Leitartikel

Wenn das Recht der Politik folgen soll

Leonore Gewessler
Leonore GewesslerImago / Martin Juen
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L‘état, c‘est moi, Rechtsstaat nach Gutsherrenart: Leonore Gewesslers Verhalten ist für eine Grüne durchaus nachvollziehbar. Sie ist aber nicht nur eine Grüne, sondern auch Ministerin der Republik Österreich, angelobt auf die Verfassung.

Mit Anlauf – vermutlich – gegen Verfassungsrecht verstoßen. Und das als Vertreterin einer Partei, die das Justizministerium besetzt. Einer Partei, deren Exponenten sich in den vergangenen Jahren als unübertreffliche Hüter des Rechtsstaats gerierten. Doch nun steht die Moral auf einmal über dem Gesetz. Die gute Sache rechtfertigt einen möglichen Rechtsbruch. Es reicht eigentlich schon, dass dieser in Kauf genommen wird.

Die Rechtslage ist folgende: Erstens hätte die Umweltministerin wohl die Zustimmung des Finanz- und Landwirtschaftsministers gebraucht, um der Renaturierungsverordnung zustimmen zu können. Und zweitens vor allem jene der Bundesländer. Da Umweltschutzagenden in deren Kompetenz fallen. Es gibt einen aufrechten Beschluss der Landeshauptleutekonferenz, der sich gegen die EU-Vorgabe wendet. Die Bundesländer Wien und Kärnten sind dann zwar ausgeschert, offiziell wurde die Stellungnahme der Landeshauptleute jedoch nie geändert.

Leonore Gewessler hat sich also einmal ein Denkmal bei den Grünen gesetzt. Und eine Erzählung für den Nationalratswahlkampf mitgeliefert. Es gibt Applaus aus der grünen Ecke, der weit in das linke Lager hinaushallt. Die Causa Schilling ist vergessen.

Man kann sich jedoch lebhaft vorstellen, was los wäre, hätte ein türkiser Minister (oder im Fiktiven ein blauer) derart nonchalant rechtliche Bestimmungen missachtet. Etwa in einem für sie wichtigen Bereich wie der Asylpolitik. Der Rechtsstaat wäre in Gefahr, die Demokratie, die Republik, die EU.

Der Rechtsstaat ist natürlich nicht in Gefahr. Es liegt nun vielmehr an ihm, festzustellen, ob Leonore Gewessler rechtmäßig gehandelt hat oder nicht. Ein Punkt, den sie jedenfalls für sich beanspruchen kann: Das, was nun zur Abstimmung vorlag, war ohnehin schon ein Kompromiss. Die ursprüngliche Variante wäre radikaler gewesen und wurde auf Druck der Agrarlobby verwässert. Und die Mitgliedsländer können auch selbst entscheiden, wie sie die Vorgaben konkret umsetzen. Zudem hat ja auch schon die ÖVP die Grünen in EU-Fragen hintergangen – zum Beispiel in der Causa Schengen.

Ein in der Öffentlichkeit lange Zeit unterbelichtetes Thema hat zur größten Krise in der türkis-grünen Regierung seit dem Abgang von Sebastian Kurz geführt. Die Koalition bekämpft sich nun juristisch, politisch macht sie weiter. Um es in der Fußballsprache auszudrücken: Die Grünen haben nach einem Foul ein Tor geschossen (der VAR kontrolliert aber nachträglich noch). Die ÖVP versucht nun mit aggressivem Pressing das Gesicht zu wahren. Und das Match wird noch zu Ende gespielt.

Den Imageschaden, doch nicht die erste Regierung seit 2013 zu sein, die die volle Legislaturperiode durchdient, wollte man schon abwenden. Und Revanchefouls bei einem freien Spiel der Kräfte kommen bekanntlich oft auch teuer zu stehen. Vor allem den Steuerzahler. Sich nun in Sachfragen mit der in vielen Fällen übereinstimmenden FPÖ zusammenzutun, wäre zwar verlockend für die ÖVP. Aber das Kanzler-Duell mit Herbert Kickl, das nicht zuletzt auf einer scharfen Kontrastierung beruht, könnte sich Karl Nehammer dann aufzeichnen. Das würde Andreas Babler zurück in Spiel bringen. Und die Frage der Renaturierung ist auch keine Fahnenfrage für die ÖVP, eine solche wäre eher die Migration gewesen.

Die Auswahl des EU-Kommissars dem freien Spiel der Kräfte im Parlament zu überlassen, hätte freilich auch seinen Reiz gehabt. So weit wollte es die ÖVP aber nicht kommen lassen. Und auch die Grünen werden noch Personalia umsetzen wollen – bevor nach ihnen die Sintflut kommt. Und das ist jetzt nicht klimatisch gemeint.

E-Mail an: oliver.pink@diepresse.com

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