen Behörden ihrerseits am 30. April dem TASS-Korrespondenten Popow die unbefristete Akkreditierung und seinen Aufenthaltstitel entzogen sowie die Aufforderung erteilt, das Land innerhalb von zwei Wochen zu verlassen. Laut russischen Angaben führten die österreichischen Behörden keine Erklärung für diese Schritte an.

Iwan Popow soll für Russland spioniert haben

Popow habe am 7. Juni Österreich verlassen müssen. Weiters heißt es in der Stellungnahme: „In diesem Zusammenhang wurden Spiegelmaßnahmen gegen Maria Knips-Witting, einer Journalistin des Moskauer Büros des Österreichischen Rundfunks (ORF), ergriffen. Am 10. Juni wurde sie aufgefordert, ihre Akkreditierungsausweise abzugeben und das Territorium der Russischen Föderation schnellstmöglich zu verlassen.“

Dawidjan „aufgrund einer negativen Sicherheitseinschätzung“ die Akkreditierung entzogen. Dies erklärte das Innenministerium am Dienstag. „Der TASS steht es frei, neue Korrespondenten zur Akkreditierung anzumelden. Dem geht eine Sicherheitsüberprüfung der dafür zuständigen Inlandsbehörde voran“, informierte ein Sprecher des Innenministeriums. Nähere Auskünfte könne man auf Grund des Persönlichkeits- und Datenschutzes nicht erteilen, erläuterte er.

»Das ist ein weiterer eklatanter Angriff auf die Pressefreiheit in Russland.«

Sprecherin des österreichischen Außenministeriums

Diese Entscheidung der russischen Behörden entbehre jeder Grundlage und sei völlig ungerechtfertigt, erklärte am Dienstag eine Sprecherin des österreichischen Außenministeriums. „Das ist ein weiterer eklatanter Angriff auf die Pressefreiheit in Russland“, betonte sie. Die österreichische Botschaft in Moskau sei mit der betroffenen Journalistin in engem Austausch.

Außerdem drohte Russland damit, es könnte weiteren Journalisten die Akkreditierung entzogen werden, wenn Österreich russische Journalisten ausweise. Man sei aber bereit, „die Möglichkeit der Akkreditierung neuer ORF-Mitarbeiter in Russland zu prüfen, sobald die österreichische Regierung die Bedingungen für die Arbeit russischer Medienvertreter geschaffen und das TASS-Büro in Wien seine Arbeit in vollem Umfang wiederaufgenommen hat.“

Der nunmehr von Österreich ausgewiesene Popow, der zuvor aus Slowenien berichtete, war im März in einer Veröffentlichung des „Falter“ ohne Namensnennung als Nachrichtendienstler dargestellt worden. „Besonders auffällig agiere ein dem ,Falter‘ namentlich bekannter Auslandskorrespondent, der seit 2023 in Wien tätig ist und in Wahrheit ein Offizier des russischen Auslandsnachrichtendienstes SWR sei“, hieß es damals in der Wochenzeitung.

TASS-Wien gerade erst für knapp 140.000 Euro renoviert

Eine Ausweisung von internationalen Korrespondenten aus Österreich ist ein Novum. In den letzten Jahrzehnten wäre kein vergleichbarer Fall wie bei Popow öffentlich bekannt geworden. Die österreichische Entscheidung kommt sichtlich auch für die staatliche russische Nachrichtenagentur überraschend. Erst im vergangenen Jahr waren die im russischen Staatseigentum stehenden Redaktionsräume und Wohnungen der TASS in Wien-Wieden für knapp 140.000 Euro renoviert worden.

Auffällig war freilich auch gewesen, dass die Nachrichtenagentur mit Popow und seiner Kollegin Arina Dawidjan im vergangenen Jahr ihr Büro im Wien-Wieden gleich mit zwei Korrespondenten besetzte. Da zumindest in den letzten zwei Jahrzehnten stets nur ein Vertreter der TASS aus Wien berichtet hatte, ließ sich diese Verdopplung des Personals nur schwer erklären, denn die journalistische Arbeit war weniger geworden: Hochrangige russische Besuche in Wien, über die üblicherweise sehr aufwendig berichtet wurde, sind seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine rar geworden. Und auch kritische österreichische Wortmeldungen zu Russlands galten in den vergangenen Jahren und vor allem seit 2022 aus TASS-Sicht zunehmend als nicht mehr berichtenswert.

Zur Person

Maria Knips-Witting wurde laut ORF-Homepage 1989 in Innsbruck geboren. Nach Studienabschlüssen in Translationswissenschaft in Englisch und Russisch an der Universität Innsbruck und Ost-West-Studien an der Universität Regensburg arbeitete sie mehrere Jahre im Printjournalismus.

Berufsbegleitend schloss sie das Studium Journalismus und Neue Medien an der FH Wien der WKW ab. Seit 2022 ist sie beim ORF, wo sie zuerst beim „ZIB-Magazin“ und anschließend in der ZIB-Außenpolitik arbeitete. Seit Jänner 2024 ist sie als Korrespondentin im ORF-Büro in Moskau.

Maria Knips-Witting ist seit 2022 beim ORF
Maria Knips-Witting ist seit 2022 beim ORFORF/Roman Zach-Kiesling

Russische Medien verbreiten Desinformation

Österreichs Botschaft in Moskau sei im Voraus über den drohenden Schritt informiert worden und habe die Korrespondenten der österreichischen Medien gewarnt, dass das Außenministerium zu der Vergeltungsmaßnahme greifen könnte, meldeten auch die deutsche Presseagentur dpa und die Nachrichtenagentur AP (Online). Seitens des für Akkreditierungen ausländischer Medienvertreter zuständigen Bundeskanzleramts hieß es am späten Montagabend gegenüber der APA, der Fall werde geprüft. Für den Entzug der Akkreditierung des russischen Medienvertreters sei das Innenministerium zuständig gewesen.

Russische Medienvertreter stehen in der EU immer wieder in der Kritik, Desinformation zu verbreiten. Mehrere russische Medien sind deshalb im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine mit Sanktionen belegt worden; sie haben Sendeverbot in der EU, allerdings dürfen die Mitarbeiter in der Regel weiter im Westen arbeiten. TASS war bisher nicht von Sanktionen betroffen.

ORF-Korrespondent musst 1978 ausreisen

Mit strafrechtlichen Maßnahmen und womöglich ebenso fünf Jahren Haft für „antisowjetische Propaganda“ sowie „unmoralische Taten“ war in sowjetischen Zeiten auch einem Vorgänger von Knips-Witting gedroht worden. Der seit 1972 in Moskau tätige ORF-Korrespondent Erhard Hutter musste schließlich 1978 seine Tätigkeit in der Sowjetunion beenden, weil sein Aufenthaltstitel nicht verlängert worden war. Außenminister Willibald Pahr (SPÖ) beklagte damals, dass die Ausweisung einen Verstoß gegen die Schlussakte von Helsinki darstelle. (APA/her)

>> Bericht im „Falter“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.