Gastkommentar

20 Jahre „Datum“: Zwei Jahrzehnte ungeförderter Wahnsinn

Peter Kufner
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Reflektionen über 20 Jahre publizistisches Scheitern mit einem Anspruch, der manche in Österreich bis heute befremdet.

„Ob in der Fremde oder daheim, die Zeit vergeht, von Time zu Time.“ Ewige Worte des großen Otto Grünmandl, der letzten österreichischen Antiautorität, die diesen Titel noch verdiente. In ihrer Konsequenz, sich jeglicher eindeutigen Interpretation zu verweigern, sind sie vielleicht passend zum runden Jubiläum des „Datum“. Zwanzig Jahre, in denen sich vieles total, anderes gar nicht, wieder anderes in eine Richtung verändert hat, die sich objektiv betrachtet mit „rückwärts immer, vorwärts nimmer“ am treffendsten beschreiben lässt.

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Leute, die sich früher als Trottel zu erkennen gaben und entsprechend behandelt wurden, heißen heute „Querdenker“ und werden ernst genommen. Von jeder Problemlösungs- und Kompromisskompetenz befreite Politikerinnen und Politiker geben nicht mehr minder-, sondern mehrheitlich die Themensetzung vor. Verkappt rassistische Millionäre, deren Einfluss sich früher weitgehend auf die Grenzen ihrer Nationalstaaten beschränkte, wurden von offen rassistischen Milliardären mit globalen Interessen abgelöst, die sich ihre eigenen virtuellen Zoos halten. Medien, die sich anno 2004 Leitmotiven wie Unabhängigkeit, Unvoreingenommenheit und Liberalität verpflichtet fühlten – schon damals eine verschwindende Minderheit –, müssen sich 2024 Abhängigkeit, Voreingenommenheit und „Systempropaganda“ vorwerfen lassen.

Wo das Unpräzise regiert

Angesichts all dessen besteht der größte Erfolg von „Datum“ wahrscheinlich darin, dass es das Blatt nach wie vor gibt; dass eine publizistische Graswurzelinitative in einem Kleinstaat ohne nennenswerte liberale Tradition nicht nur überlebt hat, sondern sich, wenn schon nicht bester, dann zumindest guter Gesundheit erfreut. Eine umso erstaunlichere Leistung, als die Mehrheit der den politmedialen Kosmos Österreichs bevölkernden und den Erzeugnissen seines Betriebs ausgesetzten Leute bis heute damit fremdeln.

Die Ursachen für dieses Fremdeln waren damals die gleichen wie heute: die Nicht-Inanspruchnahme öffentlicher Förderungen. Das Streben nach Genauigkeit im Ausdruck auf einem Niveau, das in einer Gesellschaft, in der das Unpräzise regiert, nur die wenigsten begreifen. Das Hinterfragen aller, die Expertenstatus genießen. Das Bekenntnis zu absoluter Faktentreue und, falls etwas danebengeht, zu einer Fehlerkultur, die gelebt und nicht nur im Mund geführt wird. Der Versuch, jedes Thema so umfassend und aus so vielen Perspektiven wie möglich zu sehen, recherchieren und abzuhandeln. Am besten zusammengefasst fand sich dieser Ansatz vielleicht in der Reaktion einer hochrangigen Politikerin einer Regierungspartei, die, als sie vom Ausmaß des Aufwands erfuhr, den zwei Mitarbeiter betrieben, die sie porträtieren wollten, meinte: „Sind die wahnsinnig?“

Seinen verschriftlichten Ausdruck fand der „Wahnsinn“ in unseren redaktionellen Richtlinien. Inspiriert von denen ausländischer Qualitätsmedien, namentlich der BBC, der „New York Times“ und der „Neuen Zürcher Zeitung“, suchten wir in ihnen bis ins Detail zu definieren, was Qualitätsjournalismus made in Austria ausmachen sollte. Auch wenn diese Richtlinien irgendwann in zwanzig Jahren betont geräuschlos verschwanden:

Es sind die darin festgelegten Standards, denen sich die Nachkommen k.-u.-k.-deutsch-bal­tischer Adelsdynastien heute ebenso verpflichtet fühlen wie damals das Produkt aus Jugoslawien und dem Mühlviertel ins österreichisch besetzte Innbaiern eingewanderter Arbeiterfamilien.

Den Ansprüchen, die wir an uns stellten, standen in den ersten Jahren die betriebswirtschaftlichen Realitäten gegenüber. Was das Blatt in seiner Frühphase rettete: Textchef Thomas Unger, der angesichts seiner übermenschlichen Leistungen das Label „Datum-Gründer“ mindestens so verdient wie Hannes Weyringer und ich, das Ausland und die Kollegenschaft.

Von Rohrer bis Unterberger

Das Ausland insofern, als uns Medien wie die „Financial Times, die „NZZ“ und die „Süddeutsche“ zu einem Zeitpunkt Anerkennung zollten, als „Datum“ in Österreich noch extrem skeptisch beäugt wurde. Mit der Zeit kamen Repräsentanten US-amerikanischer Universitäten dazu. Deren Einladungen zu Vorträgen konnte ich lange nur punktuell nachkommen, weil zuerst der mit dem Eintreiben ausstehender GSVG-Beiträge beauftragte Gerichtsvollzieher vom Justizzentrum Marxergasse bedient werden musste.

Diese Phase zu überstehen war zudem nur dank der Leute möglich, die an uns glaubten. Unter den rund 200, die zwei Jahre lang gratis Beiträge lieferten, fanden sich viele, die das nicht nötig gehabt hätten. Andere trugen zum Erfolg bei, indem sie uns zu jeder Zeit mit Rat – stets schonungslosem, aber immer gut gemeintem und allem voran ehrlichem – beistanden: der zu Lebzeiten so umstrittene wie unersetzliche Martin Blumenau; die unzerstörbare Anneliese Rohrer; der Künstler und Mediengründer Oscar Bronner; und bisweilen auch für diese Rolle weniger augenscheinlich prädestinierte wie der Ex-„Presse“-Chefredakteur Andreas Unterberger.

Sie alle trugen dazu bei, das österreichischste aller österreichischen Probleme – Geld und Ressourcen gibt es zuhauf, aber dank historisch gewachsener, tief eingegrabener Interessensgruppen in Wirtschaft und Politik sind es verlässlich die Falschen, die darauf Zugriff bekommen – zwar nicht grundsätzlich zu lösen, aber zumindest dafür zu sorgen, dass es mit der totalen Selbstausbeutung ab Ende 2006 vorbei war.

Geld in falschen Händen

Nicht, dass es in unseren Herrenjahren keine Vermögenden gegeben hätte, die ob einer etwaigen Beteiligung vorstellig wurden. Da war der Ex-ÖVP-Obmann und Industrielle, der uns so stundenlang wie atemlos G’schichtln und Geschichten aus seinem Leben erzählte, an deren Ende aber stets derart Unkonkretes oder Unakzeptables stand, dass die Gespräche unweigerlich versandeten. Da war der Immobilienfuchs, der sein Geld in der goldenen Ära der Nischenmagazine gemacht hatte, dessen Produktphilosophie und Interessen sich aber letztendlich als inkompatibel mit unseren erwiesen. Übrig blieb – ich war zu diesem Zeitpunkt nur mehr Zuschauer – der etablierte Medienmanager, dessen Mangel an Menschenkenntnis und verlegerischer Fantasie indes so weit ging, dass er und seine Handlanger das Blatt fast umgebracht hätten.

Was das logische, prototypisch österreichische Ende von „Datum“ gewesen wäre. Mit einem handverlesenen Stamm talentierter Nobodies und de facto keinem Geld, etwas mit derartigen Ansprüchen auf die Beine zu stellen – Ansprüchen, in denen das Scheitern inbegriffen ist – und in bescheidenem, aber nachhaltigem Ausmaß so weiterzuentwickeln, wie es seine heutigen Betreiber wieder tun, zeigte und zeigt Leuten seines Schlags, dass es selbst in einem gestern wie heute von Untertanen-Mentalität geprägten und Dummsprech-verseuchten Land auch anders gehen kann. Was einem nicht wenige Repräsentanten seines Medien-Mainstreams folgerichtig bis heute nicht verzeihen. Wie auch, sitzen die meisten von ihnen doch seit mehr als zwanzig Jahren in einer Stadt fest, „in der man, wenn man nicht ständig aufpasst, schnell vergisst, dass es noch andere Städte gibt“, wie es der ehemalige „Süddeutsche“-Wien-Korrespondent und „Datum“-Taufpate Michael Frank jüngst über ein paar Hofbräuhaus-Mass auf den Punkt brachte.

Wie viele Hirne der Morbus Vindobonensis dahingerafft hat, lässt sich heute allem voran an dem endlosen Strom an Tweets, Newslettern und Podcasts ablesen, deren Inhalte so unfreiwillig wie manchmal furchterregend die Weite des Horizonts dieser Leute offenbaren. Je nach politischer Ausrichtung endet er am Parkplatzrand des Lagerhauses, in der Muschel des Hangarklos, den Clownkabinen des Küniglbergbaus und den Ausläufern des Wienerwalds.

Den Status quo erhalten

Was den die öffentliche Debatte in Österreich gestern wie heute dominierenden Figuren und der virtuellen Parallelgesellschaft, deren Existenz sie mit ihren bisweilen im Sekundentakt abgefeuerten Ergüssen enthusiastisch befeuern, gemein ist: Sie trugen und tragen zur Erhaltung genau jenes Status quo bei, den sie vordergründig beklagen. In einem Land, in dem ein Herbert Kickl als Kanzler zur Möglichkeit geworden ist, möchte man eigentlich meinen, dass sich jede und jeder zuerst an seiner oder ihrer eigenen Nase nimmt und sich nicht reflexartig in performative Lager- und Stammesrituale flüchtet, wenn es um die allzu offensichtliche Mitverantwortung dafür geht; aber selbst diese einfache Übung scheint damals wie heute zu viel verlangt. Anyways. Prost, liebes „Datum“. Auf die nächsten 20!

P.S.: An all die Kolleginnen und Kollegen, Art-Direktoren, Layouter und -innen, Illustratorinnen und Illustratoren, Fotografinnen und Fotografen, Lektoren und -innen, Administrations- und Buchhaltungsleute, Anzeigenkeiler und -innen, die nicht erwähnt wurden, ohne die es „Datum“ aber keine zwei Jahre, geschweige denn zwanzig gegeben hätte: Danke.

Das 2004 von Klaus Stimeder und Finanzconsulter Johannes Weyringer gegründete Magazin „Datum“ feiert heute, Donnerstag, seinen 20. Geburtstag mit einer Feier in Wien. Chefredakteure waren und sind u. a. Stefan Kaltenbrunner (ab 2009) und Stefan Apfl (2015–2020) und seit 2020 Elisalex Henckel Donnersmarck. Seit Mai 2018 ist Sebastian Loudon Herausgeber, seit 2021 auch Eigentümer des Magazins.

E-Mails senden Sie bitte an an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Klaus Stimeder (*1975) berichtet seit März 2022 aus Odessa über Russlands Krieg in der Ukraine, zuerst für die „Wiener Zeitung“, jetzt für den „Standard“. Er studierte u. a. Internationale Entwicklung und Migration an der University of California, Los Angeles (BA, Phi Beta Kappa). 2003 gründete er gemeinsam mit Johann Weyringer in Wien die Monatszeitschrift „Datum – Seiten der Zeit“, die er bis 2010 herausgab.

Von 2010 bis 2021 arbeitete er als US-Korrespondent der „Wiener Zeitung“ und für den Radiosender LAist, ein NPR-Partnerprogramm mit Sitz in Pasadena, Kalifornien. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen u. a. „Trotzdem“, die Biografie des österreichisch-jüdischen Medienunternehmers und Künstlers Oscar Bronner (2008, mit Eva Weissenberger) und der Kriminalroman „Malta Transfer“ (2021).

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