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„Ivo“ im Kino: Beim Sterben helfen – der schwierigste Freundschaftsdienst einer Pflegerin

Pia Hierzegger als ALS-Patientin, die ihre Bewegungsfähigkeit verliert - und Minna Wündrich als Pflegerin und Freundin, die ihr dabei zur Seite steht.
Pia Hierzegger als ALS-Patientin, die ihre Bewegungsfähigkeit verliert - und Minna Wündrich als Pflegerin und Freundin, die ihr dabei zur Seite steht.Adrian Campean
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Im deutschen Film „Ivo“ begleitet eine Palliativpflegerin ihre eigene Freundin bis zum Schluss: Ein starker, unglaublich behutsamer Film von Eva Trobisch – mit Pia Hierzegger als trotziger Todkranken.

„Wenn du mir nicht hilfst …“, sagt Sol mit starrem, festem Blick, „dann muss ich aus dem Fenster springen.“ Das sei Erpressung, kontert Ivo und sieht Sol durchdringend an. „Du kommst überhaupt nicht bis zum Fenster.“ Woraufhin Sol sie weiter fest anblickt. Und kaum merklich den Kopf schüttelt: Nein, sie kommt alleine nicht bis zum Fenster.

Es sind nicht viele Worte, die die beiden Freundinnen in diesem Film wechseln, doch hinter jedem Satz steckt ein Berg aus Unaussprechlichem, aus moralischen Dilemmata, aus Liebe, Angst, Wut und Traurigkeit. Das kleine Wunder an „Ivo“, dem zweiten Film der deutschen Regisseurin Eva Trobisch, ist, wie zart und behutsam die vielleicht schwierigsten Fragen des Menschseins hier gestellt werden. „Ivo“ erzählt vom Sterben, vom Umgang damit, von den Menschen, die gehen – und vor allem von einer Frau, die sie dabei begleitet. Die titelgebende Ivo (toll: Minna Wündrich) ist mobile Palliativpflegerin, den ganzen Tag fährt sie mit dem Auto von einer sterbenskranken Patientin zur nächsten, misst ihnen den Blutdruck, gibt Infusionen, hört zu.

Eine Patientin ist zugleich ihre gute Freundin: Sol (Pia Hierzegger) hat ALS, eine Nervenkrankheit, sie verliert fortschreitend ihre Bewegungsfähigkeit. Ihre Autonomie zu verlieren, schmerzt sie bitterlich, ihre Würde lässt sie sich nicht nehmen. Stoisch verbringt sie ihre Tage auf Couchpolster gebettet in ihrer Hochhauswohnung mit defektem Lift und verzieht über Hilfsmittel wie Rollstuhl oder Sprachcomputer das Gesicht. Pia Hierzegger ist die perfekte Besetzung für die trotzige Todkranke: Körperlich unbeweglich, lässt sie auch ihr Gesicht durch Starrheit sprechen. Ivos Besuche bei ihr sind auch intime Momente der Freundschaft. Die beiden kiffen und kuscheln, Ivo liest Sol vor oder probiert sich durch ihren Kleiderschrank.

Die Affäre ist keine große Sache

Und sie schläft mit Franz (Lukas Turtur), Sols Ehemann. Im Hotelzimmer fallen sie übereinander her, neckisch, ausgelassen, innig, essen nackt Toast vom Zimmerservice im verschmierten Bett. Ein großes Liebesdreiecks-Drama? Mitnichten. Ob Sol von der Affäre weiß, lässt der Film offen. Vielleicht duldet sie es still, vielleicht stört es sie gar nicht. Sie hat ihr eigenes Geheimnis vor Franz. Darüber, wie sie sterben will, wie der Abschied von ihm aussehen könnte, kann und will sie nicht mit ihm reden. Von Ivos Vorgesetztem lässt sie sich darüber aufklären, wie ein selbstbestimmtes Ende aussehen könnte. Aktive Sterbehilfe kann man ihr nicht bieten, lediglich eine Sedierung mit Morphium und Schlafmitteln. Franz müsste das mit- und ertragen. Darauf will Sol es nicht ankommen lassen. Sie bittet Ivo, ihr beim Suizid zu helfen.

Wie Menschen in Extremsituationen „funktionieren“, könnte ein verbindendes Thema der (bisher erst zwei) Filme von Eva Trobisch sein. 2018 hat die deutsche Regisseurin mit ihrem Debüt von sich reden gemacht, in „Alles ist gut“ ging es um eine Frau (Aenne Schwarz), die vergewaltigt wird – und so tut, als wäre nichts passiert, aus Stolz, aus Selbstschutz. Sechs Jahre lang musste man auf Trobischs nächsten Film warten, was sich gelohnt hat: Wieder wird hier mit ruhiger Beiläufigkeit von Existenziellem erzählt, in starken Bildern, die auf höchst subtile Art einen Einblick in Ivos schwierigen Alltag geben: Gebannt schaut man zu, wie Ivo zwischen Terminen im Auto Chicken Nuggets isst, wie sie ihre fast erwachsene Tochter zum Flughafen bringt oder mit ihrem Chef darüber scherzt, was man mit einem Erbe von Patienten so machen könnte. Und bewundert, wie Ivo mit all der Tragik umgehen kann, die sie umgibt, während sie mit anderen Menschen auf so unaufgeregte Art deren letzte Momente verbringt.

Dass sie keine völlig integre Person ist, macht sie noch interessanter – und nahbarer: Mal bedient sie sich im Badezimmer eines Patienten an den Cremen, mal lügt sie einem Tinder-Date ins Gesicht. Ihre professionellen Grenzen hie und da zu überschreiten, scheint kein Problem für sie zu sein. Aber kann sie ihrer Freundin Sol auch den einen Dienst erweisen, den sie nicht erweisen darf? Ein völlig unsentimentaler Film, der gerade deshalb eine Wucht ist.

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