Nicht nur alte Hasen sind im neu gewählten Plenum vertreten, sondern auch ungewöhnliche Quereinsteiger.
Dass das Europaparlament für seine Mandatare ein „Willkommensdorf“ organisiert, um die neu gewählten Vertreter des europäischen Volkes mit Infrastruktur und Usancen des Hohen Hauses vertraut zu machen, wird erfahrenen Europaabgeordneten wohl nur ein müdes Lächeln entlocken. Für die Novizen in Brüssel und Straßburg dürfte das Serviceangebot allerdings sehr willkommen sein, denn die Logistik des Europaparlaments ist notorisch komplex und muss – wie das Layout der Parlamentsgebäude – erst einmal erlernt werden.
Wie bei jeder Europawahl sind auch diesmal neben alten Hasen der Europapolitik einige „Exoten“ gewählt worden. Diese Quereinsteiger können im Idealfall den Parlamentsalltag bereichern – große Hoffnung liegt diesbezüglich auf Sybille Berg, die auf der Liste der deutschen Satirepartei Die Partei steht. Doch abseits der gefeierten Schriftstellerin haben auch andere Kommunikationstalente das Rennen gemacht.
„Ich habe keine Ahnung“
Da wäre beispielsweise der zypriotische Blogger Fidias Panayiotou, der seine zweieinhalb Millionen Follower auf YouTube mit schrägen Belastungsproben unterhält – etwa dem Versuch, 24 Stunden lang begraben zu sein. Der 24-Jährige, der offenherzig zugibt, „keine Ahnung von der Politik“ zu haben, dürfte sein EU-Mandat vermutlich ebenfalls wie eine Social-Media-Herausforderung anlegen. Aus ähnlichem Holz geschnitzt ist Fitnesstrainer und Männermodel Nikos Anadiotis aus Griechenland, der für die ultraorthodoxe Partei Niki (die Namensähnlichkeit ist purer Zufall) reüssiert hat und der als EU-Abgeordneter gegen die „sündhafte“ Homosexualität kämpfen will. Kämpfen will auch der ehemalige Rennfahrer Filip Turek – wobei der Gegner des Tschechen das für 2035 avisierte Verbot der Pkw-Verbrennungsmotoren ist.
Am anderen Ende der Ernsthaftigkeitsskala befindet sich Carola Rackete, vormals Kapitänin des Rettungsschiffs Sea-Watch 3. Die deutsche Flüchtlings- und Klimaaktivistin, die mit ihrem Einsatz im Mittelmeer für diplomatische Verstimmungen zwischen Berlin und Rom gesorgt hatte und in Italien kurzfristig in den Hausarrest kam, ist eine der zwei Mandatarinnen, die die (durch die Abspaltung von Sahra Wagenknecht dezimierte) Partei Die Linke ins EU-Parlament entsendet.
Apropos Hausarrest: Für die italienische Neo-Abgeordnete Ilaria Salis ist das EU-Mandat ein Ticket in die Freiheit. Die linksradikale Aktivistin, der in Ungarn eine Haftstrafe wegen tätlichen Angriffs auf (rechtsradikale) Demonstranten droht, genießt nach ihrem Wahlerfolg Immunität und dürfte nun in Budapest freigelassen werden. Ebenfalls in Budapest gesichtet wurde Daniel Obajtek. Gegen den frischgebackenen EU-Mandatar der nationalpopulistischen Ex-Regierungspartei PiS wird in Polen wegen Malversationen während seiner Zeit an der Spitze des staatlichen Ölkonzerns PKN Orlen ermittelt. Von seinem Schutzherren Jarosław Kaczyński mit einem sicheren Platz auf der PiS-Kandidatenliste ausgestattet, setzte sich der 48-Jährige Medienberichten zufolge ins befreundete Ungarn ab, um den Wahlsieg abzuwarten.