Integration

Wiederkehr: „Religiöse Konflikte nehmen zu“

Christoph Wiederkehr, Vizebürgermeister und Stadtrat für Integration und Bildung.
Christoph Wiederkehr, Vizebürgermeister und Stadtrat für Integration und Bildung.Clemens Fabry
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Wiens Integrationsstadtrat Wiederkehr legt die neuesten Zahlen über das Religionsbekenntnis in Wiener Pflichtschulen vor. Der Islam ist dabei die stärkste Glaubensrichtung vor Kindern ohne Bekenntnis.

Wien. Integrationsstadtrat Christoph Wiederkehr stellte am Dienstag brisante Daten von Wiener Pflichtschulen vor. Konkret geht es um eine Erhebung des religiösen Bekenntnisses an Wiener Volksschulen, die Wiederkehr mit dem Integrationsexperten Kenan Güngör präsentierte. Im Schuljahr 2023/24 bekannten sich 35 Prozent der Schülerinnen und Schüler zum islamischen Glauben. Die zweitgrößte Gruppe (mit 26 Prozent) sind Schüler ohne Religionsbekenntnis. Erst dahinter folgen auf Platz drei katholische Schüler mit 21 Prozent, vor den Orthodoxen (13 Prozent) und den Evangelischen (zwei Prozent). Nimmt man Mittel- und Sonderschulen, sowie die Polytechnischen Schulen dazu, steigt der Anteil von muslimischen Schülern auf 39 Prozent. Wobei Kinder in Privatschulen und AHS-Unterstufen (Stichwort: Bundeskompetenz) in dieser Alterskategorie nicht erfasst wurden. Die Daten stammen von Wiens Bildungsdirektion.

Der Intoleranz Grenzen setzen

Als vage Orientierungshilfe: Im Schuljahr 2016/17 waren noch 31 Prozent katholisch, 28 Prozent Muslime und 17 Prozent ohne Bekenntnis. Wobei diese Daten, wegen einer anderen Erhebungsmethode, nicht vergleichbar seien, erklärte Wiederkehr, der festhielt: „Glaube und Religion ist Privatsache.“ Die Erhebung sei keine Wertung über Religionen. Er befürworte einen interkonfessionellen Dialog. Es sei allerdings auch zu beobachten: „In Wiener Mittelschulen nehmen religiöse Konflikte zu.“ Es gebe einen erhöhten Anteil von Jugendlichen mit antisemitischer Einstellung, LGBT-Feindlichkeit und Abwertung von anderen Religionen: „Wo Intoleranz beginnt, müssen wir ihr eine Grenze setzen“, erklärte Wiederkehr, der deshalb forderte: In den Pflichtschulen müsste das Unterrichtsfach „Demokratie“ eingeführt werden, um diesen Tendenzen entgegenzutreten. Im Gegenzug sollte der Religionsunterricht nicht mehr verpflichtend sein.

Konkret will der Wiener Integrationsstadtrat „Leben in der Demokratie“ österreichweit als Pflichtfach für alle Kinder in den Pflichtschulen etablieren, um demokratiefeindliche Tendenzen in Schulen zu bekämpfen: „Gesetze werden bei uns nicht von Gebetsbüchern gemacht, sondern vom Staat.“ Nachsatz: „Bei uns darf kein fundamentalistisches Gedankengut ausgelebt werden.“

Überlegenheits-Denken

Am Donnerstag werde er deshalb die „Fachstelle Demokratie“ vorstellen, „um unsere Werte zu stärken“, so der Integrationsstadtrat. Denn innerhalb der Muslime gebe es einen erhöhten Anteil von Kindern, die andere Gruppen abwerten. Als Beispiel nannte Wiederkehr Antisemitismus, die starke Abwertungen von Frauen sowie von LGBTIQ-Personen. Deshalb wurde Güngör beauftragt, eine Studie über Abwertungstendenzen bei Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund zu erstellen.

Was heißt das für Wiens Schulen? Der Soziologe Kenan Güngör liefert dazu Antworten: „Es gibt zwei Entwicklungen“, die zu einer stärkeren Polarisierung und Spannung bei Zuwanderern führe. Einerseits gebe die Entwicklung in Richtung einer Art Überlegenheits-Vorstellung, wenn in einer Schule ein zu hoher Anteil von Zuwanderern sei. Andererseits würde Muslime diskriminiert, wenn sie an einer öffentlichen Pflichtschule stark in der Minderheit seien. In der Schule gebe es allerdings nur eine geringe Diskriminierung von Muslimen, hält Güngör fest. Ein Problem seien auch Kinder, die in der Mittelschule zum Islam konvertieren: „Die sind dann eher radikal.“ Generell komme es bei Jugendlichen mit einem hohen Dominanzverhalten zu einem problematischen Rollenverständnis zwischen Mann und Frau, antisemitischen Tendenzen und Abwertungen von anderen Religionen: „Diese Abwertungen nehmen die Kinder vom Elternhaus mit.“ Besonders aufgefallen seien hier (vor allem) die Bezirke Margareten, Favoriten und Simmering.

„Viele irreguläre Zuwanderer“

Laut Wiederkehr die Zuwanderung nach Wien „hoch“, auch durch viele irreguläre Zuwanderer. „Es gibt den Trend, dass der Anteil der Muslime steigt – vor allem durch den Familiennachzug“, ergänzt Güngör. Er spielt damit auf die Zuwanderer-Welle ab 2015 an. Aber wie mit radikalisierten Schülern umgehen? Gerade bei Jugendlichen bestehe die Möglichkeit, noch etwas zu verändern – weil deren Meinung noch nicht gefestigt sei, erklärt der Soziologe: Man müsse Kinder stärker säkularisieren gegen die Propaganda von Salafisten, die das Zeitalter von Mohammed idealisieren. Nachsatz: Im Bereich der Radikalisierung gebe es auch Rechts- und Linksextremismus, was man nicht vergessen dürfe.

Der Schönheitsfehler bei Wiederkehrs Vorstoß: Es betrifft Bundesmaterie. Ohne die Zustimmung von ÖVP und Grünen passiert also nichts. Und die Bundesregierung hat den Vorstoß des Wiener Integrationsstadtrats bereits abgelehnt: „Ich bin hier aber sehr hartnäckig.“

In welchen Bezirken Katholiken, Muslime leben

Den höchsten Anteil an Schülern mit islamischem Religionsbekenntnis gibt es in der Brigittenau (68,74 Prozent). Es folgen Margareten (63,70 Prozent), Favoriten (62,25 Prozent) und Simmering (57,52 Prozent). Die meisten katholischen Schüler findet man dagegen in Hietzing (78,39 Prozent), der Josefstadt (74,49 Prozent), Neubau (67,48 Prozent) und Währing (59,81 Prozent). Schulkinder ohne Glaubensbekenntnis sind die zweitstärkste Gruppe und in folgenden Bezirken am häufigsten vertreten: Hietzing (21,49 Prozent), Wieden (19,78 Prozent), Neubau (19,66 Prozent), Mariahilf (18,21 Prozent) und Döbling (15,08 Prozent).

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