Interview

Die neue Verletzlichkeit der Städte

Nur wenige Oasen und zu viel Asphalt: die Seestadt Aspern. Neubauten sollten gleich klimaresilient sein, sagt Krellenberg.
Nur wenige Oasen und zu viel Asphalt: die Seestadt Aspern. Neubauten sollten gleich klimaresilient sein, sagt Krellenberg.Georg Hochmuth
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In dicht besiedelten Gebieten brauche es mutigere Lösungen, um dem Klimawandel zu begegnen, sagt Kerstin Krellenberg, Professorin für Urban Studies an der Uni Wien. Und fordert mehr Entsiegelung.

Die Presse: Vergangenes Wochenende gab es u. a. im Norden von Graz nach Stark­regen, Hagel und extremen Sturmböen Zivilschutzalarm. Kommende Woche soll es dann in ganz Österreich richtig heiß werden. Wie können sich die Städte für den Klimawandel wappnen?

Kerstin Krellenberg: Es gibt diese Parallelität der Ereignisse durch die zunehmende Erwärmung der Atmosphäre. Dadurch haben wir vor allem in Wien und anderen Städten die große Hitze, aber auch Starkregenereignisse. Die werden immer öfter kommen, sie werden stärker auftreten, und man muss sehen, wie man sich gegen beides auch gleichzeitig wappnen kann. Wien ist bis jetzt noch gut geschützt bei Donau-Hochwasser – wir haben die Neue Donau, die das abfedert, weil wir die Wehre aufmachen können. Aber in anderen Städten und Gemeinden müssen wir uns sehr viel stärker darum kümmern.

Es gibt also Maßnahmen, die bei beidem – Hitze und Starkregen – helfen?

Ja. Eine Möglichkeit ist, von versiegelten Flächen wegzugehen. Dort können die Böden kein Wasser aufnehmen, es entstehen Sturzbäche. Mit Begrünung fördert man, dass Wasser wieder aufgenommen werden kann und es zugleich bei Hitze Kühleffekte gibt.

Ein großes Thema, bei dem sich bei uns nur in kleinen Schritten etwas bewegt . . .

Wir haben die große Herausforderung, dass wir in dicht besiedelten Gebieten dicht bleiben wollen. Wenn wir weiter ins Umland gehen, bekommen wir neue Effekte, die wir nicht haben wollen: etwa mehr Pendlerverkehr. Dazu brauchen wir aber mutige Lösungen.

»Wir brauchen mutige Lösungen, wo man nicht immer neu zwischen Baum und Parkplatz verhandelt, sondern klare Grenzen vorgibt, wie viele Parkplätze neu geschaffen werden dürfen.«

Kerstin Krellenberg,

Uni Wien

Wie könnten die aussehen?

Dass man nicht immer neu zwischen Baum und Parkplatz verhandelt, sondern klare Grenzen vorgibt, wie viele Parkplätze neu geschaffen werden dürfen. Und dann mutig sagt: Hier geben wir dem grünen Bereich mehr Raum und den versiegelten Verkehrsflächen weniger. Immer wieder Lösungen auszuhandeln, kostet unheimlich viel Zeit. Klare Vorgaben, auch im Sinne von Gesetzen und Maßnahmenregelungen, wären eine Erleichterung.

Darüber hinaus gibt es immer wieder Konflikte zwischen Denkmal- und Klimaschutz – Stichwort Umbau Michaelerplatz. Kann es überhaupt Lösungen geben, die allen Seiten genügen?

Sie können nur entstehen, indem man mit sich mit allen Beteiligten gemeinsam darüber auseinandersetzt. Solche Prozesse sind nicht immer einfach. Sie sind etwas typisch Städtisches, weil wir da so viele Akteure haben. Wir müssen es aber tun, sonst bleibt am Ende die Unzufriedenheit. Auch hier ist es wichtig, dass man sagt: Wo liegt unsere Priorität als Stadt und wie können wir Klimaschutz und -anpassung und trotzdem Denkmalschutz betreiben?

Sie haben im Juli 2021 – gemeinsam mit anderen Forschenden – fünf Prinzipien für klimasichere Kommunen und Städte präsentiert. Da ging es um Frühwarnsysteme, Speicherfähigkeit, Klimaprüfung kritischer Infrastruktur u. ä. Was fällt Ihnen auf, wenn Sie heute durch Wien oder andere Städte spazieren: Was ist gut umgesetzt? Und was geht gar nicht?

Insgesamt geht alles noch zu langsam. Es wird zu oft gezögert, Sachen werden wieder rückgängig gemacht, bevor man eine klare Linie vorgegeben hat. Natürlich kann auch etwas scheitern, man kann es beim nächsten Mal anders machen. Aber wenn man sich die Seestadt oder andere Beispiele anschaut, fragt man sich: Kann man nicht die Planung früher nachregulieren? Zu argumentieren, unsere ersten Planungen wurden vor 15 Jahren gemacht und da war der Klimawandel noch kein Thema, ist heute eigentlich nicht mehr tragbar. Wir haben es schon lang gewusst.

Was konkret hätten Sie in der Seestadt nachreguliert?

Es gibt einen sehr hohen Anteil an asphaltierten Flächen. Zum Teil wurde das etwas aufgebrochen, aber nur in kleineren Bereichen.

Warum heizen sich Städte so stark auf?

Eben wegen dieser hohen Versiegelungsgrade. Und weil vor allem Materialien verbaut werden wie Beton, Asphalt und auch viele Glasflächen: Die speichern sehr viel Wärme und geben diese auch wieder ab. Das ist dieser sogenannte urbane Hitzeinsel-Effekt. Er sorgt dafür, dass wir in Städten wie Wien Tropennächte – und keine Abkühlung mehr haben. Und wo es dann eben auch sehr anstrengend wird, sich zu erholen und zu schlafen.

Welchen Beitrag können Sie bei alldem mit Ihrer Forschung leisten?

Uns geht es stark – und das fehlt auch noch aus meiner Sicht in Wien – um die Frage nach der urbanen Vulnerabilität, der Verwundbarkeit. Man sagt oft: Es sind die älteren Menschen, die mit Vorerkrankungen, die gegenüber Hitze besonders gefährdet sind – ja, aber es ist ganz entscheidend, wo in der Stadt sich diese Leute aufhalten bzw. wo sie wohnen. Und dann gibt es noch andere Benachteiligungen: Wie sind die Gebäude beschaffen? Sind sie gedämmt oder nicht? Gibt es Grünflächen?

Wirkt da nicht stark das soziale Gefälle hinein?

Ja, gerade das ist das Problem, weil es sich so verstärkt. Sozial schwächere Menschen wohnen in bestimmten Stadtteilen und sind dann noch zusätzlich benachteiligt. Da kommen wir in Fragen der Umweltgerechtigkeit hinein, dazu würden wir gern näher forschen. Man muss alles in Zusammenhängen denken, das versuchen wir durch transdisziplinäre Forschung partizipativ umzusetzen: also in Zusammenarbeit mit politischen Vertretern, mit Verwaltungen, aber eben auch mit der Zivilgesellschaft. Da braucht es auch neue Ansätze, um etwa Jugendliche oder Migrantinnen und Migranten besser zu erreichen.

Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist Lateinamerika, Sie haben sich schon vor rund 20 Jahren mit stadtökologischen Perspektiven von Buenos Aires befasst. Können wir davon etwas lernen?

Viel, weil sie dort deutlich früher sehr hohe Urbanisierungsraten hatten. Und Lateinamerika war schon immer sehr stark von diesen sozialräumlichen Ungleichheiten geprägt – die nahmen in den vergangenen Jahren auch in europäischen Städten zu. In Santiago de Chile haben wir gegenüber Hitze besonders vulnerablen ärmeren Haushalten geraten, die Dächer weiß zu streichen. Wir sprechen da freilich nicht von Dächern wie in Wien, das sind einfachere Häuser, teils mit Wellblechdächern. Ein anderes Beispiel – und das können wir auch in Wien machen – waren Baumpatenschaften: Sie zeigen den Mehrwert von Grün und schärfen gleichzeitig das Verantwortungsbewusstsein dafür, dass man diese Bäume gießen und sich darum kümmern muss. Es gilt generell, den Austausch zwischen den Städten zu fördern: Aber wir brauchen nicht nur Best-Practice-Beispiele. Wir brauchen auch Austausch darüber, was nicht so gut lief, damit wir da voneinander lernen können.

Digitalisierung ist auch eines ihrer Themen. Wie kann man die neuen Technologien nutzen, um dem Klimawandel in den Städten besser zu begegnen?

Zum Beispiel mit einem stärkeren Monitoring von Umweltdaten: indem wir mehr Sensoren installieren und Messstationen einrichten und so Fragen der Frühwarnung und der Klimaanalyse vorantreiben. Oder im Verkehr, um Verkehrsströme zu optimieren. Man kann auch darüber nachdenken, ob sich Apps für den öffentlichen Personennahverkehr kombinieren lassen: Dass man mit einer App alles bucht, zusätzlich sein Fahrrad mitnimmt und an der nächsten Haltestelle einen E-Scooter ausleiht, zum Beispiel. Digitalisierung kann aber auch im Nachbarschaftsbereich helfen: dass man sich einerseits noch stärker informieren kann über Gefahren. Oder für Sharing: Wie kann man etwa sein Auto oder andere Geräte teilen?

»Die eine Stadt der Zukunft wird es nicht geben. Wir brauchen für alle Städte unterschiedliche Lösungsansätze, weil wir unterschiedliche Herausforderungen haben.«

Kerstin Krellenberg,

Uni Wien

Wie müsste denn die Stadt der Zukunft aussehen, damit Sie sagen: So soll es sein?

Die eine Stadt der Zukunft wird es nicht geben. Wir brauchen für alle Städte unterschiedliche Lösungsansätze, weil wir unterschiedliche Herausforderungen haben. Wir werden nicht darum herumkommen, die Mobilität zu verändern, sodass wir weniger Autoverkehr haben.

Verzicht also.

Ja. Und wir müssen intelligentere Lösungen haben, wie wir die begrenzte Fläche multifunktional nutzen können: Wie können wir, auch in so dichten und kompakten Städten, Begrünung haben, etwa auf Dächern oder Fassaden?

Das starke Wachstum der Städte wirkt bei alldem erschwerend.

Sehr. Gerade in Wien ging es viel rasanter als gedacht. Das ist natürlich die große Herausforderung: Wie können wir Wohnraum schaffen und gleichzeitig Wohnraum verbessern? Wir haben ja sehr viel Bestandsquartiere: Auch dort will man den Menschen gute Voraussetzungen bieten, dass sie unter den neuen Klimabedingungen gut leben können. Wo Neubauten nötig sind, gilt es, gleich klimaresilient zu bauen ohne neue Probleme zu schaffen, indem wir zum Beispiel wieder stark versiegeln. Man muss von Vornherein über eine gute Öffi-Anbindung nachdenken und Anreize schaffen, auf das Auto zu verzichten.

Zur Person

Kerstin Krellenberg promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin in Geografie und habilitierte sich in Leipzig. Seit 2020 ist sie Professorin für Urban Studies und Mitglied im Forschungsverbund Umwelt und Klima der Uni Wien. Ihre Schwerpunkte sind urbane Nachhaltigkeitstransformationen, urbane Vulnerabilität und urbane Anpassung.

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