Sommerspiele Perchtoldsdorf

„Amphitryon“ im Planschbecken: Sei du selbst, es sei denn, wer anders kann’s besser!

Die Bühne ist ein Becken: Larissa Fuchs als Alkmene, Jakob Seeböck als Amphitryon.
Die Bühne ist ein Becken: Larissa Fuchs als Alkmene, Jakob Seeböck als Amphitryon.Lalo Jodlbauer
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Götter, Identitätsraub und viel Marmorstaub: Die Menschen strampeln sich ab in Kleists Doppelgängerdrama „Amphitryon“ bei den Sommerspielen Perchtoldsdorf. Schön, aber schwerfällig.

Be yourself, everyone else is already taken“, lautet ein Zitat, das gern Oscar Wilde zugeschrieben wird. Dafür gibt es zwar keinen Beleg, aber das scheint die Verbreiter der zahllosen im Netz herumschwirrenden Inspirationssprücherln nicht zu stören. Macht sich doch gut, der Sager: Sei du selbst, alle anderen sind schon vergeben. Das heißt auch: Du bist einzigartig, du bist gut und besonders so, wie du bist! Du bist am besten, wenn du einfach authentisch bist! Keiner ist so gut im Du-Sein wie du!

Nun ja. Ein Zitat, das eindeutig Heinrich von Kleist zugeordnet werden kann, lautet: „Ihr seid doppelt!“ Der Diener Sosias spricht es aus, als er verwundert feststellt, dass sein Herr Amphitryon offenbar in zweifacher Ausführung vorhanden ist. Bei den Sommerspielen Perchtoldsdorf, wo Kleists „Amphitryon“ gerade Premiere hatte und noch bis 27. Juli aufgeführt wird, wird nun demonstriert, wie schlimm es sein muss, von der Einzigartigkeit der eigenen Identität nicht mehr überzeugt sein zu können. Da steigt der Gott Jupiter auf die Erde herab, gibt sich überzeugend als Amphitryon aus – und ist darin, wie sich herausstellt, besser als Amphitryon selbst. Was sich in Perchtoldsdorf besonders in einer Showdown-Szene zeigt, in der sich der „echte“ und der „falsche“ Amphitryon begegnen: Ersterer (Jakob Seeböck) strampelt verzweifelt und ungelenk durch das seichte Becken, das hier als Bühne dient; Letzterer (verkörpert vom spanischen Tänzer Miguel Ángel Collado) tänzelt elegant über das Wasser. Die Kopie ist hier vollendeter als das Original.

Der Regisseur ist auch Bildhauer: Sieht man.

Und die Erde ein eher unwegsames Gelände für eine so schwerfällige Spezies wie den Menschen. Vielleicht war das ja der Gedanke, mit dem Intendant Alexander Kubelka seine Bühne hier gestaltete. Er leitet in seiner zweiten Saison das Perchtoldsdorfer Sommertheater und hat neben der Regie auch das Bühnenbild übernommen. Was es ihm ermöglichte, hier auch seine Arbeit als Bildhauer auszustellen. Sechs marmorne Skulpturen hat er auf unterschiedlich hohen Podesten im Becken vor der Perchtoldsdorfer Burg aufgestellt, leichte Formen aus schwerem Material. Die sich quasi wallend aufrichtenden Steinobjekte sollen die „Tücher der Arachne“ aus Ovids „Metamorphosen“ symbolisieren. Die spinnenartige Weberin hat nämlich, der griechischen Mythologie gemäß, auch die Geschichte des Amphitryon auf ihre Tücher gestickt.

Ästhetisch schön ist diese Produktion zweifellos, vor allem, wenn sich, nach Einbruch der Dunkelheit, die beleuchtete Burgfassade im Wasser spiegelt und das kleine Ensemble zwischen den Skulpturen herumschwirrt. Symbolbeladen wirkt sie allerdings auch, und bisweilen allzu wuchtig und schwerfällig. Wozu die (inklusive Pause) fast dreistündige Spielzeit kommt, und natürlich Kleists Sprache, die zum Leben zu erwecken nicht einfach ist: Das Trauma des Identitätsverlusts, das hier durchdekliniert wird, wirklich mitzuempfinden, wird dem Publikum nicht leicht gemacht.

Eine ergaunerte Liebesnacht

Zu Beginn sieht man Alkmene (Larissa Fuchs), wie sie sich mit Schleifmaschine und Wasserschlauch an einer Marmorskulptur abarbeitet. Wir sind in Theben, und der Feldherr Amphitryon, Alkmenes Ehemann, ist seit Monaten im Krieg. Bis er plötzlich doch da ist – zumindest denkt das Alkmene: Durch das Wasser schleicht Jupiter heran, nimmt die edelsteinbesetzte Wrestlermaske ab und zieht Alkmene zu sich heran, die sich von ihm bereitwillig verführen lässt. Oder wie Kleist sie später sagen lässt: Jupiter erlaubt sich „jede Freiheit, die dem Gemahl mag zustehen“. Für den Göttervater ist es eine ergaunerte Liebesnacht mit einer „echten“ Liebenden: „Auch der Olymp ist öde ohne Liebe“, wird er später sagen.

Alkmene – treu im Herzen, untreu im Ergebnis, in Wahrheit sexuell ausgebeutet – wird damit hineingezogen in einen Konflikt, der sich hier auch als männlicher Geltungskampf darstellt. Jakob Seeböck spielt durchwegs angespannt diese Doppelrolle oder Doppelgängerrolle: Als Jupiter ist er arrogant und selbstgefällig, als Amphitryon aggressiv und eifersüchtig – so weit scheinen die beiden Charaktere gar nicht voneinander entfernt. Die Gerte, mit der Amphitryon um sich schlägt, hält er so fest, dass seine Hand zittert.

Kontrastiert wird all die ernste Dramatik von der etwas heiteren (wenn auch nicht wirklich lustigen) Dramatik der Dienerschaft, die auf ähnliche Art Identitätsraub erlebt. Sosias (Gregor Seberg als simples Gemüt) irrt mit Rollkoffer durch die Szenerie und nimmt den Verlust seines Ichs verwundert, aber mit knechtischer Demut hin. Ein übel gesinnter Merkur (Kajetan Dick) hat ihn ersetzt, seine Frau Charis (sehr theatralisch: Daniela Golpashin) nimmt es persönlich. Und wild wirbelt der Marmorstaub. Große Bilder, große Deklamationen, große Verwirrung. Bis Alkmene seufzt: „Ach!“

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