Beschluss

„Ja“ zu EU-Renaturierungsgesetz: ÖVP zeigt Gewessler wegen Amtsmissbrauchs an

Symbolbild
SymbolbildAPA / Roland Schlager
  • Drucken

Die EU-Umweltminister, darunter Leonore Gewessler, haben dem umstrittenen Gesetz zugestimmt. Österreichs Kanzleramt kündigt deshalb eine Nichtigkeitsklage beim EuGH an. Ob die Koalition von ÖVP und Grünen das übersteht, ist fraglich. Fest steht: SPÖ und FPÖ üben harte Kritik am türkis-grünen Vorgehen.

Die türkis-grüne Koalition steht nach der Ankündigung der grünen Umweltministerin Leonore Gewessler, auf EU-Ebene für das Renaturierungsgesetz zu stimmen, auf Messers Schneide. In der ÖVP ist man höchst verärgert über den grünen Alleingang, sieht darin einen „Gesetzes- und Verfassungsbruch“ – über mögliche (rechtliche) Konsequenzen wird seit Sonntag beraten. Ob man die Koalition so kurz vor der Nationalratswahl Ende September jetzt aufkündigt, ist vor allem eine wahlkampftaktische Frage. Fest steht: Auf EU-Ebene haben die Umweltminister dem Gesetz am Montagvormittag zugestimmt.

„Die heutige Entscheidung ist ein Sieg für die Natur. Die Europäische Union stellt sich geeint hinter den Schutz unserer Lebensgrundlage“, teilte Gewessler unmittelbar nach der Abstimmung in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der „Presse“ mit. „Wir geben der wunderbaren Artenvielfalt in unserer Heimat den Platz, der ihr zusteht.“ Ihr Gewissen sage ihr unmissverständlich: „Wenn das gesunde und glückliche Leben künftiger Generationen auf dem Spiel steht, braucht es mutige Entscheidungen“, begründete sie ihren Schritt.

Kanzleramt: „Verfassung gilt auch für Klimaschützer“

Aus dem Bundeskanzleramt folgte prompt eine Reaktion auf Gewesslers Alleingang: „Österreich wird Nichtigkeitsklage beim EuGH einbringen“, hieß es. Die Begründung: Ihr Votum entspreche „nicht dem innerstaatlichen Willen und konnte daher nicht verfassungskonform abgegeben werden“. Klimaschutz sei ein wichtiges Anliegen und „die Bundesregierung hat in vielen Bereichen wesentliche Maßnahmen gesetzt“. Klar sei jedoch auch: „Die Verfassung gilt auch für Klimaschützer.“

Mehr noch: Gewessler werde wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch angezeigt, kündigte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker per Aussendung an. Der Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt lege die Verfassung für die Regierungsmitglieder aus, und demnach sei die Ministerin an die Stellungnahme der Länder gebunden. „Es besteht der Verdacht, dass Leonore Gewessler mit ihrer Zustimmung zur Renaturierungsverordnung rechtswidrig und wissentlich gegen die klaren Vorgaben des Verfassungsdienstes und gegen die Verfassung handelt - dies begründet Amtsmissbrauch“, erläuterte Stocker den Kern der Strafanzeige. Dass Gewessler sich „mit Privatgutachten über den Verfassungsdienst hinwegsetzt“ dürfen nicht sein. Insofern sei eine „gerichtliche Klärung notwendig“.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hatte noch am späten Sonntagabend den belgischen Ratsvorsitz darüber informiert, dass eine Zustimmung von Gewessler zur EU-Renaturierung rechtswidrig wäre. Gewessler selbst nahm das vor der Abstimmung gelassen: „Es gibt die in diesem Brief angesprochene Bevollmächtigung weder im österreichischen Recht, noch im europäischen Recht. Ich werde daher vorgehen, wie vorgesehen“, sagte sie. Einer „allfälligen“ Klage – eine solche wurde von Nehammer in den Raum gestellt - sehe sie gelassen entgegen, sagte sie.

Auch der belgische EU-Ratsvorsitz sah die Angelegenheit etwas anders als Nehammer. „Auf unserer Seite wird vom anwesenden Minister im Raum abgestimmt, so läuft das ab“, sagte der zuständige belgische Minister Alain Maron (Grüne) am Montagvormittag.

SPÖ und FPÖ kritisieren Vorgehen von Grünen und ÖVP

SPÖ und FPÖ kritisierten indes am Montag Gewessler wie auch Nehammer für ihr Vorgehen. Die beiden würden Österreich „zur Lachnummer Europas“ verkommen lassen, sagte SPÖ-Klimasprecherin Julia Herr. „Was wir gerade erleben, ist im Grunde die Fortsetzung der letzten fünf Jahre Schwarz-Grün; nur mit härteren Bandagen, weil die Wahl naht“, ortete sie ein unwürdiges „Hick-Hack“. Die Regierung sei nur mehr ein „Trauerspiel“.

FPÖ-Chef Herbert Kickl forderte indes von Nehammer Konsequenzen für den „ideologiegetriebenen Alleingang“ Gewesslers. Das Gesetz bedeutete seines Erachtens nach den „Tod“ der heimischen Landwirtschaft und Versorgungssicherheit mit heimischen Lebensmitteln.

Sehr erfreut über die Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz von Gewessler zeigten sich unterdessen erwartungsgemäß die großen Umwelt-NGOs: Greenpeace sprach in einer Aussendung von einem „Meilenstein“, der WWF sah einen „historischen Fortschritt“ und Global 2000 ein „wichtiges Werkzeug im Kampf gegen die Biodiversitätskrise und die Klimakrise“.

Heftige Debatte seit zwei Jahren

Das Renaturierungsgesetz (Nature Restoration Law) sorgt mittlerweile seit rund zwei Jahren für heftige Debatten. Die EU-Kommission präsentierte im Juni 2022 ein Umwelt- und Klimaschutzpaket, das unter anderem die „Wiederherstellung der Natur“ vorgesehen hat. Die EU-Staaten legten ihre Position zu dem Gesetzesentwurf im Juni 2023 fest, das EU-Parlament seine einen Monat später. Danach folgten Verhandlungen über die endgültige Ausgestaltung der Gesetzgebung.

Einigen konnten sich die EU-Staaten und das EU-Parlament auf ein Renaturierungsgesetz im November 2023. Danach musste der Kompromiss sowohl vom EU-Parlament als auch von den EU-Staaten abgesegnet werden, um in Kraft treten zu können. Das EU-Parlament stimmte mit knapper Mehrheit im Februar 2024 dafür, die EU-Staaten – genauer genommen die EU-Umweltministerinnen und -minister – beschlossen das Gesetz im Juni 2024.

Normalerweise sind die Endabstimmungen Formsache. In diesem Fall war jedoch nicht sicher, ob genug Abgeordnete der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch die ÖVP angehört, dem Kompromiss zustimmen werden, um eine ausreichende Mehrheit im Parlament zu bekommen. Ähnlich knapp war es bei den EU-Staaten, da es auch in ihrem Kreis etliche Bedenken gab. Es bedurfte einer qualifizierten Mehrheit (55 Prozent der EU-Staaten, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren). (hell/APA)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.