Wiener Festwochen

„Tempest Project“: Drei alte Meister lösen einen wahren Sturm aus

Ein zauberhafter Shakespeare-Abend.
Ein zauberhafter Shakespeare-Abend.Marie Clauzade
  • Drucken

Peter Brooks letzte Inszenierung galt William Shakespeares letztem Stück: „Tempest Project“ im Jugendstiltheater am Steinhof ist ein Fest der Fantasie, vom tollen Ensemble subtil gespielt und umso mehr bewegend.

Wie soll man sich Prospero vorstellen, den fantastischen Protagonisten aus William Shakespeares letzter Romanze „Der Sturm“, die wahrscheinlich 1611 entstanden ist? Das Schicksal hat diesen einst durch seinen bösen Bruder Antonio entmachteten Herzog von Mailand mit seiner jungen Tochter Miranda auf eine Insel fern der Zivilisation verschlagen. Seit zwölf Jahren beherrscht er die seltsamen Wesen dort, repräsentiert durch einen Luftgeist und ein Monster. Prospero regiert mit Zauberkraft. Mit ihr beschwört er auch einen Sturm herauf, der Gelegenheit zur Rache bietet; so gerät die Flotte Neapels, die gerade die Insel passieren will, mit dem König und dessen Sohn Ferdinand, dem Hofstaat und auch mit Antonio in seine Gewalt.

Wie spielt man solch eine Figur, die nach einer langen Phase der Verbitterung in einem Spiel voller Intrigen letztendlich doch für fast alle Beteiligten eine ganz andere Art von Vergangenheitsbewältigung wählt? Wer weiß, vielleicht führt sie sogar in eine bessere Zukunft? Der Mann beherrscht nämlich nicht nur diverse Künste, er dürfte weise sein, agiert nicht sonderlich viel, sondern führt Regie. Er benimmt sich auch wie ein Zuseher. Gewaltige Macht-Fantasien bauen sich vor ihm auf.

Hoch konzentrierte Theater-Magie

Am besten stellt man sich Prospero wie Peter Brook vor. Als alten Meister. Dieser Brite, der das Theater seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts wie nur wenige prägte, hat sich sein Künstler-Leben lang mit „The Tempest“ beschäftigt. Der Schwanengesang Shakespeares ist auch der seine geworden: „Tempest Project“, gemeinsam mit Marie-Hélène Estienne fürs Pariser Théâtre des Bouffes du Nord erarbeitet, haben sie 2022 in Montpellier uraufgeführt. Wenige Tage nach der Premiere starb Brook am 2. Juli 2022 im 98. Lebensjahr. Am Mittwoch gab es bei den Wiener Festwochen im Jugendstiltheater am Steinhof die Premiere dieses Gastspiels aus Paris.

Magisches Theater ist zu erleben. Von den 2275 Zeilen des zum Großteil in Versform geschriebenen Stückes (hier in anmutiger französischer Übersetzung mit englischen und deutschen Untertiteln) wurde geschätzt ein gutes Drittel verwendet. Auf wenige Handlungsstränge reduziert, dauert die Vorstellung nur zirka 80 Minuten. Im Kopf wirkt sie noch weit länger nach. Brook, der seine Vorstellung vom Theater 1968 in dem Buch „The Empty Space“ als Quintessenz offeriert hat, braucht keine Videos, keine barocke Pracht, um die Sprache dramatisch zur Wirkung kommen zu lassen. Für das „Tempest Projekt“ genügen als Ausstattung zwei schwarze Sitzbänke links und rechts, etwas Holz (Stümpfe, Stöcke und Stäbe), ein paar Teppiche, Kleidungsstücke, die manche Figuren zur Verwandlung brauchen, sparsame Lichteffekte (Philippe Vialatte) und ein bisschen Musik (Harué Momoyama). Den Rest besorgen vor allem die Sprache und Körpersprache, die punktgenau eingesetzt werden. Sechs Darstellern gelingt es, das Wesentliche des „Sturms“ auf die Bühne zu bringen.

Ery Nzaramba ist ein junger Prospero. Er verleiht dieser Traumrolle natürliche Autorität. Da sitzt er zu Beginn, es wird dunkel, es wird hell, auf einem Holzstumpf, hantiert mit dem Stab. So wenig Bewegung ist nötig, um die Natur zum Toben zu bringen. Auch sonst, wenn es eng wird, verliert dieser Mann kaum die Fassung. Etwas mehr Passion und auch einen leichten Hang zur Posse zeigt Marilú Marini als Luftgeist Ariel, der Prospero stets zu Diensten ist, aber längst schon nur mehr eines will: Endlich wieder frei sein, nachdem er zuerst von einer bösen Hexe und nach deren Tod von Prospero geknechtet wurde.

Endlich wieder frei sein!

Frei sein will auch Caliban. Dieser „Wilde“ drückt das ganz unverblümt aus. Sylvain Levitte verleiht ihm komödiantische Leichtigkeit, die das Problematische dieser Figur (mit ihrem heute politisch völlig inkorrektem Exotismus) rasch vergessen lassen. Bei Shakespeare und in dieser Inszenierung spielen diese Bedenken keine Rolle. Levitte spielt zudem den Prinzen Ferdinand, der sich in Miranda (Paula Luna) und in den sich diese Hals über Kopf verknallt. Zwei blutjunge Narren der Liebe harmonieren in dieser Tändelei aufs Schönste. In anderen Szenen macht Luna hingegen bald deutlich, dass Mirandas Disharmonien mit dem Vater nur harmonisch, also ganz in deren Sinn, aufgelöst werden können. Gustostückerl der Komik liefern die Zwillinge Fabio und Luca Maniglio als Trunkenbolde, die den Aufstand wagen. Natürlich scheitern sie an Prospero.

All diese rätselhaften Allegorien Shakespeares bescheren in Wien einen zauberhaften Abend. Das Stück und die Aufführung sind von der Melancholie des Alters durchtränkt. Nur ein Windhauch ist das Leben. Shakespeare und Brook bedeuten das durch Prospero so: „Wir sind der Stoff, aus dem die Träume sind, und unser kleines Leben wird von Schlaf umhüllt.“ Zum Schluss wendet er sich ans Publikum und bittet höflich um Applaus. Da weiß man es genau: Die Kunst des Verzauberns hat für solch alte Herren nun ein Ende.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.