Am Herd

Kinder – und die Zeit vergeht

Auf diesem Spielplatz hat sich Marlene das Schlüsselbein gebrochen.
Auf diesem Spielplatz hat sich Marlene das Schlüsselbein gebrochen.Clemens Fabry
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Verfliegen die Jahre, wenn man Kinder hat? Ja! Aber es ist auch das Gegenteil der Fall.

Am 1. Geburtstag von Hannah habe ich geweint. Ich verzierte gerade den Kuchen, drückte den Spitz der einen Kerze in die Zitronen-Glasur, wir würden im Volksgarten an der Sandkiste Freunde und Freundinnen treffen, andere Mütter, andere Väter, andere Kinder; mein Mann hatte Luftballons aufgeblasen und Servietten mit Dinos gekauft, und der Himmel war blau wie das Geschenkpapier. Hannah war ausgeschlafen. Alles war gut. Doch für mich kam dieser Geburtstag zu früh. Wie sollte das bitte weitergehen in diesem Tempo? Einmal nicht hingeschaut und Hannah würde in den Kindergarten gehen, zwei Mal nicht hingeschaut und ich würde eine Schultüte kaufen müssen, und dann noch kurz umgedreht und sie würde ausgezogen sein, mein kleines Mädchen, die süße Kröte, mein Schatz. Und so kam es dann auch.

Einerseits.

Andererseits auch nicht, denn wenn man Kinder hat, gibt es zwei Arten von Zeit.

Die eine rast, dass einem schwindlig werden könnte. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, verflixt! Zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn, verdammt! Kinder verändern sich rasant und wir werden nebenbei alt und älter und ich entdeckte auf der Suche nach Läusen bei mir selbst das erste weiße Haar.

»Es ist ewig her, dass Hannah mich gefragt hat, wie wir uns im Himmel finden werden – unsere Augen sind ja geschlossen!«

Aber die andere Zeit dehnt sich. Das merkt man nicht gleich, wenn man mittendrinsteckt im Schuljause richten, Geodreiecke suchen, Tränen wegpusten und um zwei Uhr Früh das Erbrochene aus dem Bettzeug waschen, das merkt man erst im Nachhinein. Wenn man zurückblickt, stellt man fest: Es ist in Wirklichkeit ewig her, dass Hannah mich gefragt hat, wie wir uns denn im Himmel finden werden, wo doch unsere Augen nach dem Tod geschlossen sind. Und noch ewiger, dass Marlene auf die Welt kam, bereit, sie jederzeit niederzubrüllen, sollte sie ihr nicht zu Willen sein. Es ist gerade deshalb ewig her – und das ist das hübsche Paradox des Eltern-Seins –, weil so viel passiert ist seither.

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