Kleine Bühne

Beim Kultursommer Wien am Schminktisch Lesungen lauschen

Nahbar. Der Kultursommer Wien erreicht mit niederschwelligem und vielseitigem Programm auch Menschen, die sonst wenig Kunst 
konsumieren.
Nahbar. Der Kultursommer Wien erreicht mit niederschwelligem und vielseitigem Programm auch Menschen, die sonst wenig Kunst konsumieren.
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Der Kultursommer Wien erschließt mit niederschwelligem Programm auf neun Bühnen ein neues und möglichst breites Publikum.

Meist seien es zuerst die Kinder, die ihre Berührungsängste überwinden und sich der Bühne nähern. Ihre Köpfe schieben sich erst neugierig durch die Büsche nahe der Bühne, am nächsten Tag kommen sie im besten Fall schon in Begleitung der Eltern, um sich das Treiben aus der Nähe anzusehen, beschreibt es Veranstalterin Siglind Güttler. Der Kultursommer Wien ­findet heuer zum fünften Mal statt und will „den Wienern ihre Kunst schmackhaft machen“, wie es Geschäftsführerin Caro Madl formuliert. Gemeinsam mit Güttler zeichnet sie für die Organisation des Festivals verantwortlich. Auf neun Bühnen, die sich alle in Bezirken außerhalb des Gürtels befinden, werden zwischen 4. Juli und 11. August immer donnerstags bis sonntags am Abend Lesungen, Konzerte, Kabaretts und Beiträge aus Theater, Tanz oder Zirkuskunst geboten.

Das Stadtzentrum hingegen wird bewusst ausgespart, immerhin ist das kulturelle Programm dort ohnehin dicht gesteckt und die Distanz zwischen Großfeldsiedlung in Floridsdorf und Ringstraße oft schwer zu überwinden. „Wir gehen dorthin, wo die Leute sind. 50 Prozent unseres Publikums konsumieren sonst kaum institutionalisiertes kulturelles Angebot“, sagt Sieglind Güttler. Das ist für sie der Beweis dafür, dass Bedarf nach einem Format wie diesem besteht. Es gilt, Kulturprogramm unter die Leute zu bringen und Barrieren abzubauen.

Die Stadt erkunden

Es ist bereits die fünfte Ausgabe des Kultursommers. Ins Leben gerufen wurde er ursprünglich, um Künstlerinnen und Künstlern während der für sie wirtschaftlich schwierigen Zeit der Coronapandemie Bühnen zu bieten. Nach zwei Jahren Pandemiebetrieb hat sich das Open-Air-Festival bei freiem Eintritt allerdings ins Wiener Sommerprogramm festgeschrieben. Heuer sind drei neue Bühnen hinzugekommen: der Hyblerpark in Simmering, der Wilhelmsdorfer Park in Meidling und die Großfeldsiedlung in Floridsdorf. Dabei bedient das Format neben den Anrainern und Anrainerinnen eine zweite Personengruppe: Wiener, die für den Act in Außenbezirke kommen und so ihre eigene Stadt besser kennenlernen.

„Die Hälfte der Bühnen, die wir bespielen, kannte ich als Wienerin selbst noch nicht. Das Festival zeigt die volle Bandbreite der Stadt“, sagt Caro Madl. Das junge Festivalteam ist sehr bemüht darum, das Programm jedes Jahr noch um ein Eck inklusiver und niederschwelliger zu gestalten. „Selbst die Liegestühle, die da in Reih und Glied stehen, stellen eine Barriere dar, hat sich herausgestellt. Menschen, die nicht regelmäßig ins Theater gehen, sind das nicht gewohnt und wissen nicht, dass sie jederzeit wieder aufstehen und gehen können“, so Madl. Deshalb würde man die Anordnung dieses Jahr auflockern.

Ein Hoch auf die Nische

Hinzu kommt allerhand Kulturvermittlung in Form von Tanz-, Wienerlied- oder Comic-Workshops, Bücherpicknicks und Kunstbuffets, im Programm ausgewiesen als „K+“. „Sperrigere“ Formate will man durch erklärende Anmoderationen und Begleitprogramm wie Mal- und Schminktische zugänglich machen. So kann man etwa einer Lesung lauschen und zeitgleich vor sich hin kritzeln oder eine Performance sehen und sich nebenbei von Drag Queens stylen lassen. All das soll der Kunst ihren Schrecken nehmen. „Wir sind sechs Wochen vor Ort, das gibt dem Publikum Zeit, sich anzunähern“, sagt Caro Madl.

Akrobatisch. In zehn Genres von Kabarett über Zirkuskunst bis hin zu Literatur zeigt sich das Festival besonders vielseitig.
Akrobatisch. In zehn Genres von Kabarett über Zirkuskunst bis hin zu Literatur zeigt sich das Festival besonders vielseitig.

Siglind Güttler nennt es einen „Eroberungseffekt“. Kommen Bühnen an neuen Orten hinzu, kann man die Anrainerinnen und Anrainer dabei beobachten, wie sie sich Woche um Woche weiter in den Veranstaltungsraum hineinwagen und ihn schließlich zu ihrem Lebensraum machen. Das Programm stellt sich aus Einreichungen in zehn verschiedenen Genres zusammen, ausgewählt und kuratiert wird von einer wechselnden Jury aus Expertinnen und Experten, heuer etwa Esra Özmen im Bereich Popmusik, Marina Lacković im Bereich Kabarett oder Cat Jimenez im Bereich Tanz. Eine Diversitätsschulung soll das künstlerische Board auf ihre Aufgabe vorbereiten.

„Unsere Stärke liegt in kleinen bis mittelgroßen Fomaten, wir haben nicht das Bedürfnis, möglichst viele Zuschauer anzuziehen. Das gibt uns den Freiraum, auch nischiges Programm zu zeigen“, sagt Siglind Güttler. Mitunter werden die Autoren Clemens J. Setz und Barbara Zeman ihre Lieblingstexte von Christa Reinig präsentieren, Kabarettistinnen Elli Bauer, Sonja Pikart und Antonia Stabinger ein „Pub Quiz Bizarre“ aufführen, Drag Queen Candy Licious liest im Währinger Park Kindern vor, und die Band Euroteuro wird die Großfeldsiedlung beschallen. Eröffnen sollen das Festival – wie schon im Jahr zuvor bei Wind und Wetter – die Wiener Symphoniker mit einem Konzert im Praterpark am 27. Juni.

Tipp

Kultursommer Wien. Vom 4. juli bis 11. August immer donnerstags bis sonntags, 18.30 bis 21 Uhr, kostenfrei auf neun Bühnen in Wien. kultursommer.wien

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