Studie „Fieberkurve“

Österreichs Anwälte schlagen Alarm: Was im Rechtsstaat nicht funktioniert

  • Drucken

Die Anwaltsplattform Örak listet gravierende Probleme auf, mit denen der Rechtsstaat zu kämpfen habe: Korruption oder etwa mangelhafte Qualität der Gesetzgebung.

„Die Justiz darf nicht zum Spielball politischer Auseinandersetzungen werden, damit nicht in der Bevölkerung der Eindruck erweckt wird, man könne von außen in die Arbeit der Justiz eingreifen. Das schädigt das Vertrauen in den Rechtsstaat.“ Mit diesen Worten warnte am Dienstag der Präsident des Örak (Österreichischer Rechtsanwaltskammertag, Dachorganisation der neun Anwaltskammern), Armenak Utudjian, vor Zurufen in Richtung (Straf-)Justiz.

Der Hintergrund: Immer wieder werden laufende Strafverfahren von politischen Parteien zerpflückt. Parlamentarische Anfragen enthalten mitunter Dutzende detaillierte Fra­gen zum Verfahrensfortgang und auch zu den handelnden Akteuren. Zuletzt fragte die Opposition etwa zu einer für Untreue-Ermittlungen zuständigen Staatsanwältin oder zu einem in Korruptionsprozessen tätigen Richter beim Justizressort an. Anfragen wie diese dienen mitunter eher dem Aufbau politischen Drucks und weniger der Aufklärung der Be­völkerung.

Verschiedene Zeiträume, verschiedene Trends

Anlass der Örak-Mahnung war die Präsentation einer Studie zur „Fieberkurve“ des Rechtsstaats. Demnach gibt es allen voran in den Kategorien Qualität der Gesetzgebung, Bekämpfung von Korruption, Wirtschaftsstandort – Rechtssicherheit juristischer Personen und Verwaltungsverfahren und Verwaltungsgerichtsbarkeit Abwärtstrends. Diese fallen je nach Untersuchungszeitraum (kurzfristige Trends betreffen die Jahre 2020 bis 2022, siehe Grafik, mittelfristige Trends 2018 bis 2022 und langfristige Trends 2016 bis 2022) einmal deutlicher und einmal weniger deutlich aus.

Um etwa die Gesetzgebungsqualität zu erhöhen, fordert der Örak die Einführung verbindlicher Mindeststandards im Gesetzgebungsverfahren (Beispiel: fixe Begutachtungsfristen) und die verpflichtende Evaluierung von Gesetzen nach Inkrafttreten. So sei es etwa schwierig, das nun im Entwurf vorliegende Gesetz zur Sicherung von Handydaten (Chats usw.) im Zeitraum von nur zwei Wochen zu prüfen. Auch die Richtervereinigung hat, wie berichtet, bereits deponiert, dass sie es „befremdlich“ finde, bei einer so wichtigen Regelung nur so wenig Zeit zur Prüfung zu haben.

Ruf nach mehr politischer Bildung

Außerdem sprach sich Utudjian dafür aus, Staatsbürgerkunde im Rahmen einer Bildungsoffensive, etwa als Schulfach, einzuführen. Rechtsstaatliche Prinzipien würden von der Bevölkerung nicht mehr so verstanden wie früher.

Der Zustand der Rechtsstaatlichkeit („Fieberkurve“) wurde vom Anwaltskammertag in Zusammenarbeit mit der Managementgesellschaft Obergantschnig und der Forschungsstelle des Instituts für Anwaltsrecht der Uni Wien ermittelt. Und zwar auf Basis von Daten bestimmter Institutionen (Beispiele: Transparency International, Eurostat) und auf Basis von Umfragen innerhalb der Anwaltschaft. Untersucht wurden elf Kategorien.

Die Presse/PW

Strafverfahren: Privatgutachten zum Gerichtsakt?

Auch Reformen im Strafverfahren wurden nun gefordert, so sprach sich Örak-Vize Bernhard Fink dafür aus, dass die Vorschriften zur Verlesung von Aktenteilen schlanker (und damit zeitsparender) werden. Zudem sollten Privatgutachten, die von Beschuldigten eingeholt werden, zukünftig zum Gerichtsakt genommen werden müssen – genauso wie die Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen.

Weiters sollten in Strafverfahren mit Beteiligung von Laienrichtern (Schöffen, Geschworene) auch in zweiter Instanz die vom Erstgericht festgestellten Tatsachen noch einmal einer Prüfung unterzogen werden können. Konkret: Es soll also künftig nicht nur um rechtliche Erwägungen gehen, sondern auch um die Beweise an sich.

Gibt es eigentlich auch eine gute Nachricht? Tatsächlich: In der Kategorie Ordnung und Sicherheit weisen alle Trends (kurz-, mittel-, langfristig) in die richtige Richtung. Die bei der Bewertung herangezogenen Indikatoren, darunter Effektivität der Ermittlungsbehörden oder Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, werden also positiv bewertet. Dies liegt daran, dass zuletzt die Aufklärungsquote bei Straftaten mit 55,3 Prozent einen neuen Höchststand erreichte. Auch hat sich die Anzahl der Straftaten pro hunderttausend Ein­woh­ner verringert.

Österreich gleich hinter Finnland

Zur Beurteilung der Unabhängigkeit der österreichischen Justiz heißt es in der 180 Seiten starken Studie: „Die Umfragewerte zeigen eine Verbesserung der Einschätzung zur Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit im Vergleich zu den mittel- und langfristigen Ergebnissen.“ Und auch Letztere waren bereits positiv. Weiter: „Im europäischen Vergleich liegt Österreich im Spitzenfeld hinter Finnland auf Rang 2.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.