Ukraine-Krieg

Russland gibt entführte ukrainische Kinder auf Webseiten zur Adoption frei

Ein Kinderheim in Cherson: Russische Behörden verschleppten Kinder aus der ostukrainischen Stadt und brachten sie auf die Krim.
Ein Kinderheim in Cherson: Russische Behörden verschleppten Kinder aus der ostukrainischen Stadt und brachten sie auf die Krim.Alina Smutko
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US-Sicherheitsberater Jake Sullivan spricht von „verabscheuungswürdigen“ Taten: Die „Financial Times“ zeichnet die Spuren von Kindern, die nach Russland verschleppt worden sind, nach.

„Verabscheuungswürdig und entsetzlich.“ So beschreibt Jake Sullivan, der Sicherheitsberater des US-Präsidenten, das Vorgehen russischer Behörden und bestätigt damit einen Bericht der „Financial Times“: Russland gebe aus der Ukraine entführte Kinder zur Adoption frei, und zwar auf einer regierungsnahen Adoptionswebseite. „Russland führt Krieg nicht nur gegen das ukrainische Militär, sondern auch gegen die ukrainische Bevölkerung“, sagte Sullivan in einer Aussendung am Mittwoch.

Mittels Bilderkennungstechnologie, öffentlicher Dokumente sowie Interviews mit ukrainischen Beamten und Verwandten der Kinder identifizierte die „Financial Times“ vier ukrainische Kinder zwischen acht und 15 Jahren auf der Adoptionsseite usynovite.ru. Bei einem Kind seien sogar Namen und Alter geändert worden, eines sei mit der russischen Version seines ukrainischen Namens auf der Webseite registriert. Vom ukrainischen Ursprung sei nirgends die Rede.

Die Kinder seien aus Städten in der südlichen und östlichen Ukraine, die 2022 von der russischen Armee erobert worden waren, entführt worden. Derzeit lebten sie im südlich von Moskau gelegenen Tula, in Orenburg nahe der kasachischen Grenze und auf der 2014 von Russland annektieren Krim.

Babys und Kleinkinder aus Cherson entführt

Bereits zuvor hatte die „New York Times“ von einer Gruppe ukrainischer Kinder berichtet, die aus einem Kinderheim in Cherson entführt worden waren. In einer konzertierten Propagandaaktion waren 46 Babys und Kleinkinder 2022 zunächst auf die Krim gebracht worden und hatten dort die russische Staatsbürgerschaft erhalten. Später wurden auch einige von ihnen über russische Adoptionsseiten zur Adoption freigegeben.

Mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft an die ukrainischen Kinder erleichtert der russische Staat einerseits die Adoption, andererseits macht er Recherchen zum Aufenthaltsort der Kinder und somit ihre Rückkehr nahezu unmöglich. Sieben der Kinder hatten Glück: Sie konnten mithilfe ukrainischer Behörden und Vermittlern aus Katar wieder in ihre Heimat gebracht werden. 17 Kinder aus der Gruppe seien nach wie vor auf den Adoptionsseiten gelistet, berichtet die „Financial Times“ nun.

„Kriegsverbrechen“: Kinder werden an Rückkehr gehindert

Nach ukrainischen Angaben soll Russland Tausende Minderjährige aus den russisch besetzten Gebieten der Süd- und Ostukraine nach Russland verschleppt haben. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geht von mindestens 20.000 Verschleppungen aus, die Dunkelziffer könnte weitaus höher liegen. „Manche Fälle laufen auf ernste Verstöße gegen die Genfer Konvention sowie auf Kriegsverbrechen hinaus“, hieß es in einem Bericht vergangenes Jahr. In Camps, die teilweise als Umerziehungslager gewertet werden können, werden die Kinder russischen Informationskampagnen ausgesetzt und manchmal auch der Militärerziehung unterworfen.

Die Russische Föderation unternehme keine aktiven Schritte für die Rückkehr ukrainischer Kinder, konstatierten die OSZE-Experten in dem Bericht. Sie schaffe vielmehr Hindernisse für Familien, die versuchen, ihre Kinder zurückzubekommen. Letzteres widerspreche den Prinzipien der Genfer Konventionen.

„Entführungen sind eine „qualitative Zerstörung“

„Dass russische Streitkräfte und Behörden Kinder entführen und zwingen, sich in russischen Familien zu integrieren, wird als Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit qualifiziert“, sagte dazu Menschenrechtsanwalt Gabriel Sebbah im Gespräch mit der „Presse“. „Der Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs definiert Genozid als Handlung, die darauf abzielt, ethnische, nationale, religiöse Gruppen zu zerstören. Die Entführungen sind eine ‚qualitative Zerstörung‘, Kinder garantieren das Überleben der Gruppe.“

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat daher gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und die Kinderbeauftragte Maria Lwowa-Belowa einen internationalen Haftbefehl ausgestellt. Diese leugnen die Verschleppung der Kinder und behaupten, sie handelten im besten Interesse der Minderjährigen. (me)

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