Klimakrise

„Trog über Mitteleuropa“: Wie Klimawissenschaftler Hochwasser-Katastrophen beurteilen

Ungemach naht. Eine Unwetter-Front über Attnang-Puchheim steuert auf das Salzkammergut zu. Deutsche Klimawissenschaftler ordnen Unwetter Europas ein.
Ungemach naht. Eine Unwetter-Front über Attnang-Puchheim steuert auf das Salzkammergut zu. Deutsche Klimawissenschaftler ordnen Unwetter Europas ein. APA / Michael Baier
  • Drucken

Wie viel Klimaänderung enthalten die Extrem-Wetterereignisse der vergangenen Wochen? Diese Frage beschäftigt viele. Nun geben die Meteorologen des Deutschen Wetterdienstes eine erste Antwort.

Die wissenschaftliche Distanz gebietet eine distanzierte Formulierung, in der die dramatischen Wetterereignisse so zusammengefasst werden: „Die Wetterlage war geprägt von einem ausgeprägten Höhentrog über Nordwesteuropa, der vom Donnerstag (30.05.2024) zum Freitag (31.05.2024) allmählich in Richtung Süden hin abtropfte (Cut-Off).“ Was die Experten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) da beschreiben, war ein „Gesamtereignis mit einer Länge von fünf Tagen“.

Die Berichterstattung gewichtet die starken Niederschläge als „Katastrophe“, mit einer Vielzahl von Fotos und Videos reißender Flüsse, umgerissener Bäume, zerstörter Häuser und weggespülter Autos bebildert. In den Tagen nach dem 30 Mai wurden über weite Gebiete mehr als 200 Liter pro Quadratmeter gemessen und stellenweise mehr als 250 l/m2.

Trotz uneinheitlichem Bild: „Übersteigt alle Höchstwerte“

„Das Flächenmittel“, so heißt es in er Bewertung des DWD, mache für den Monat Mai gerade einmal 92 Liter aus. Bezieht man die Niederschläge und deren Mengen auf Flusseinzugsgebiete und die Gesamtjahre, dann zeigt sich an den deutschen Flüssen kein einheitliches Bild. Betrachtet man aber den Zeitraum von Mai bis August, insbesondere an den kleineren Flusseinzugsgebieten, dann sind dort Mittelwerte gemessen worden, „die alle bisherigen Höchstwerte einer Fünf-Tagesperiode seit 1931 übersteigen“.

Insgesamt war aber nicht nur Deutschland massiv betroffen, sondern halb Europa. In der ersten Juni-Woche fielen „in einem Gebiet von Südskandinavien bis nach Norditalien verbreitet mehr als 150 Prozent, vielfach mehr als 200 Prozent der normalen Wochen-Niederschlagsmenge“. Und: „In West-Ost-Richtung erstreckte sich dieses Gebiet von Ostfrankreich bis nach Polen, Tschechien, Österreich, Nordwestbalkan. Der Schwerpunkt der Niederschläge lag allerdings über Süddeutschland.“

Der DWD berichtet weiter, dass „Unwetter in Österreich, besonderes im Westen, zu erheblichen Überschwemmungen und zahlreichen Feuerwehreinsätzen“ geführt haben. Betroffen seien vor allem die westlichen Gebiete, Vorarlberg und Tirol, gewesen. So sind in Bregenz innerhalb von 24 Stunden etwa 140 l/m² Niederschlag gefallen, danach noch einmal weitere 80 l/m².

Wie stark geht all das auf Konto des Klimawandels? Im DWD-Statement heißt es dazu in wissenschaftlicher Distanziertheit zurückhaltend: „Allgemein sind extreme Einzelereignisse zunächst kein direkter Beleg für den Klimawandel. Nur langjährige Beobachtungen können zeigen, ob die Häufigkeit bestimmter Ereignisse zugenommen hat oder nicht. Gerade bei extremen Ereignissen, die also nur selten vorkommen, ist es besonders wichtig, einen sehr langen Zeitraum zur betrachten.“

„Ob der Klimawandel nun ein bestimmtes Unwetterereignis verstärkt hat, kann nicht ohne weiteres oder gar pauschal beantwortet werden. Mit „Attributionsstudien“ lässt sich allerdings grundsätzlich abschätzen, inwieweit der vom Menschen verursachte Klimawandel für das Auftreten individueller Wetter- oder Klimaextreme verantwortlich ist.

„Intensität wird höher“

Analysen der Tagesdaten der vergangenen 70 Jahrzehnte zeigen jedoch, dass die Intensität und Häufigkeit von Starkniederschlägen „geringfügig zugenommen haben“. Die diesbezüglichen stärksten Signale gebe es aus den Wintermonaten, für den Sommer zeige es auch hier – noch – „kein klares Bild“. Die deutschen Meteorologen führen dies darauf zurück, dass die Anzahl der Tage mit Niederschlag eher abnimmt, während die Intensität der Niederschläge höher wird.

Insgesamt war für die folgenschweren Unwetter, die Todesopfer, Verletzten und Sachschäden unglaublichen Ausmaßes verursacht haben, entscheidend, dass die Luft über dem Mittelmeer, aber auch über dem Nordatlantik und der Ostsee „stark mit Feuchtigkeit angereichert war“. Dazu ist noch gekommen, dass die Meerestemperatur deutlich über dem langjährigen Durchschnitt lag. Und schließlich sind die Durchschnittstemperaturen der Luft in den vergangenen zwölf Monaten deutlich über dem langjährigen Durchschnitt gelegen sind.

Letztere sind auch ein Beleg dafür, dass in jeder Hitzewelle, die wir erleben, auch ein Teil „Klimaänderung“ enthalten ist. Bezüglich der Niederschlagsereignisse lässt sich das nicht mit dieser Deutlichkeit sagen, weil hier die gestiegenen Temperaturen einer der auslösenden Faktoren ist, es aber auch noch anderer meteorologischen Puzzle-Teile bedarf.

„Tendenz zur Zunahme“

Jedenfalls schlussfolgert der DWD, dass „auf Basis von Klimaprojektionen abgeschätzt werden kann, dass sich diese Tendenz fortsetzen wird. Die Niederschlagsmengen an Starkniederschlags-Tagen im Sommer werden wahrscheinlich weiter steigen. Auch die maximalen Ein-Tages- und Fünf-Tages-Niederschlagssummen dürften zunehmen. Für Niederschläge über kürzere Dauer gibt es, so der DWD, derzeit nur wenige Mess- und Modelldaten für Deutschland. „Aber auch hier zeichnet sich in den Modelldaten eine Tendenz zur Zunahme der Häufigkeit und Intensität von Starkniederschlägen in der Zukunft ab.“

Schwerpunkt Klimawandel

Die Erderhitzung und die grüne Wende verändern Natur, Gesellschaft und Märkte auf der Welt grundlegend. Das Klima-Team der „Presse“ liefert Hintergründe, jüngste Forschungsergebnisse und Debatten rund um eines der drängendsten Probleme unserer Zeit.

Alle Artikel finden Sie unter diepresse.com/klima. Sie wollen keinen wichtigen Beitrag verpassen? Abonnieren Sie Klimawandel als Push-Nachricht in den Einstellungen der „Presse“-App.

Und: Hören Sie doch einmal in den Klimapodcast „Der letzte Aufguss“ !

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.