Architektur und Design

Pariser Bäume statt Wiener Kiesbeete

Auf intensive Begrünung setzt die französische Hauptstadt – selbst in den engen Gassen des Marais.
Auf intensive Begrünung setzt die französische Hauptstadt – selbst in den engen Gassen des Marais. Harald A. Jahn
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Kühlende Maßnahmen wie dichte Bepflanzung werden in Städten immer wichtiger – aber schwer umsetzbar: In Wien will man es allen recht machen und hat Angst vor der wuchernden Natur.

Dieser Zaun schützt Jungpflanzen“, steht auf einem Schild an einem Kiesbeet in der Neubaugasse. Einige Kletterpflanzen arbeiten sich an einer Nirosta-Konstruktion nach oben, daneben sprüht ein Nebelbrunnen Schwaden über den Gehsteig. Das Schild hängt seit drei Jahren am Holzzaun, die niederen Gräser dahinter überzeugen nicht so recht.

Sprung nach Paris: Dort werden Projekte zur konsequenten Begrünung enger Stadtstraßen verfolgt. Oft sind die bepflanzten Bereiche nur 50 cm breit, trotzdem ist eine dichte Kulisse von Kleingehölzen entstanden. Ein Bild, das selbstverständlich sein sollte, und doch sehen auch die fortschrittlichsten Städte Europas noch nicht lange so aus. Erst seit etwa zehn Jahren hat die Pariser Stadtregierung den Kampf gegen den Klimawandel als wichtiges Ziel definiert, im Juli 2019 wurde sie von der Natur bestätigt: Bis auf 42 Grad stieg das Thermometer. 

Individuen, die Freiräume besetzen, erregen Misstrauen

Auch in Wien wurde vor einigen Jahren die Dringlichkeit der Situation deutlich: Eine Serie von immer neuen Rekordsommern hat begonnen, der Klimawandel wurde zum allgemeinen Thema. Trotzdem findet man in Wien kaum neue Grünräume, die man als Oasen bezeichnen könnte: Umgestaltete „klimafitte“ Straßen sind weiterhin nur Steinflächen mit vereinzelten Bäumchen. Sie stehen in Kiesbeeten, die niedrigen Wildblumen und Gräser sind hinter den Staketenzäunen kaum zu sehen – sich unter einem Baum in den Schatten zu setzen ist so nicht möglich. Darüber hinaus ist das die einzige Art der Begrünung, ob auf vorstädtischen Verkehrsinseln, in dicht bewohnten Stadtbezirken oder auf wertvollen historischen Plätzen wie dem Neuen Markt oder bald dem Michaelerplatz. Wann ist eigentlich die Gartenkunst im urbanen Stadtbild verloren gegangen?

Es ist vor allem die Vorschriftenflut, auf die sich die zuständigen Stellen berufen, aber auch die unterschiedliche Wahrnehmung des öffentlichen Raums in Frankreich und Österreich. Seit der Revolution von 1789 ist die Straße in Paris der Ort, an dem die Gesellschaft ihre Werte verhandelt. Hierzulande hat die Politik seit Metternich große Angst vor ungeregelten Nutzungen. Individuen, die Freiräume besetzen, erregen Misstrauen; nichts soll das gewohnte, ordentliche Stadtbild stören. Die Folge ist nicht nur „defensive Architektur“, sondern auch in Zaum gehaltene, allzu übersichtliche Grünräume, die obendrein möglichst wenig Kosten verursachen sollen.

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