Der Gipfel auf dem Bürgenstock sei bestenfalls eine „Vorfriedenskonferenz“, sagt der deutsche Historiker Jörn Leonhard. In Moskau sieht er derzeit wenig Anzeichen für Verhandlungsbereitschaft. Leonhard warnt vor einer Überforderung der Verhandler, problematisiert das Fehlen einflussreicher Vermittler und prognostiziert, dass am Ende des russisch-ukrainischen Krieges kein großer Vertrag stehen könnte.
Die Presse: Der Friedensgipfel in der Schweiz soll das Lager der Ukraine-Unterstützer konsolidieren. Russland ist vorerst nicht eingeladen. Gibt es für diese Vorgangsweise historische Vorbilder?
Jörn Leonhard: In der Neuzeit gab es viele Friedensverhandlungen, die mit sogenannten Vorfriedenskonferenzen begannen. Auch die Pariser Friedenskonferenz von 1919 begann formal als Vorfriedenskonferenz. Die Sieger von 1918 mussten zunächst ihre eigene Position klären und nach einer Einigung suchen. Aufgrund der großen Interessensgegensätze dauerte das Monate.
Welcher Abstimmungsbedarf besteht im aktuellen Fall?
Aktuell geht es darum, zunächst die westliche Unterstützung für die Ukraine zu stärken und mögliche Szenarien und Auswege im Gespräch zwischen Europäern und den USA zu erkunden. Zudem nutzt man solche Vorverhandlungen, um herauszufinden, wer über Ansprechpartner bei der gegnerischen Partei verfügt, welche sicheren Kommunikationskanäle es gibt und wie sich eine Kontaktgruppe einrichten lässt. Idealtypisch bereitet man die eigentliche Friedenskonferenz so gut vor, dass später die meisten Steine aus dem Weg geräumt sind. Davon ist man jetzt noch sehr weit entfernt.
Wie aussichtsreich ist denn der Versuch eines mehrschrittigen Vorgehens unter heutigen Bedingungen?