Klimapolitik

Als die Wissenschaft aufhörte, sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen

Nicht mehr im Elfenbeinturm, sondern jetzt auch vor Parteizentralen: „Scientists4Future“ (im April vor der ÖVP-Zentrale).
Nicht mehr im Elfenbeinturm, sondern jetzt auch vor Parteizentralen: „Scientists4Future“ (im April vor der ÖVP-Zentrale).APA / Nikolaus Pichler
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Wissenschaftler haben ihre Rolle in der Gesellschaft neu definiert und legen Parteien auf den Prüfstand. Nach der Sommerpause geht’s weiter, Zeit für eine Zwischenbilanz.

„Ich nehme mir kein Blatt mehr vor den Mund. Das haben wir viel zu lange getan.“ So fasst Reinhard Steurer, assoziierter Professor für Klimapolitik am Institut für Wald-, Umwelt- und Ressourcenpolitik der Universität für Bodenkultur (Boku), die Arbeit der vergangenen Monate zusammen. Die „Scientists4Future“ in Österreich schalten sich lautstark in die klimapolitische Debatte ein.

Die Wissenschaftler organisieren vor jeder der Zentralen der fünf Parteien, die im Parlament vertreten sind, Veranstaltungen. Dabei setzen sie sich mit den Aussagen von Politikern, konkretem Abstimmungsverhalten und Strategien sowie Programmen der einzelnen Parteien auseinander. Die über allem stehende Frage lautet: Wie ist die konkrete Politik der jeweiligen Fraktion mit einer verantwortungsvollen und zielgerichteten Klimapolitik vereinbar?

„Keine Zeit für noble Zurückhaltung“

Begonnen hat diese Serie im April vor der ÖVP-Zentrale. Hier wurde erörtert, dass es nicht Klimaschutz mit Hausverstand sondern Sachverstand brauche. Der Hausverstand sei ein Trottel, wenn es um die Lösung komplexer Probleme gehe.

Steurer: „Wir haben uns zu dieser Form der Wissenschaftskommunikation entschlossen, weil wir keine Zeit mehr für eine noble Zurückhaltung mehr haben.“ Nachsatz: „Und in Wirklichkeit war eine solche auch früher nicht gerechtfertigt.“

Es gehe um eine „klare Ansage“ und eine „klare Beurteilung“, wie ernsthaft die klimapolitischen Vorstellungen der Parteien sind. Die Veranstaltungsserie vor den Parteizentralen sind eine logische Weiterentwicklung eines Reports, der im September 2019 veröffentlicht worden ist und in dem Wissenschaftler des Climate Change Centre Austria (CCCA) die Antworten auf Fragen ausgewertet haben, die „Fridays for Future“ an die Spitzenkandidaten der Parteien gestellt haben. Damals eine erstmalige und einmalige Aktion.

Die Wissenschaftler haben dadurch jedenfalls zu einem neuen Selbstbewusstsein gefunden und zu einem anderen Zugang in die Öffentlichkeit, wodurch sich die Wissenschaft selbst auch in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Diskurse gestellt. Sie stehen auf der Bühne anstatt zuzuwarten, um auf die Bühne gebeten zu werden. Die Teilnahme Dutzender Forscherinnen ist damit gesichert.

Der Brückenschlag zum Publikum, also den Passanten, ist noch nicht gelungen. Vereinzelt ergeben sich Gespräche, nicht mehr. Und der Austausch mit der Politik ist unterschiedlich.

Steurer: „Neos und SPÖ waren an einem Dialog interessiert, den wir dann natürlich gerne aufnehmen“. Im April hat niemand aus der ÖVP-Zentrale den Weg zu den Scientists4Future vor der Haustür gefunden bzw. finden wollen. Dafür wurde Steurer im Nachhinein über Umwege ausgerichtet, „dass sich eine derartige parteipolitische Einmischung für Wissenschaftler nicht gezieme“. Das nehme er als Kompliment, denn es zeige, dass der Protest nicht gänzlich irrelevant sei, sondern zumindest irritiere, so Steurer. Weil sich dringend nötiges Umdenken in der Klimakrise so schwierig gestalte, sei Protest und Irritation leider notwendig.

Die bisherigen Auftritt der Scientists4future können nachgelesen, gehört und angesehen werden:

ÖVP

SPÖ

Neos

Im September werden die Veranstaltungen vor den Parteizentralen der Grünen und der FPÖ über die Bühne gehen.

CCCA-Bewertung von Parteipositionen 2019

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