Fehlt der EU der Sexappeal?

Die Europäische Union braucht die ständige und auch kritische Beachtung ihrer Bürgerinnen und Bürger.

Die Wahlen zum Europäischen Parlament sind geschlagen, zuvor der mediale Hype um die Union: Erklärungsversuche, wie die EU funktioniert, (wirtschaftliche) Leistungsschau der EU, Porträts der Spitzenkandidatin und der -kandidaten. Und danach: Die Analyse der Wahlergebnisse und das Schönreden der Resultate. Noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen, nicht ein Drittel Gegner, sondern zwei Drittel Befürworter, lautete die Parole.

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Unmittelbar darauf Übergang zum Tagesgeschäft: Der Hype ist vorbei, die Berichterstattung dreht sich um das Personenkarussell. Wer bekommt welchen Topjob? Die Erweiterung der EU um die Ukraine und Moldawien steht an, Gespräche werden aufgenommen – EU-Alltag eben.

Dazu tut sich eine Parallele zum Jahr 1994 auf: Vor 30 Jahren wurde eine Pro-EU-Kampagne in Österreich von der damaligen SPÖ-ÖVP-Koalitionsregierung gestartet, die das europäische Herz höherschlagen ließ. Vor 30 Jahren, am 12. Juni 1994, stimmte die österreichische Bevölkerung darüber ab, ob das Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur EU vom Nationalrat verabschiedet werden könne.

Höhepunkt in Korfu

Zuvor, am 1. März, verkündete der damalige Außenminister Alois Mock euphorisch: „Österreichs Weg zur EU ist frei“ – in Analogie zu Leopold Figls Aussage „Österreich ist frei“ von 1955. Die Beteiligung am 12. Juni 1994 war hoch, knapp 83 Prozent: 66,6 Prozent stimmten dafür, den Weg Österreichs in die EU freizumachen.

Am 24. Juni 1994 unterzeichneten Bundeskanzler Franz Vranitzky und Außenminister Alois Mock in Korfu die Beitrittsakte zur EU. Am 24. November, nach der Ratifizierung durch Bundespräsident Thomas Klestil und Bundeskanzler Vranitzky, konnte die Ratifikationsurkunde in Rom hinterlegt werden.

Vor 35 Jahren, mit dem sogenannten „Brief nach Brüssel“ (14. Juli 1989), hatte der Weg Österreichs in die EU begonnen. Die Erfolgsgeschichte setzte sich mit den erfolgreich abgeschlossenen Beitrittsverhandlungen 1994 fort, fand ihren Höhepunkt schließlich in Korfu. Diese Schritte bedeuten Meilensteine in der Geschichte der Zweiten Republik. Seit dem 1. Jänner 1995 ist Österreich Mitglied in der EU.

Europäisch denken lernen

Wo sind nun die Parallelen zu 2024? Vor 30 Jahren war der mediale Hype rund um Österreichs EU-Beitritt enorm groß. Kaum war das Ziel erreicht, ging man – ähnlich wie heute – zur Tagesordnung über. Auch 1994 gab es in Österreich zwei Drittel Befürworter und ein Drittel Gegner – ähnlich wie heute. Doch die Gegner damals waren der EU nicht feindlich gesinnt, wollten die EU nicht zurückbauen oder gar abschaffen.

Umso wichtiger ist es deshalb, der EU dauerhafte Beachtung zu schenken. Umso wichtiger ist es – bei allen Stärken und Schwächen der Union – ständig darauf hinzuweisen, dass wir alle EU sind, dass wir an der EU arbeiten müssen, dass wir lernen müssen, europäisch zu denken.

Den nächsten EU-Hype wird es nächstes Jahr um den 1. Jänner geben, anlässlich von 30 Jahren Mitgliedschaft Österreichs in der EU. Auch danach wird man wieder zum Alltag zurückkehren. Das ist schade, denn eines ist klar: Die EU benötigt eine Seele, und die kann sie nur bekommen, wenn wir ihr dauerhafte, aber auch kritische Beachtung schenken. Dazu sind nicht nur die Medien aufgefordert, sondern alle EU-Bürgerinnen und Bürger.

Univ.-Prof. Mag. Dr. Anita Ziegerhofer (* 1965) ist Leiterin des Fachbereichs Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung.

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