EU-Renaturierungsgesetz

Koalitionskrach spitzt sich zu: Nehammer erklärt Gewessler für „nicht bevollmächtigt“

Kanzler Nehammer und Umweltministerin Gewessler
Kanzler Nehammer und Umweltministerin Gewessler Reuters / Lisa Leutner
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Die Umweltministerin will heute dem EU-Renaturierungsgesetz zustimmen, die ÖVP ist schärfstens dagegen und ortet einen Gesetzesbruch. Gewessler gibt sich trotz der Ankündigung rechtlicher Konsequenzen „zuversichtlich“. Der Kanzler kontert per Schreiben an den EU-Ratsvorsitz und droht mit einer Klage.

Das Klima innerhalb der türkis-grünen Regierung ist eisig. Nachdem Leonore Gewessler (Grüne) am Sonntag angekündigt hat, bei heutigen Treffen der EU-Umweltminister in Luxemburg dem umstrittenen EU-Renaturierungsgesetz zustimmen zu wollen, warf ihr die Volkspartei vor, mit Anlauf einen „Gesetzes- und Verfassungsbruch“ zu begehen. „Das ist in höchstem Maße unverantwortlich und befremdlich, ist sie doch wie alle übrigen Regierungsmitglieder vom Bundespräsidenten auf die Verfassung angelobt“, kritisierte etwa Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP). Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) richtete Gewessler zudem aus, dass ein solches Verhalten wohl einen Bruch der Koalition auf Bundesebene darstelle.

Nicht begeistert zeigte sich ebenso die FPÖ. „Es liegt in der Verantwortung der ÖVP und von Kanzler Nehammer, sofort durchzugreifen“, sagte FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz. „Machtpolitisches Kalkül darf hier nicht über den Interessen Österreichs stehen. Greift die ÖVP nicht durch, trägt sie in vollem Umfang die Verantwortung“, befand er.

Gewessler zeigte sich von der Kritik sowie etwaigen juristischen Konsequenzen unbeeindruckt. „Ich werde zustimmen, wenn es zu einer Abstimmung kommt“, kündigte sie an. „Jetzt zu zögern, geht sich mit meinem Gewissen nicht aus“, betonte sie am Sonntag. Am Montag legte sie im Interview mit dem Ö1-„Morgenjournal“ nach: „Wir stehen hinter der Natur - ich bin noch zuversichtlich, dass uns dieser Beschluss heute gelingt.“ Denn. Es gehe „um unser aller Lebensgrundlage“, daher sei heute „eine einzigartige Möglichkeit“, ein Naturschutzgesetz „für unseren Kontinent“ zu schaffen - und diese solle man nutzen, beharrte sie.

Ohne intakte Natur gebe es „kein gesundes und glückliches Leben“, sagte Gewessler weiter. Ihrer Ansicht nach sei der Beschluss des EU-Renaturierungsgesetzes daher „nur mehr eine Formsache“.

Gewessler rechnet nicht mit Koalitions-Aus

Dass sie heute zustimmen werde, habe sie sich genau überlegt. Die Wiener Landesregierung habe sich zuletzt für das Gesetz ausgesprochen und sei daher aus den Reihen der übrigen Bundesländer ausgeschert. Damit sei sie nicht mehr an deren ursprüngliche Stellungnahme gebunden, befand Gewessler. Sie habe mit vielen Rechtsexperten gesprochen und diese hielten ihre Zustimmung für machbar. Allerdings: Es gibt auch gegenteilige Sichtweisen, etwa aus den Reihen der Volkspartei. Darauf angesprochen, meinte Gewessler im ORF-Radio: Sie gehe „nicht davon aus“, dass die ÖVP die Zusammenarbeit im Bund mit den Grünen aufgrund ihres Vorgehens beenden werde. „Wir haben in den letzten Jahren vieles weitergebracht und wir haben im Parlament viele Pakete liegen“, zählte sie auf.

Ob sie eine Ministeranklage aufgrund ihres Verhaltens erwarte und schon einen Anwalt habe? „Nein“, antwortete Gewessler knapp: „Wir haben einen rechtskonformen Weg gefunden“, gab sie sich überzeugt. Allerdings räumte sie ein: Die Wiener Landesregierung hätte es ihr „einfacher machen können“. Aber: Sie stehe zu ihrer Entscheidung und werde dafür auch die Verantwortung tragen.

Nehammer: Gewessler „nicht bevollmächtigt“

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) wandte sich aufgrund von Gewesslers Ankündigung noch in der Nacht auf Montag in einem Schreiben an den belgischen Ratsvorsitz. Eine Zustimmung von Gewessler zur EU-Renaturierung wäre rechtswidrig und die Ressortleiterin „nicht bevollmächtigt“ heute zuzustimmen, heißt es in der Nachricht, die der „Presse“ vorliegt. Es müsse daher „bei der bereits gemäß den üblichen Verfahren eingemeldeten Stimmenthaltung Österreichs bleiben“. Andernfalls werde Österreich eine Nichtigkeitsklage beim EuGH einbringen müssen.

Zur Untermauerung verwies Nehammer in dem Schreiben darauf, dass eine „aufrechte negative Stellungnahme der Bundesländer vorliegt und das notwendige Einvernehmen zwischen den betroffenen Bundesministerien fehlt“. Daher sei wie in anderen Staaten auch „die Voraussetzungen für eine Zustimmung zum vorliegenden Entwurf nicht gegeben“. Das Einbringen einer derartigen Nichtigkeitsklage müsste laut Bundeskanzleramt vermutlich durch Verfassungsministerin Edtstadler erfolgen. Ein Ministerratsbeschluss - und damit die Zustimmung der Grünen - wäre indes wohl nicht notwendig.

Belgien widerspricht Österreich

Gewessler selbst wollte sich am Montag nach Bekanntwerden des Schreibens von Nehammer nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen: „Es gibt die in diesem Brief angesprochene Bevollmächtigung weder im österreichischen Recht, noch im europäischen Recht. Ich werde daher vorgehen, wie vorgesehen“, kommentierte sie. Einer „allfälligen“ Klage sehe sie gelassen entgegen.

Auch der belgische EU-Ratsvorsitz sah die Angelegenheit etwas anders als Nehammer. „Auf unserer Seite wird vom anwesenden Minister im Raum abgestimmt, so läuft das ab“, sagte der zuständige belgische Minister Alain Maron (Grüne) vor dem Treffen in Luxemburg. „Für den Rest ist das eine innerösterreichische Kontroverse, die mich nichts angeht.“ Man habe dies überprüfen lassen und es sei legal, heute eine Abstimmung zum Renaturierungsgesetz abzuhalten.

Fest steht: Das EU-Renaturierungsgesetz (Nature Restoration Law) ist ein zentraler Teil des umfassenden Klimaschutzpakets „Green Deal“, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden soll. Das übergeordnete Ziel ist die langfristige und nachhaltige Wiederherstellung biologisch vielfältiger und widerstandsfähiger Ökosysteme. Das bedeutet unter anderem aufgeforstete Wälder, wiedervernässte Moore sowie natürlichere Flussläufe und in der Folge den Erhalt der Artenvielfalt.

>>> Gewessler im Ö1-„Morgenjournal“

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