Interview

Deutsches Bahnchaos bei EM: „Das Sprichwort pünktlich wie die Eisenbahn gilt nicht mehr“

Auch einige EM-Teams reisen in Deutschland mit der Bahn.
Auch einige EM-Teams reisen in Deutschland mit der Bahn. Imago / Vincent Kalut
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Der deutsche Verkehrsexperte Christian Böttger zweifelt, dass er in seinem Leben noch eine vernünftig funktionierende Bahn erlebt. Für eine Gesamtsanierung veranschlagt er 200 Milliarden Euro. Die Österreicher würden sich noch über die deutsche Vorgangsweise wundern, wenn sie den Brennertunnel fertig haben.

In Berlin vertrieben sich die österreichischen Fans den Weg zum Olympiastadion mit Schmähgesängen. Ihr Opfer: die Deutsche Bahn. Die Fußballeuropameisterschaft in Deutschland legt das riesige Infrastrukturproblem eines Landes offen, das einmal für seine Pünktlichkeit und Effizienz beneidet wurde. Nun versäumten österreichische Fans wegen der Bahn sogar Spiele für die sie Tickets hatten. Der deutsche Verkehrsexperte Christian Böttger kennt die Probleme, die von zu wenig Geld bis zum Management reichen.

Die Presse: EM-Turnierdirektor Philipp Lahm hat wegen einem verspäteten Zug die erste Halbzeit eines EM-Spiels verpasst. Die Niederländer sind am Dienstag mit Bus statt Bahn aus Berlin abgefahren. Die österreichischen Fans sangen Schmählieder gegen die Deutsche Bahn. Waren diese Szenen erwartbar?

Christian Böttger: Es überrascht mich nicht. Die Bahn ist in einem schlechten Zustand, das beklage ich seit Jahren. Die Probleme zeigen sich. Die Bahn hat personell keine Reserven. Sie kann nicht beliebig Zusatzzüge fahren. Die Infrastruktur ist voll. Man hat aber auch keine Ressourcen in den Werkstätten, um kaputte Züge heil zu machen.

Ist die teils sehr harte Kritik an der Deutschen Bahn aus Ihrer Sicht gerechtfertigt? In den sozialen Medien lassen viele Frust ab, aber auch die New York Times schrieb nach EM-Beginn: Vergessen Sie alles, was Sie über Deutschland zu wissen geglaubt haben.

Das Sprichwort, pünktlich wie die Eisenbahn gilt sicherlich nicht mehr. Aber ich mache das weniger an der Fußball-EM fest. Die bei der EM beobachteten Störungen sind aus meiner Sicht weitgehend im Rahmen.

Deutschland weiß seit sechs Jahren, dass es eine EM ausrichten wird. Hätte man in dieser Zeit die Deutsche Bahn auf Schiene bringen können, wenn man Energie und Geld reingesteckt hätte?

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