Spionage

Warum das Gericht Egisto Ott laufen ließ

Das ehemalige Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in Wien Landstraße.
Das ehemalige Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in Wien Landstraße.ALEX HALADA / Picturedesk.com
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In einer der mutmaßlich größten Spionageaffären Österreichs kommt der Hauptbeschuldigte nach dreimonatiger U-Haft wieder frei. Wie passt das zusammen? Der „Presse“ liegt die Begründung des Gerichts vor.

Die Causa um Ex-Verfassungsschützer Egisto Ott gilt in Österreich als eine der größten Spionageaffären der vergangenen Jahre. Wochenlang beschäftigte sie im Frühling die Republik. Nach knapp dreimonatiger Untersuchungshaft befindet sich Ott aber wieder auf freiem Fuß. Am Mittwoch wurde er vom Oberlandesgericht (OLG) Wien enthaftet. Wie begründet das Gericht seine Entscheidung? Der „Presse“ liegen dazu die entscheidenden Passagen des Gerichtsbeschlusses vor.

Ott steht seit Jahren im Verdacht, für Russland spioniert zu haben. Der ehemalige Beamte des Verfassungsschutzes hat das bestritten. Im Jänner 2021 kam er erstmals in U-Haft, wurde aber bereits im Februar wieder vom OLG Wien enthaftet. Ende März 2024 wurde erneut vom Wiener Straflandesgericht die Untersuchungshaft über ihn verhängt. Zuvor waren neue Hinweise aus Großbritannien auf mutmaßliche Straftaten Otts eingelangt.

Diese Vorwürfe erstrecken sich auf die Zeit nach Otts erster Inhaftierung. Auch danach soll er für Russland spioniert und Geheimnisse verraten haben, so der Verdacht der Staatsanwaltschaft Wien. Daher wurde gegen Ott auch die Untersuchungshaft wegen des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr verhängt – also der Gefahr, dass er auf freiem Fuß wieder strafbare Handlungen begehen könnte.

Drei Komplexe im Fokus

Konkret geht es dabei um drei mutmaßliche Straftaten nach Otts erster Inhaftierung. Erstens soll er am 10. Juni 2022 die Diensthandys von drei Spitzenbeamten des Innenministeriums an russische Agenten übergeben haben. Zweitens soll er am 19. November 2022 verschlüsselte Sina-Laptops mit brisantem Material an russische Dienste verkauft haben. Drittens soll er bereits im März 2021 die Meldedaten des in Österreich lebenden Enthüllungsjournalisten Christo Grozev an russische Agenten verraten haben. Ott bestreitet all das.

Zunächst zu den Handys: Mit der Weitergabe soll Ott einen geheimen Nachrichtendienst zum Nachteil Österreichs unterstützt haben, so die Staatsanwaltschaft. Das Oberlandesgericht Wien hält in seinem Enthaftungsbeschluss fest, dass dieser Tatbestand keinen „Verrat oder eine Preisgabe von Staatsgeheimnissen“ voraussetze. Auch „nicht geheime Tatsachen“ könnten darunter fallen, jedenfalls müssten „konkrete und vitale Interessen Österreichs“ durch die Weitergabe verletzt werden. So etwa, wenn dadurch das Ansehen Österreichs im In- und Ausland beschädigt wird.

Das Oberlandesgericht Wien verweist hinsichtlich der „angeblichen Weitergabe“ der Handys auf Zeugenaussagen im Strafverfahren, dass „wohl personenbezogene Daten, die unter das Amtsgeheimnis fallen, nicht aber geheime Daten oder gar Staatsgeheimnisse“ auf den Handys waren. „Eine Verletzung konkreter oder vitaler Interessen Österreichs durch deren Übermittlung und der entsprechende Vorsatz des Beschuldigten hierauf lässt sich nicht zur Annahme eines dringenden Tatverdachts hinreichend begründen.“

Laptop „niedrigste Schutzklasse“

Ebenfalls keinen dringenden Tatverdacht nimmt das OLG Wien bei der möglichen Weitergabe der Sina-Laptops an. Für die Staatsanwaltschaft Wien hat Ott auch hier einen geheimen Nachrichtendienst zum Nachteil Österreichs unterstützt. Es bestehe der Verdacht, dass sich auf dem Laptop „der Geheimhaltung unterliegende behördliche Daten eines EU-Staates“ befunden haben, hielt sie fest.

Das OLG stellt infrage, ob es sich tatsächlich um ein derart brisantes Gerät gehandelt haben kann. Die gegenständliche Art dieses Laptops sei in der niedrigsten „Schutzklasse (NfD – Nur für den Dienstgebrauch)“ eingestuft. Dieser Laptop könne theoretisch auch von jeder Privatperson gekauft werden und stelle „in vielen Bundesbehörden den Standardarbeitsplatz dar“. Es gebe noch zwei weitere höhere Schutzklassen für solche Laptops, nämlich „Vertraulich und geheim“, die mit zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen geschützt werden. Das Gericht zitiert eine Zeugenaussage, wonach es sich bei der gegenständlichen Art um keinen „Geheim-Laptop“ gehandelt hat.

Allerdings hält das Oberlandesgericht fest, dass „auch die bereits niedrigste Sicherheitsstufe“ solcher Geräte nicht an russische Dienste verkauft werden dürfe. Die bisherigen Ermittlungen hält es aber für unzureichend, um hier einen dringenden Tatverdacht für eine strafbare Handlung abzuleiten: „Da bislang keine tauglichen Erhebungsergebnisse in diese Richtung vorliegen und nicht bekannt ist, ob oder welche Daten sich auf gegenständlichem Sina-Laptop befunden haben, ist der Tatverdacht nicht als dringend anzusehen.“

Daten „allgemein zugänglich“

Bei der Ott vorgeworfenen Weitergabe der Meldedaten von Grozev sei davon auszugehen, dass es sich dabei um allgemein zugängliche Daten nach dem Zentralen Melderegister gehandelt habe. Dass zu dem Journalisten „eine Meldesperre vorlag, ist dem Akt nicht zu entnehmen, sondern derzeit nur Spekulation“. Es sei daher hier kein „dem Geheimnisschutz des DSG (Datenschutzgesetz, Anm.) unterworfenes Recht des Betroffenen noch ein konkretes Recht des Staates“ berührt, so das Oberlandesgericht Wien. Auch hinsichtlich dieser Tat sieht es also keinen dringenden Tatverdacht.

Für jene Straftaten, die Ott nach seiner ersten Untersuchungshaft begangen hat, sieht das OLG Wien damit allesamt keinen dringenden Tatverdacht gegeben. Diese wäre aber erforderlich, um die Untersuchungshaft mit dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr weiter zu rechtfertigen. Einen dringenden Tatverdacht nimmt das Gericht aber nur für Begehung von Straftaten „in einem Tatzeitraum von 2015 bis längstens August 2020“ vor. Dabei geht es vor allem um mutmaßlich rechtswidrige Abfragen zu Personen, die Ott während seiner Zeit als Verfassungsschützer gemacht haben soll. Diese Informationen, etwa zu russischen Regimegegnern, soll er dann den Diensten des Kremls verraten haben. Ott bestreitet das.

Für die Zeit nach Otts erster U-Haft aber bestehe „kein dringender Tatverdacht weiterer (hafttragender) Delinquenz“, so das Oberlandesgericht Wien. Ott habe „nach seiner Enthaftung im Februar 2021 (und somit in den letzten über drei Jahren“ keine strafbare Handlung begangen, „weshalb es an bestimmten Tatsachen mangelt, die Gefahr einer neuerlichen Tatbegehung begründet anzunehmen“.

Fluchtgefahr nicht geprüft

Der Haftgrund der Fluchtgefahr spielt bei der OLG-Entscheidung keine Rolle. Denn Ott befand sich lediglich wegen Tatbe­gehungs- und Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft. Die U-Haft wegen Verdunkelungsgefahr ist auf zwei Monate beschränkt, und diese zwei Monate sind nun vorbei. Das OLG hatte sich mit einer möglichen Fluchtgefahr Otts also gar nicht zu beschäftigen.

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