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Medikamente: Neuer Hebel gegen Engpässe im Winter

In den vergangenen Jahren kam es in Österreich und Europa wiederholt zu Medikamentenengpässen, etwa bei Antibiotika.
In den vergangenen Jahren kam es in Österreich und Europa wiederholt zu Medikamentenengpässen, etwa bei Antibiotika. Reuters
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Die Pharmaindustrie muss künftig bestimmte Arzneimittel für mehrere Monate vorrätig halten. Ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Nach den teilweise dramatischen Medikamentenengpässen in den vergangenen Jahren, insbesondere in den Wintermonaten, tritt nun eine Maßnahme in Kraft, die Versorgungsprobleme künftig abfedern soll. Die pharmazeutische Industrie wird dazu verpflichtet, ihre Lagerbestände für stark nachgefragte und häufig verabreichte Arzneimittel deutlich zu erhöhen. Konkret muss sie von rund 700 Medikamenten einen Bedarf von vier Monaten einlagern.

Neben Medikamenten gegen grippale Infekte umfassen diese auch Schmerzmittel, Antibiotika und Medikamente gegen chronische Herz-Kreislauf- sowie Lungenerkrankungen. Um den vollen Lagerstand zu erreichen, hat die Industrie nun zehn Monate Zeit. Die Europäische Kommission hat die entsprechende Verordnung des Gesundheitsministeriums genehmigt. Erarbeitet wurde sie zusammen mit allen wichtigen Playern der Branche. Die Kosten, die der Industrie durch die erhöhte Bevorratung entstehen, können auf Antrag durch das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) erstattet werden.

Nicht die einzige Maßnahme

Die Bevorratung ist nicht die erste Maßnahme gegen Medikamentenengpässe. Im vergangenen Jahr wurden unter anderem ein Wirkstofflager für kritische Arzneimittel eingerichtet und die magistrale Zubereitung von Medikamenten in Apotheken erleichtert. „Im vergangenen Winter konnten wir die Medikamentenversorgung in Österreich durch kurzfristige Maßnahmen bestmöglich sicherstellen. Durch die Verpflichtung zu höheren Vorräten sollten Lieferengpässe bei wichtigen Arzneimitteln endgültig Vergangenheit sein“, sagt Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne). „Langfristig braucht es eine europäische Lösung, die alle Mitgliedstaaten gleichermaßen absichert. Das werde ich in Brüssel weiterhin einfordern.“

Für eine europäische Lösung spricht sich auch der Generalsekretär des Verbands der pharmazeutischen Industrie (Pharmig), Alexander Herzog, aus. Die Verordnung sei zwar „eine gut gemeinte Maßnahme. Sie ist aber aus unserer Sicht nur bedingt zielführend“, sagt er im Ö1-„Morgenjournal“. Für den kommenden Winter werde sie keine Folgen haben, weil die pharmazeutische Industrie eine Vorlaufzeit von fast einem Jahr für die Bereitstellung neuer Produkte habe. „Falls es eine Auswirkung haben sollte, ob die negativ oder positiv ist, werden wir sie voraussichtlich erst im übernächsten Winter sehen.“ Die pharmazeutische Industrie habe die Produktion ohnehin schon „bis zum Anschlag hochgefahren“. Das Problem sei daher nicht die Produktion, sondern die Verteilung. Das Problem der verlässlichen Versorgung der Bevölkerung könne somit nur europaweit gelöst werden.

Ähnlich kritisch äußert sich der Österreichische Generikaverband. Diese Maßnahme sei eine Reaktion auf Lieferengpässe, die sich durch steigende Kosten, wachsende regulatorische Anforderungen und beständig sinkende Medikamentenpreise immer weiter verschärft habe. Die Industrie arbeite bereits an der Kapazitätsgrenze. „Wir können nichts bevorraten, was nicht hergestellt wird“, sagt Präsident Wolfgang Andiel. Rund ein Viertel der generischen Arzneimittel seien innerhalb von zehn Jahren bereits aus dem Europäischen Markt verschwunden, darunter Antibiotika und Krebsmedikamente. 72 Prozent der patentfreien Medikamente würden nur noch von ein bis drei Herstellern hergestellt. Weltweit gebe es für mehr als 50 Prozent der generischen Wirkstoffe nur noch weniger als fünf Generika-Hersteller. Eine wie nun in Österreich vorgegebene Verpflichtung zur Einlagerung von Medikamenten könnte unter diesen Umständen die Dynamik des freien Marktes erheblich stören, so der Generikaverband.

Die Gründe für den Mangel

Die Hauptursache für seit Jahren wiederkehrende Engpässe sind Schwierigkeiten bei den Lieferketten (die durch Ereignisse wie den Angriffskrieg in der Ukraine verstärkt wurden) sowie Produktionsausfälle in den Herstellerländern, zumeist China und Indien. In diesen Ländern wird wegen der günstigen Produktionsbedingungen der Großteil der Medikamente für den Weltmarkt hergestellt. Kalkuliert wird dabei stets sehr knapp, um Überproduktionen zu vermeiden, weswegen es schon in früheren Jahren immer wieder zu spürbaren Engpässen gekommen ist, wenn die Nachfrage stärker ausgefallen ist als erwartet. Zudem sind Produktion, Verpackung und Auslieferung derart vernetzt, dass der Bedarf an Medikamenten zumeist mehrere Monate im Voraus berechnet wird. Kurzfristig auf eine steigende Nachfrage (wie das beispielsweise im Winter 2022/2023 mit vielen Grippe- und RSV-Erkrankungen der Fall war) zu reagieren ist beinahe unmöglich. In jenem Winter wurden auch die Schwankungen bei der Rohstoffknappheit und der Energieversorgung unterschätzt, die wiederholt zu Verzögerungen und Ausfällen bei der Produktion sowie zu Auslieferungsstopps wegen Qualitätsmängeln geführt haben. Letztlich kam es also zu einer Verkettung unglücklicher Umstände, die in einem fragilen Gerüst wie der globalen Medikamentenversorgung schnell zu Problemen führen können.

Verlagerung nach Europa

Eine weitere Rolle spielen auch sogenannte Parallelexporte, darauf spielt auch Alexander Herzog an, wenn er eine europäische Lösung fordert. Dabei werden Medikamente, die in den internationalen Kontingenten für Österreich vorgesehen sind, von Apothekengroßhändlern aufgekauft und in anderen Ländern der Europäischen Union mit Profit weiterverkauft. Die Preisunterschiede in den einzelnen Ländern betragen nämlich bis zu 60 Prozent. Allerdings betreffen Parallelexporte nur einen kleinen Teil der Medikamente – und zwar die teuersten, bei Antibiotika ist die Gewinnspanne üblicherweise zu gering.

Um langfristig eine Stabilisierung des Markts herbeizuführen und die Abhängigkeit von China und Indien zu reduzieren, ist eine Verlagerung der Produktion nach Europa erforderlich. Das wiederum würde höhere Preise für patentgeschützte Medikamente notwendig machen, um Pharmaunternehmen – wie etwa Sandoz im Tiroler Kundl, wo ein beträchtlicher Teil des weltweiten Penicillin-Bedarfs produziert wird und wo die Kapazitäten zuletzt erneut erweitert wurden – in Europa anzusiedeln. Darin sind sich Gesundheitsökonomen einig.

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