Forschungspreis

Warum Pflanzen ohne Nerven leben können

Die unscheinbare Ackerschmalwand ist die Pflanze, an der er am meisten forscht: Jiří Friml, geboren 1973 in Tschechien, studierte in Brünn und Köln, arbeitete u. a. in Tübingen und Gent. Seit 2012 leitet er ein Team am IST Austria in Klosterneuburg.
Die unscheinbare Ackerschmalwand ist die Pflanze, an der er am meisten forscht: Jiří Friml, geboren 1973 in Tschechien, studierte in Brünn und Köln, arbeitete u. a. in Tübingen und Gent. Seit 2012 leitet er ein Team am IST Austria in Klosterneuburg.FWF
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Der Wittgenstein-Preis des Wissenschaftsfonds FWF geht heuer an Jiří Friml vom Institute of Science and Technology Austria. Sein Team ergründet, wie Pflanzen intern kommunizieren und ihr Wachstum steuern.

Kämpfen oder fliehen? Vor dieser Entscheidung steht ein Tier, wenn es attackiert wird. Eine Pflanze kann beides nicht, sie hat weder Nerven noch Muskeln. So muss sie auf andere Weise auf ihre Umwelt reagieren, sich an deren Veränderungen anpassen. Ein Baum verstärkt seinen Stamm bei anhaltendem Sturm, und Pflanzen im Schatten wachsen dem Licht entgegen, um ihre Photosynthese zu optimieren. Das heißt, auch Pflanzen müssen Reize ihrer Umgebung wahrnehmen und darauf reagieren.

Bei der Weiterleitung der entsprechenden Signale spielen – wie bei Tieren – Hormone eine Rolle. Vor allem das Hormon Auxin, dessen Name sich vom griechischen Wort für wachsen ableitet. Chemisch ist es einem Hormon der Tiere und Menschen verwandt, dem Serotonin, das z. B. im Hirn aktiv ist und unsere Stimmung beeinflusst. Drogen wie Amphetamine wirken, indem sie den kontrollierten Serotonin-Transport von einer Nervenzelle zur anderen stören.

War Auxin früher giftig?

Auch Auxin wird von Zelle zu Zelle transportiert. Es ist der wichtigste Signalstoff der Pflanzen, sagt Jiří Friml: „Dabei könnte es einst ein unerwünschtes Stoffwechselprodukt gewesen sein, das in zu hoher Dosis toxisch wirkte.“ Dafür sprechen Arbeiten an Algen, die Auxin nur entsorgen, nicht nutzen. Wie aus dem einstigen Gift im Lauf der Evolution ein unentbehrlicher Signalstoff werden konnte, interessiert den Pflanzenphysiologen Friml. Wie auch eine erstaunliche Parallele zur tierischen Physiologie: Es scheint, dass das Auxin einen Signalmechanismus nutzt, der bei Tieren üblich ist, sei es bei der Reaktion auf Adrenalin oder beim Sehen: über „second messengers“, das sind kleine Moleküle wie cAMP. Das sei aber „ein sehr kontroverses Thema“, sagt Friml.

Eine Rolle spielt der Signalstoff Auxin natürlich auch bei der Heilung von Verletzungen – die bei Pflanzen, da sie ja nicht fliehen können, oft vorkommen, nicht nur im getretenen Fußballrasen. Bei der Reparatur solcher Schäden wird die biochemische Signalübertragung durch rohe Physik ausgelöst: durch die mechanischen Kräfte, die die röhrchenförmigen Mikrotubuli des inneren Zellgerüsts verformen. Sie dirigieren Zellen in Richtung der Wunde. Das haben Lukas Hörmayer und Jiří Friml unlängst in „Developmental Cell“ berichtet.

Energiesparen beim Getreide

Um das zu erforschen, verletzten sie Exemplare der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) gezielt mit einem Laserstrahl. (Da Pflanzen mangels Nerven keine Schmerzen spüren, braucht es für diese Forschung keine Ethikprüfung.) Diese Ackerschmalwand, eine unscheinbare Pflanze, die gern an Ackerrändern wächst, gilt als Modellorganismus der Botanik. Schon seit 2000 kennt man alle ihre Gene. Wirtschaftliche Bedeutung hat sie keine.

Im Gegensatz zu Getreidepflanzen wie Weizen. Sie verwenden viel Energie, um miteinander um Licht und Nährstoffe zu konkurrieren, indem sie jeweils so wachsen, dass sie mehr davon bekommen. Dabei spielt, wie gesagt, das Auxin mit. Für die Landwirtschaft wäre es besser, wenn die Pflanzen diese Energie für die Produktion größerer Körner verwenden würden. Wenn man den Auxin-Mechanismus genetisch ausschalten könnte, würde das den Ertrag um bis zu 25 Prozent steigern, meint Friml.

Die Grundlagen dazu kann sein Team nun mit den Mitteln des Wittgenstein-Preises ergründen. Dieser hilft den Forschern ja auch dadurch, dass er ein wenig den Druck lindert, möglichst schnell möglichst viel zu publizieren. Es ist mit 1,7 Millionen Euro der höchstdotierte Wissenschaftspreis in Österreich.

Acht Start-Preise

Mit je bis zu 1,2 Millionen gut dotiert sind auch die acht Start-Preise, die der FWF zugleich mit dem Wittgenstein-Preis vergibt. Sie gehen heuer an zwei Mathematiker (Juan P. Aguilera von der TU Wien, Yurii Malitskyi von der Uni Wien), einen Quantenphysiker (Uroš Delić, Innsbruck) eine Materialchemikerin (Esther Heid, TU Wien), eine Entwicklungsbiologin (Polina Kamenava, St.-Anna-Kinderkrebsforschung), eine Linguistin (Svitlana Antonyuk, Uni Graz) und einen Mittelalterforscher: Dan Batovici (Akademie der Wissenschaften) erforscht frühchristliche apostolische Väter wie Clemens von Rom oder Ignatius von Antiochien. Senka Holzer arbeitet an der Med-Uni Graz mit kranken Herzzellen.

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