Kein Platz für Kurt Gödel im Ehrenhof der Uni Wien

Peter Kufner
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Es zeugt von Geschichtsblindheit, auf einen Platz für den genialen Logiker im Arkadenhof der Universität zu verzichten.

Die Entscheidung der Universität hätte Kurt Gödel nicht überrascht. In Wien, das wusste er, galt er nur wenig. „Man will anscheinend beweisen, dass ich nicht existiere und nie existiert habe“, schrieb er 1948 seiner Mutter. Das ist natürlich übertrieben, ein Symptom der Verfolgungsängste, die ihn (den laut Einstein „größten Logiker seit Aristoteles“) chronisch heimgesucht haben. Nein, niemand streitet Gödel die Existenz ab. Doch was sich kürzlich an der Universität Wien abgespielt hat, wäre Wasser auf seine Mühlen gewesen.

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Vor einem knappen Jahr traten vier Fakultäten an den Rektor heran mit dem Wunsch, Kurt Gödel durch ein Denkmal im Arkadenhof zu ehren. Mathematik, Informatik, Physik und Philosophie – alle vier Fächer verdanken Gödel Bahnbrechendes; und der Arkadenhof dient der Alma Mater gewissermaßen als walk of fame.

Der Ort – einer der schönsten von Wien – hat Aura und Prestige: Man trifft hier Boltzmann, Freud, Semmelweis, Kelsen, Loschmidt, Rokitansky. Lauter ruhmvolle Gelehrte, und zwischen den prachtvollen Bärten neuerdings einige Frauen, wie Lise Meitner oder Maria Jahoda. Viel Platz für Neuzugänge bleibt da nicht, doch unweit von Schrödinger bietet ein Pfeiler den perfekten Ort für eine Gedenktafel. Der Zeitpunkt wäre auch ideal: im Herbst vor 100 Jahren hat sich der 18-jährige Gödel an der Wiener Universität eingeschrieben.

Zugemauerte Türe

Die Antwort aufs Ansuchen der Fakultäten erfolgte keineswegs vorschnell. Nach vier Monaten kam es zu einer ersten Besprechung im Kreis der Vizerektorinnen und -rektoren; nach einem halben Jahr wurde auch der Senat der Universität beigezogen; nach weiteren Monaten bildeten Rektorat und Senat eine gemeinsame Arbeitsgruppe. Damit war das Projekt auch schon tot, jedem Einsichtigen war das klar. Und so entschieden die Uni-Granden schließlich: Nein, Gödel kommt uns nicht in den Arkadenhof.

Es kommt überhaupt kein weiteres Denkmal in den Hof, nicht jetzt, und nicht in aller Zukunft. Die Antwort lässt an Deutlichkeit wenig zu wünschen. Es wird nicht nur die Türe zugeknallt, sie wird zur Sicherheit gleich zugemauert. Per Satzungsänderung! Soll noch einer sagen, dass Gödel in Wien nichts bewirkt.

Kurt Gödel (1906–1978) verbrachte nur 16 Jahre in Wien, von 1924 bis 1940, weniger als in seiner Geburtsstadt Brno und viel weniger als in Princeton, wo er am Institute for Advanced Study vor dem Dritten Reich Zuflucht fand.

Doch seine Jahre in Wien waren die entscheidenden. Hier hat er studiert, hier stieß er (über den Wiener Kreis) auf Mathematik und Logik, hier schrieb er seine Doktorarbeit, hier wurde er Dozent, hier hielt er seine Vorlesungen, und hier erzielte er die meisten seiner epochalen wissenschaftlichen Durchbrüche. Auch hat er hier geheiratet, und hier liegen seine Eltern begraben. Aber berühmt geworden – das ist er überall sonst.

„Der größte Logiker seit Aristoteles“ ist heute ein Schlagwort, untrennbar mit Kurt Gödel verbunden. Er wird in einem Atemzug mit Euklid erwähnt (Euklid führte die axiomatische Methode in der Mathematik ein und Gödel erkannte ihre Grenzen). Gödel prägte die Logik in ähnlichem Maß wie Newton die Physik. Seine Arbeiten dominierten das folgende Jahrhundert: Seine Untersuchungen formaler Systeme und rekursiver Kalküle haben das digitale Zeitalter eingeläutet.

Unmittelbar auf seinen Ergebnissen aufbauend, entwarfen Alan Turing und John von Neumann die ersten programmierbaren Computer. Ihr Aufkommen markiert einen Wendepunkt der Menschheitsgeschichte, ähnlich wie Landwirtschaft oder Schrift.

Freundschaft mit Einstein

Dabei hat Gödel nie einen Computer angerührt. Sein Interesse galt der Grauzone zwischen Mathematik und Philosophie, den komplexen Beziehungen zwischen Wahrheit und Beweisbarkeit, den Größenordnungen des Unendlichen, den Paradoxien der Selbstbezüglichkeit. Seine Ergebnisse nehmen in jedem Buch über die Grundlagen von Informatik oder Mathematik einen zentralen Platz ein.

Der geniale John von Neumann schrieb: „Gödel ist absolut unersetzlich. Er ist der einzige Mathematiker, von dem ich das zu behaupten wage.“ Harvard verlieh Gödel 1950 das Ehrendoktorat für „die bedeutendste Entdeckung in der Mathematik im 20. Jahrhundert“. An diesen Einschätzungen hat sich nichts geändert.

Was sich inzwischen verändert hat, ist der Stellenwert der Mathematik, die zur Grundlage unserer digitalen Kultur geworden ist. Daher die Faszination, die Gödel auf viele ausübt. Daniel Kehlmann schrieb ein Theaterstück über ihn, Hans Magnus Enzensberger eine „Hommage à Gödel“, Peter Weibel drehte einen Film, und Douglas Hofstadters Bestseller „Gödel, Escher, Bach“ gilt als Ikone des anhebenden Computerzeitalters.

Zu einer wahren Legende wurde die Freundschaft zwischen Einstein und dem viel jüngeren Gödel. Einstein scherzte: „Ich gehe nur ans Institut, um Gödel auf dem Heimweg begleiten zu dürfen.“ Gödel galt in Princeton als „der Einzige, der mit Einstein auf Augenhöhe verkehrte“.

Die Ursachen der Blamage

Kurt Gödel in den Arkadenhof aufzunehmen, hätte also weder den Ort noch die dort Verewigten abgewertet. Jetzt aber wird Gödels unentschuldigtes Fehlen, das schon manche erstaunt hat, per Senatsbeschluss einzementiert.

Die Fehlleistung der Universität an Einzelnen festzumachen, griffe zu kurz. Der Rektor ist ein international renommierter Kunsthistoriker, der Vorsitzende des Senats ein profilierter Germanist. Alle Beteiligten wissen, wer Gödel war. Keiner will beweisen, dass er nie existiert hat. Die Ursachen für die Blamage reichen tiefer.

Sie beruhen auf einer österreichischen Eigenheit, die man gern als „Wissenschaftsskepsis“ beklagt (ein irreführendes Wort, denn Skepsis ist ja gut) und die besser als Wissenschaftsignoranz bezeichnet werden sollte. Europaweite Statistiken sprechen da leider eine eindeutige Sprache, und immer wieder nehmen sich unsere Bildungsstätten vor, etwas dagegen zu tun.

Zu den wichtigsten Aufgaben zählt es, der Öffentlichkeit zu vermitteln, wie sehr unser Leben von Wissenschaft geprägt wird, welche Rolle Wissenschaft in der Entwicklung der Menschheit einnimmt. Diese Art von Geschichtsbewusstsein wird in Österreich zu wenig gefördert. Ein Beispiel nur: In Wien gibt es kein Wissenschaftsmuseum, das mit jenen in London, Barcelona oder Mailand mithalten könnte.

Brutal amputierte Tradition

Universitäten sehen sich als Pflanzstätten der Zukunft, doch ein wichtiger Nährstoff ist ihre geistige Tradition. Gerade die besten Universitäten (ob Harvard, Oxford, Paris oder Zürich) sind sich dessen bewusst und pflegen ihren Ruf. Das wird gern als „branding“ oder „reputation management“ bezeichnet. Doch was passiert bei uns? In Österreich wurde eine große Tradition im Jahr 1938 brutal amputiert. Dieser plötzliche Verlust an Ansehen kann nur schwer gutgemacht werden. In dem Kontext wirkt es geradezu geschichtsblind, auf einen Platz für Gödel im Arkadenhof zu verzichten.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Der Mathematiker Karl Sigmund (*1945) ist seit 50 Jahren Ordinarius an der Universität Wien. Er interessiert sich besonders für Spieltheorie und Wissenschaftsgeschichte. Zu seinen Büchern zählt „Sie nannten sich der Wiener Kreis“.

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