Hörgeräte

Neuroth expandiert in der Schweiz und in Südosteuropa

Neuroth-CEO Lukas Schinko.
Foto: Clemens Fabry
Neuroth-CEO Lukas Schinko. Foto: Clemens FabryClemens Fabry
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Der Grazer Spezialist für Hörgeräte tätigte in der Schweiz eine Übernahme. Neuroth-CEO Lukas Schinko berichtet vom Expansionskurs und vom Trend, nicht alles hören zu wollen.

Wien. Die Unterschrift unter dem Vertrag ist quasi noch feucht. Vor wenigen Tagen gab die Neuroth-Gruppe bekannt, dass sie die Hörgeräte- und Optik-Sparte der Handelskette Migros in der Schweiz übernommen hat. Es geht um 25 Standorte und 200 Mitarbeiter. Somit hat das Grazer Unternehmen in der Schweiz mehr als 100 Standorte. „Die Schweiz war unser erster Auslandsstandort und ist nach Österreich unser zweitgrößter Markt“, betont Neuroth-CEO Lukas Schinko. Im vergangenen Geschäftsjahr erzielte Neuroth in der Schweiz ein Umsatzwachstum von 30 Prozent. Mit der Übernahme avanciere man zur Nummer zwei und komme „unserem Ziel, die Nummer eins zu werden, ein großes Stück näher“, sagt Schinko.

Fachkräftemangel ist ein Problem

Das Familienunternehmen, das auf eine 115 Jahre alte Geschichte zurückblickt, beschäftigt etwa 1300 Mitarbeiter an 280 Standorten in acht Ländern. Im vergangenen Jahre steigerte das Unternehmen den Umsatz um 16 Prozent auf 167 Millionen Euro. Kernmarkt bleibt Österreich. In den 140 Standorten erzielt Neuroth knapp 70 Prozent des Umsatzes. Erst seit 2020 und 2021 ist Neuroth auch in Serbien und Bosnien aktiv. Das Geschäft entwickelt sich gut, betont Schinko im Gespräch mit der „Presse“. Jetzt gehe es darum, „in unseren acht Märkten mehr Menschen zu erreichen und zu begeistern“, sagt der Neuroth-Chef.

Um den Expansionskurs fortzusetzten, bracht Neuroth auch mehr Mitarbeiter. „Und es wird immer schwieriger, Fachkräfte zu bekommen“, sagt der Neuroth-Chef. „Wir merken, dass die Bereitschaft abnimmt, eine lange Ausbildung auf sich zu nehmen.“ Die Lehre zum Hörgeräteakustiker sei anspruchsvoll.

Während die Brille längst als modisches Utensil völlig akzeptiert sei, sei das Hörgerät nach wie vor in Teilen der Bevölkerung stigmatisiert. 16 bis 20 Prozent der Menschen leiden unter Hörverlust. Aber nur 25 bis 30 Prozent von ihnen tragen auch ein Hörgerät. „Bis zu drei Viertel der Menschen mit Hörproblemen nehmen aktuell keine Hilfe an“, sagt Neuroth. Es gehe nicht ums Finanzielle, denn Hörgeräte werden zumindest in Österreich von der Krankenkasse bezahlt. „Und es ist mir ganz wichtig zu sagen: Das sind gute Geräte“, betont Schinko. Natürlich bietet Neuroth darüber Geräte an, die zusätzliche Funktionen haben, etwa mit dem Handy verbunden sind. Bis zur Highend-Lösung können zwei Hörgeräte plus Serviceleistungen dann auch 5000 bis 6000 Euro kosten. „Das ist dann aber der absolute Designer-Maßanzug“, sagt Lukas Schinko.

Hörschwäche hieß früher, nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Es bedeutete Ausgrenzung und Einsamkeit. Schinko verweist auf eine Studie der Weltgesundheitsbehörde WHO. Diese beziffert den weltweiten volkswirtschaftlichen Schaden aufgrund von Hörschwäche mit einer Billion Euro, 216 Milliarden Euro entfallen auf Europa. Wer schlecht hört, gehe mitunter früher in Pension, ziehe sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurück und konsumiere somit auch weniger.

Flucht vor der Reizüberflutung

Wann wird ein Hörgerät genauso selbstverständlich sein wie eine Brille? „Ich fürchte, es wird noch eine ganze Weile dauern, bis man das Hörgerät nicht als Medizinprodukt sieht, sondern als technisches Gadget, das einem den Lebensalltag verschönert.“ Eine Zeitlang war der frühere Formel 1-Weltmeister Mika Häkkinen Neuroth-Testimonial. Der Finne hatte sich im Alter von 25 Jahren bei einem Rennunfall verletzt und dabei einen Teil seiner Hörkraft eingebüßt.

Generell berichtet Lukas Schinko von einem Trend, sich der akustischen Reizüberflutung zu entziehen. „Viele Menschen wollen gar nicht hören“, sagt Schinko. „Stille statt AirPods“, lautet die Devise. Und natürlich gewinne das Thema Hörschutz am Arbeitsplatz genauso an Bedeutung wie im privaten Bereich. Erst jüngst lancierte Neuroth ein Gehörschutz-Produkt speziell für Jäger. Auch Wassersportler greifen immer öfter zu Spezialanfertigungen, um sich zu schützen.

Bei den olympischen Sommerspielen in Paris werden einige Athleten ebenfalls Gehörschutz-Geräte verwenden, erzählt der Neuroth-Chef. „Für Sportlerinnen und Sportler ist die Regeneration während eines Wettbewerbs erfolgsentscheidend“, sagt Schinko. „Ein ruhiger Schlaf ist extrem wichtig, nicht nur für Menschen, deren Partner schnarcht.“ Sehr oft versuchten Sportler, äußere Reizen mit lauter Musik aus dem Kopfhörer zu übertönen. „Dabei wollen sie doch nur Ruhe haben.“

Das Grazer Familienunternehmen Neuroth meldet einen Zukauf.
Das Grazer Familienunternehmen Neuroth meldet einen Zukauf. Günther Peroutka / picturedesk.com

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