Ungewöhnlicher Seezwischenfall

Chinesisches U-Boot für strategische Atomraketen in der Nähe Taiwans aufgetaucht

Strategisches Atom-U-Boot der Jin-Klasse (Vordergrund), anno 2018.
Strategisches Atom-U-Boot der Jin-Klasse (Vordergrund), anno 2018.Reuters / China Stringer Network
  • Drucken

Das U-Boot der Jin-Klasse wurde beim Auftauchen von taiwanesischen Fischern gesichtet. Eine Aktion dieser Art, um damit eine Drohgeste zu setzen, wäre sehr ungewöhnlich. Womöglich erzwang ein Defekt das Auftauchen in diesen heiklen Gewässern.

Peking/Taipeh. Berichten von Dienstagmorgen (MESZ) zufolge hat sich in der Taiwan-Straße, also der Passage zwischen Festlandchina und der Inselrepublik Taiwan, ein ungewöhnlicher Vorfall ereignet: Ein U-Boot der chinesischen Volksmarine tauchte auf, blieb zeitweise recht stationär und wurde später von Marineschiffen zur Küste eskortiert. Bei diesem Boot handelte es sich offenbar nicht um ein relativ „gewöhnliches“, etwa ein Jagd-U-Boot, sondern um ein strategisches Atom-U-Boot vom Typ 094 (Nato-Code: Jin-Klasse) mit Interkontinental-Atomraketen.

Taiwans Verteidigungsminister, Wellington Koo, sagte, das Boot sei in der Morgendämmerung in der Nähe taiwanesischer Fischerboote aufgetaucht und man verfolge die Situation. Zur Position wurde vorerst nichts gesagt (siehe allerdings im Detail weiter unten).

Die Besonderheit des Vorfalls liegt gerade darin, dass strategische U-Boote insbesondere bei ernsthaften Einsatzfahrten in der Regel außerhalb ihrer Heimatstützpunkte nie zu sehen sind. Sie tauchen nach der Abfahrt zu ihren oft monatelangen Einsätzen nicht mehr auf (allenfalls sehr weit entfernt von Küsten mitten auf Hoher See etwa im Pazifik oder Atlantik) und müssen das aufgrund ihres Nuklearantriebs, der Lebenserhaltungssysteme und eventuell gelegentlichen Einsatzes des Schnorchels auch gar nicht. Aufgetaucht wird erst wieder kurz vor dem Heimathafen.

Der Schleier wird praktisch nie gelüftet

Als Teil der nuklearen „Triade“ (Bomber, landgestützte Raketen, U-Boote) besteht der Sinn dieser Fahrzeuge gerade darin, über ihren Verbleib in den Weltmeeren einen Schleier zu spannen. Umgekehrt ist in dieser Zeit auch die Kommunikation mit den Booten nur eingeschränkt möglich bzw. wird aus psychologischen Gründen in engen Grenzen gehalten, siehe diese Geschichte unten:

Man könnte natürlich annehmen, dass die Chinesen mit dem Auftauchen eine Drohgeste gegenüber der „abtrünnigen“ Insel Taiwan setzen wollten, was in dieser Form in militärisch-politischer Hinsicht aber schon ungewöhnlich wäre; außerdem fliegen die an Bord der Jin-Klasse mitgeführten Raketen 7000 bis 9000, womöglich mehr als 10.000 Kilometer weit, und hätten im Ernstfall ganz andere, weit entfernte Ziele, denkbar sind von Schusspositionen in der Nähe Chinas heraus unter anderem Hawaii, Alaska, Australien.

Ende 2021 hat man allerdings auf Satellitenbildern der Europäischen Weltraumorganisation nachträglich ein U-Boot in der Taiwanstraße entdeckt, das US-Experten ebenfalls als eines der Jin-Klasse identifizierten, das aber nicht komplett aufgetaucht war und ziemlich zügig fuhr, eskortiert von einem Begleitschiff. Das wurde als „gewöhnliche Verlegung“ eines vermutlich unbewaffneten Bootes abseits einer Einsatzfahrt interpretiert.

Womöglich Defekt

Es gibt jedenfalls die Vermutung, dass das betreffende Boot jetzt vom Südchinesischen Meer kommend seinen Heimathafen (genannt wurde in einer Meldung Qingdao an der Küste des Gelben Meeres) anlaufen wollte und just in der Taiwanstraße wegen eines Defektes oder Unfalls zum Auftauchen gezwungen wurde. Näheres war vorerst unbekannt, zumal auch das chinesische Militär sich nicht äußerte.

Es gab bezüglich der möglichen Position zeitweise Beobachtungen, wonach zumindest eine große chinesische Aufklärungsdrohne in einer ganz bestimmten Zone in dem heiklen Luftraum zwischen Taiwan und dem Festland kreiste, was vermutlich mit der Beobachtung des Atom-U-Bootes zusammenhing (siehe oben in der Grafik). Letzten verfügbaren Positionsdaten zufolge ging es um eine Zone etwa 120 Kilometer östlich der chinesischen Küstenstadt Xianmen, das ist schon unweit der Mittellinie der Taiwanstraße. Allerdings gehören zu Taiwan historisch bedingt auch einige bewohnte Inseln, die ganz dicht vor der Festlandküste sind, etwa Kinmen, das liegt nur einige Kilometer vor der Stadt Xianmen. Das U-Boot kreuzte damit sozusagen im Rücken dieses exponierten Teils von Taiwan.

Eingeführt seit 2007

Von der Jin-Klasse gibt es bisher sechs Stück. Das erste dieser aktuell modernsten strategischen U-Boot Pekings ist seit 2007 aktiv. Sie sind knapp 140 Meter lang bei zwölf Metern Durchmesser und getaucht 11.000 Tonnen Verdrängung, insgesamt etwas kleiner als die US-Gegenstücke der Ohio-Klasse oder der Vanguard-Klasse der Royal Navy. An Bord sind etwa 140 Mann Besatzung. Die Boote gelten als unter Wasser etwas „laut“ im Vergleich zu zeitgenössischen strategischen U-Booten anderer Länder und daher als leichter aufspürbar.

Aus ihrer Rückseite ragen gut erkennbar die Mündungen von zwölf Startrohren für Interkontinentalraketen der Modelle JL-2 und/oder JL-3, die je einen bis drei nukleare Gefechtsköpfe tragen können, die JL-3 womöglich sogar bis zu acht.

Boot der Jin-Klasse mit geöffneten Startrohren.
Boot der Jin-Klasse mit geöffneten Startrohren.USNI/U.S. Navy

Die Taiwanstraße und angrenzende Seegebiete plus die jeweiligen Lufträume sind traditionell „heiße Flecken“, wo China insbesondere in den vergangenen paar Jahren viele Manöver durchgeführt hat und oft mehrfach pro Woche Flugzeuge und Schiffen an den Rand taiwanesischer Hoheitsgebetes schickt. Es herrscht latente Kriegsgefahr, China bekundet nach wie vor die Absicht, Taiwan anzuschließen, das allerdings nicht zuletzt von den USA unterstützt wird.

Unten finden Sie ein großes „Presse“-Dossier, das heuer im Vorfeld der Präsidentenwahl auf Taiwan im Jänner entstanden war.

Eine der Geschichten darin behandelt explizit die möglichen Verläufe eines Krieges um Taiwan.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.