Frankreich

Macron stoppt umstrittene Wahlrechtsreform im Überseegebiet Neukaledonien

Folgen des Aufstands: ausgebrannte Autos.
Folgen des Aufstands: ausgebrannte Autos.APA / AFP / Theo Rouby
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Der französische Präsident sprach am Mittwoch bei einer Pressekonferenz offiziell von einem „Aussetzen“ des Projekts. In den vergangenen Wochen hatte es wegen der geplanten Reform bürgerkriegsartige Zustände auf dem pazifischen Archipel gegeben.

Paris/Nouméa. Frankreich hat eine geplante Wahlrechtsreform in seinem pazifischen Überseegebiet Französisch-Neukaledonien östlich von Australien gestoppt. Präsident Emmanuel Macron sprach von einem „Aussetzen“ des Plans bei seiner Pressekonferenz am Mittwoch. Ob die umstrittene Reform zu einem späteren Zeitpunkt erneut diskutiert werden könnte, ließ Macron offen.

Die Inselgruppe, die etwa so groß ist wie Niederösterreich und rund 270.000 Einwohner hat, war 1853 von Frankreich annektiert worden. Durch Zuzug aus Frankreich und anderen Ländern Europas, aus Asien und diversen pazifischen Inselregionen ist die indigene Bevölkerung der Kanaken auf heute nur noch etwas über 40 Prozent geschrumpft und fühlt sich zusehends benachteiligt.

Die geplante Verfassungsreform hätte den französischstämmigen und sonst zugezogenen Bürgern noch mehr Einfluss gegeben, wobei der Hauptknackpunkt jener bezüglich einer etwaigen Abstimmung über die Unabhängigkeit Neukaledoniens ist. Die Reform hätte nämlich hier das Wahlrecht der Zuwanderer zulasten der Kanaken erweitert: Erstere mussten bisher 25 Jahre auf Neukaledonien gelebt haben, um bei einem Unabhängigkeitsreferendum mitzustimmen, das sollte auf zehn Jahre gesenkt werden. Europäische, melanesische, asiatische Zuwanderer sind allerdings weitgehend für den Verbleib bei Frankreich und lehnten diese Beschränkung formal als rassistische Diskriminierung ab.

Wenn Zuwanderer die Locals aushebeln

Mitte Mai brachen Unruhen aus, bei denen Kanaken gegen die Reform protestierten. Häuser wurden verwüstet, Läden geplündert, Straßen gesperrt, es gab Zusammenstöße mit Polizei und Gendarmerie. Umgekehrt boten die französischstämmigen Bewohner, von denen jene mit der längsten Ahnenreihe im Land „Caldoches“ heißen und eine ganz eigene Siedlerkultur entwickelt haben, Bürgerwehren auf. Unter den Caldoches haben aber nicht wenige Wurzeln auch in anderen Ländern Europas, etwa in Irland, Italien, Deutschland, Belgien.

„Buschmänner“ (Broussards) der Caldoches.
„Buschmänner“ (Broussards) der Caldoches.Roman B./Free Art License 1.3

Es gab in den Folgetagen mindestens acht Todesopfer und mehr als 300 Verletzte, über eine Luftbrücke via Nordamerika flog Frankreich mehr als 1000 Mann der Gendarmerie und polizeilicher Spezialeinheiten ein. Ende Mai beruhigte sich die Lage oberflächlich, mehrere Tausend Touristen vor allem aus Australien und Neuseeland wurden wegen der Unterbrechung der Zivilflüge mit Militärflugzeugen ausgeflogen.

Die Situation erinnert frappant an die 1980-Jahre, als es wegen der Unabhängigkeitsfrage einen jahrelangen Bürgerkrieg gab (siehe die erste Geschichte unten). Die Lage wurde später durch Verträge und politische Reformen entschärft, drei Unabhängigkeitsabstimmungen gingen bisher indes negativ aus. (ag./wg)

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