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Österreich muss von der Schweiz lernen

v. l. n. r.: Joachim Haindl-Grutsch (IV OÖ), Klaus Pöttinger, (Pöttinger Landtechnik GmbH), Andreas Klauser (Palfinger) und Eva Komarek (Styria) beim IV-OÖ-System-Talk im „Presse“-Studio.
v. l. n. r.: Joachim Haindl-Grutsch (IV OÖ), Klaus Pöttinger, (Pöttinger Landtechnik GmbH), Andreas Klauser (Palfinger) und Eva Komarek (Styria) beim IV-OÖ-System-Talk im „Presse“-Studio.Mirjam Reither
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Im IV OÖ-System-Talk stand das Thema „Wirtschaftsliberalismus versus Vollkaskostaat“ im Mittelpunkt und damit die Frage nach der Bedeutung von Markt und Wettbewerb.

Eva Komarek, General Editor for Trend Topics in der Styria Media Group, diskutierte mit Andreas Klauser, CEO von Palfinger, Klaus Pöttinger, Eigentümer des oberösterreichischen Familienunternehmens Pöttinger Landtechnik GmbH, und Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der IV OÖ.

Österreich hat im internationalen Vergleich an Produktivität verloren, die Jahresarbeitszeit sinkt, gleichzeitig kämpft die Wirtschaft mit Arbeitskräftemangel – was läuft in Österreich schief?

Haindl-Grutsch: Der Standort Österreich wird von zwei Seiten in die Zange genommen. Auf der einen Seite sind wir in den letzten Jahren sehr viel teurer geworden im Zuge der hohen Inflation. Auf der anderen Seite haben Länder wie etwa China stark aufgeholt bzw. sind sogar auf der Überholspur. Von beiden Seiten kommt die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Österreich unter Druck. Hinzu kommt, dass wir zur Teilzeitrepublik geworden sind. Die Vollzeitbeschäftigung nimmt ab. Immer mehr Leute arbeiten in Summe immer weniger. Dass sich das nicht mehr ausgeht, wenn die Produktivität nicht mitwächst, ist logisch.

Was sind die Gründe dafür, dass wir zur Teilzeitrepublik geworden sind?

Pöttinger: Der Anreiz zur Vollzeitarbeit ist verloren gegangen. Wir haben gut ausgebaute Sozialsysteme und seit rund 20 Jahren wächst die Debatte über Work-Life-Balance. Leistung verliert an Bedeutung.

Ist der sinkende Arbeitswille ein österreichisches Phänomen?

Klauser: Generell ist es ein europäisches Phänomen, aber in Österreich ist diese Einstellung sehr ausgeprägt. Ich habe lang in den USA gelebt und dort ist der Anreiz zur Arbeit allein schon wegen des fehlenden Sozialgefüges gegeben. Wir müssen es vollbringen, dass sich Leistung wieder lohnt. Bei der Work-Life-Balance sollte man die Frage auf die Zukunft richten, ob man sich auch morgen noch leisten kann, was man sich leisten will.

Arbeit wird in anderen Ländern anders honoriert?

Klauser: Wenn man Überstunden macht, aber vom Bruttolohn nach den Abzügen netto nicht mehr bleibt, sinkt die Arbeitsmoral. Zudem federt der Sozialstaat alles ab.

20 Jahre Work-Life-Balance – die soziale Absicherung gab es auch schon vorher. Warum ist die Arbeitsmoral so gesunken?

Pöttinger: In Österreich haben wir ein Problem mit dem Begriff „Wettbewerb“. Wir lieben die freie Wahl, wofür wir Geld ausgeben und sehen es als Widerspruch zum Wettbewerb, aber freie Wahl und Wettbewerb sind untrennbar miteinander verbunden. Auf der Medaille Wohlstand steht auf einer Seite freie Wahl und auf der anderen Wettbewerb.

Haindl-Grutsch: Die Coronapandemie hat die Vollkaskomentalität nochmals forciert. Dazu kann man zwei Zahlen nennen: In den 1960er-Jahren machten die Sozialausgaben in Österreich 17 Prozent des BIP aus. Heute liegen sie bei 30 Prozent des BIP. Wir verteilen immer mehr um. Mittlerweile sind nur noch 20 Prozent der Österreicher Nettotransferzahler, die mehr ins System einzahlen, als sie zurückbekommen. 80 Prozent sind bereits Nettoempfänger.

Klauser: Die Corona-Förderungen waren Investitionsmaßnahmen für den Restart und sind als temporär zu betrachten, aber viele im Land sind davon ausgegangen, dass es mit den Förderungen kontinuierlich weitergeht. Hier sind auch die Medien gefordert, Aufklärung zu betreiben und Selbstverantwortung einzufordern.

Pöttinger: Das Thema Selbstverantwortung ist in Österreich unter die Räder gekommen. Ich vermisse den öffentlichen Aufschrei über die schlechten Ergebnisse unserer Schulen. Bildung ist das Kapital für die Zukunft, aber hier wird zu wenig investiert. Wir müssen mehr in die Bildungspolitik investieren. Dazu muss das Rad nicht neu erfunden werden. Es wäre ein guter Anfang, die bestehenden Konzepte in Umsetzung zu bringen und für Optimierung zu sorgen.

War das Krisenmanagement der Politik in der Coronapandemie überzogen und war es falsch, dass wir zu einem Vollkaskostaat geworden sind? Wie kommt man wieder zu einem Systemwechsel?

Haindl-Grutsch: Im Nachhinein ist man immer klüger, aber trotzdem muss man sich auch den Vergleich mit anderen Staaten gefallen lassen – etwa mit der Schweiz. Sie hat pro Kopf weit weniger ausgegeben als Österreich und ist dennoch schneller aus der Krise gekommen. Wirtschaftsliberalismus zahlt sich aus. Die Schweiz unterscheidet sich von Österreich, weil sie Föderalismus, direkte Demokratie und Wirtschaftsliberalismus wirklich lebt. Das ist die Basis dafür, dass man in allen wichtigen Rankings unter den Top drei liegt, während Österreich sich nur im Mittelfeld platziert und immer weiter zurückfällt. Es ist ein schleichender Abstieg im Gange. Wir sind nicht mehr um das besser, was wir teurer sind, und die Wettbewerbsfähigkeit kommt unter Druck.

Warum ist Österreich so wenig wirtschaftsliberal?

Pöttinger: Wir waren nie ein liberales Land und sind gedanklich noch immer im Kaiserreich.

Klauser: In der Sozialpartnerschaft war sie aber einmal gegeben und es gab überwiegende Schnittmengen. Aktuell beträgt die Schnittmenge nur noch rund 20 Prozent und alles wird zerdiskutiert. Die Politiker schielen zu sehr auf Wahlen.

Pöttinger: In der Vergangenheit war es mit den Gewerkschaften möglich, sich zu einigen, zuerst einen möglichst großen Kuchen zustande zu bringen. Die Aufteilung machte nur einen geringen Teil aus. Das ist leider komplett verloren gegangen. Wir sollten uns wieder mehr auf das Gemeinsame konzentrieren.

Haindl-Grutsch: Es ist eine Pendelbewegung zwischen 100 Prozent Planwirtschaft und 100 Prozent freie Marktwirtschaft. Derzeit schlägt das Pendel zu stark in Richtung Planwirtschaft aus. Jetzt muss das Pendel in Österreich wieder in die andere Richtung schwingen.

Pöttinger: Jeder Arbeitnehmer bringt dem Gemeinwesen rund 30.000 Euro. Der Staat ist Profiteur der Arbeitsleistung, daher frage ich mich, warum der Staat nicht stärker in Arbeitskräfte investiert und Unternehmen eher Hindernisse in den Weg legt. Die Kosten sind zu hoch, die Demografie wendet sich und die Ausbildung ist nicht mehr auf Topniveau.

Unternehmertum hat in Österreich keinen guten Ruf. Warum haben wir diese Situation?

Klauser: In den USA gibt es eine Kultur des Scheiterns. Leistung genießt hohes Ansehen. Wenn man sich dadurch mehr leisten kann, ist das Umfeld stolz. Bei uns muss man sich eher dafür entschuldigen, wenn man sich etwas leisten kann.

Haindl-Grutsch: Es ist klar, dass es für die Ärmsten im Land ein dichtes Sozialnetz bedarf, aber für den Rest benötigt es einen „Fahrstuhl nach oben“ anstatt einer weiteren Umverteilung, indem man den Menschen zuerst das Geld wegnimmt und dann Almosen für alle verteilt. Der Fahrstuhl nach oben ist der Aufstieg der eigenen Karriere, indem man Eigenverantwortung übernimmt. Dieses Grundprinzip fehlt in Österreich mittlerweile komplett.

Wie schaffen wir einen Systemwandel und was sind die wichtigsten Forderungen an die Politik?

Klauser: Wichtig ist, dass man erkennt, wie das System funktioniert, um sich zu entscheiden, ob man mitmacht oder nicht. Das beginnt bei der Wirtschaftsbildung. Auf der anderen Seite ist die monetäre Situation: Wer mehr arbeitet, muss am Ende des Tages auch mehr Netto vom Brutto erhalten. Leistung muss sich wieder auszahlen. Dazu muss man auch eine gesellschaftliche Akzeptanz schaffen.

Pöttinger: Ich würde sagen: Lieber Staat, jeder Bürger braucht ein Kapital, auch für seine Pension. Die ersten 100.000 Euro, die man sich erspart, sollten zinsfrei bleiben. Wichtig ist auch, dass man den Bürgern die Angst vor Aktien nimmt.

Haindl-Grutsch: Trotz höherer Lebenserwartung und längeren Ausbildungszeiten gehen wir noch immer in Pension wie in den 1970er-Jahren. Es muss uns bewusst werden, dass wir länger arbeiten sollten und dass Personen, die nach der Regelpension weiterarbeiten möchten, keine Pensionsversicherung mehr zu zahlen haben.

Klauser: In den USA gibt es ein System der Senior Experts. Wer in diesem Pool ist, genießt Steuervorteile und die Unternehmen profitieren von den Erfahrungen dieser Personen. So etwas fehlt in Europa und Österreich komplett.

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Dieser Inhalt wurde von der „Presse“-Redaktion in Unabhängigkeit gestaltet. Er ist mit finanzieller Unterstützung der Industriellenvereinigung Oberösterreich (IV OÖ) möglich geworden.

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