Culture Clash

Machtlos - die desillusionierende Erfahrung des Alleingelassenseins

Vor ein paar Tagen habe ich mich zum Deppen gemacht. Und dabei gelernt, dass eine Stimme für eine radikale Partei so etwas wie ein kleiner Amoklauf des Gedemütigten sein kann.

Zwei etwa zwölfjährige, nett wirkende Buben in der Station Spittelau: Einer filmt mit dem Handy, der andere schießt mit einer Spritzpistole auf die Hinterköpfe der Vorbeieilenden. Es widerstrebt mir, den Kopf einzuziehen, also bleibe ich stehen und wende mich dem Schützen zu, ganz der respekteinflößende, aber wohlwollende Erwachsene, dessen Beihilfe zu einem menschlichen Reifungsschub am Ende dankbar angenommen werden wird: Warum tust du das? Weils lustig ist!, antwortet er – und schießt mir grinsend eine Salve ins Gesicht.

Meine pädagogische Pose bricht jäh zusammen, und ich versuche nur noch, der Waffe habhaft zu werden. Der Knabe läuft nicht davon (was ich noch als Sieg verpunkten könnte), sondern im Kreis, immer knapp außerhalb meiner Reichweite. Das Handicap von fünf Jahrzehnten Altersunterschied habe ich unterschätzt.

Wer ist die Zuflucht des braven Bürgers, der nicht weiterweiß, dessen Zorn aber geweckt ist und sein Stolz gekränkt? Ich halte an und rufe – verachten Sie mich nicht zu sehr! – die Polizei an. Es ist kein echter Notfall, sage ich, aber vielleicht könnte ein polizeiliches Erscheinen in der Halle den Buben einen heilsamen Schreck versetzen. Die Beamtin erklärt höflich, während der Schütze aus nächster Nähe seinen Wassertank ungerührt auf meinen Kopf entleert, dass die Polizei nicht die Aufgabe habe, Angst zu machen. Ich verstehe es ja: In Zeiten der Messerstecher und Axtmörder sind zwei Zwölfjährige mit einer Spritzpistole nicht unbedingt ein alarmauslösendes Bedrohungsbild. Es bleibt nur der nasse Rückzug.

Die Geschichte ist unbedeutend, den Buben ist längst verziehen. Aber die Erfahrung einer Erniedrigung, im soften Miniformat, war wertvoll. Ich verstehe jetzt die besser, die echte Demütigung erlebt haben: Die peinliche Rat- und Machtlosigkeit, wenn man draufkommt, dass man nicht Jason Statham ist. Die desillusionierende Erfahrung des Alleingelassenseins. Das Zerbrechen des Weltvertrauens. Menschen, die sich, wenn niemand für sie auf die Straße geht, einer feindseligen Welt einsam ausgeliefert sehen.

Den selbsternannten Volkstribun wählen sie dann nicht, weil sie ernsthaft glauben, dass ausgerechnet er den respektvollen Umgang wieder zur Norm erheben würde. Sondern weil er für die Ohrfeige steht, die der Welt gebührt und die man selber nicht austeilen durfte. Die nötige große Besinnung auf den Respekt vor allen und jedem heißt für mich seither auch: Verhöhnen wir nicht jene als bloße leicht verführbare Deppen, die ohnehin schon den Stachel der Erniedrigung in sich tragen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.