Spannung

Roman von Ray Nayler: Außerirdische aus der Tiefe

Ray Nayler zollt der fulminanten Intelligenz der Kraken Tribut.
Ray Nayler zollt der fulminanten Intelligenz der Kraken Tribut. Anna Kuznetsova
  • Drucken

Die US-Autoren Ray Nayler und Daniel Kraus widmen sich in ihren Romanen dem Schrecken aus dem Meer. Aber: Die größte Gefahr bleibt der Mensch.

Hochintelligente Kraken, die zu komplexer Kommunikation fähig sind und sogar an Land gehen, um zu jagen. Oder ein Wal, der einen Taucher verschluckt. Das Grauen kommt in den Thrillern „Die Stimme der Kraken“ und „Whalefall“ aus der Tiefe. Es sind zwei Bücher, die nicht nur vom Leben unter Wasser handeln, sondern auch viel tiefsinniger sind als viele vergleichbare Romane, die sich mit Klimawandel, Künstlicher Intelligenz und menschlichem oder tierischem Bewusstsein auseinandersetzen. Die Horrorszenarien dienen vor allem als Köder für die Leser.

US-Autor Ray Nayler verlegt seine Geschichte rund um die intelligenten Achtbeiner in eine nahe Zukunft. Die Oktopoden sind eigentlich Einzelgänger: „Er durchstreift die Meere, allein, würde seine Artgenossen eher fressen, als sich mit ihnen zusammenzutun.“ Als sie sich in Gruppen zusammenschließen, werden die Menschen nervös. Nayler stellt sich die Frage: Was wäre, wenn die erste außerirdische Intelligenz bereits mit uns auf dem Planeten leben würde? Und zwar im Meer. Die Meeresbiologin Ha Nguyen wird von dem Technologiekonzern Dianima, der sich auf Künstliche Intelligenz spezialisiert hat, engagiert, um ungewöhnliche Vorgänge im Meer zu untersuchen. Vor dem vietnamesischen Archipel Con Dao soll eine Krakenart gefunden worden sein, die eine eigene Sprache entwickelt hat. Was wollen die Meeresbewohner uns Menschen sagen? Was führen sie im Schilde? Wollen sie angreifen, oder sich bloß verteidigen? Unterstützt wird die Wissenschaftlerin von Evrim, einem von Dianima entwickelten Androiden. Auf der isolierten Forschungsstation befindet sich weiters eine mysteriöse Kriegsveteranin mit dem Namen Altantsetseg, die Killerroboter befehligt, um die Insel mit allen Mitteln vor Eindringlingen abzuschirmen.

Wie liest sich dieses Buch im Jahr 2100?

Beim Lesen von „Die Stimme der Kraken“ fühlt man sich an Steven Spielbergs visionäres Meisterwerk „Minority Report“ erinnert. Es ist wie ein Blick in das Jahr 2100. Wie wird sich dieses Buch dann lesen? Was davon wird Realität geworden sein? Sogenannte Autonomönche etwa helfen frisch geschlüpften Meeresschildkröten ins Wasser, Identitätsschilde verschleiern die wahre Identität von Personen und auf den Meeren kreuzen mit Künstlicher Intelligenz gesteuerte Schiffe profitorientierter Konzerne mit menschlichen Sklaven an Bord.

Naylers Landsmann Daniel Kraus wiederum schreibt wissenschaftlich exakt darüber, was passieren könnte, wenn ein Pottwal tatsächlich einen Menschen verschlucken sollte. Im Zentrum steht Jay Gardiner, der mit den Geistern seiner Vergangenheit zu kämpfen hat. Die Beziehung zu seinem Vater war schon zu Lebzeiten problematisch, seit dessen Tod wird er aber zunehmend von Schuldgefühlen geplagt. Deshalb begibt er sich an jenen Ort, an dem sein Vater im Meer verschwand. Er will nach den sterblichen Überresten des Familientyrannen suchen, um inneren Frieden und den mit seiner Familie zu finden.

Beim Tauchgang wird er ausgerechnet von den Tentakeln eines Riesenkalamars erfasst, der kurz darauf von einem nach Futter suchenden Wal attackiert wird. Jay und der Riesenkalamar verschwinden im Rachen des größten Raubtiers der Welt. Bei der Lektüre muss man unweigerlich an Pinocchios aus der japanischen Zeichentrickserie bekanntes Abenteuer im Bauch eines Wales denken – obwohl die Holzpuppe im Originalbuch von Carlo Collodi eigentlich von einem Riesenhai verschluckt wird. Was Jay in den Mägen – Wale besitzen vier davon – erlebt, ist nur schwer aushaltbar. Man spürt beim Lesen die unerträgliche Enge, die unbarmherzigen perestaltischen Bewegungen der Verdauungsorgane des Tieres.

Nach der Lektüre der beiden Bücher ist klar: Die Beziehung des Menschen zu den Meeresbewohnern beruht zum Großteil auf Missverständnissen, Nichtwissen und Ignoranz. Kraken sind nicht nur dazu da, um verspeist zu werden. Sie zählen zu den intelligentesten Bewohnern dieses Planeten. Doch wo steht der Mensch im fragilen Gefüge des Ökosystems, für dessen Erhalt er so wenig tut?

Das Salzwasser in uns

In ihrem fiktiven Buch „Wie Meere denken“ lässt Nayler seine Figur Ha Nguyen schreiben: „Wir sind aus dem Meer gekommen und wir überleben nur, weil wir unser ganzes Leben lang Salzwasser in uns tragen – in unserem Blut, unseren Zellen.“ Ihre Schlussfolgerung: „Das Meer ist unser wahres Zuhause. Deshalb empfinden wir die Küste als so beruhigend: Wir stehen dort, wo die Wellen brechen, wie Vertriebene, die heimkehren.“ Das ist ein schöner Gedanke, der von einem weiteren an einer späteren Stelle übertroffen wird: „Es ist wichtig, wie wir die Welt sehen –aber es ist ebenso wichtig zu wissen, wie die Welt uns sieht.“

<em>Ray Nayler: </em><u>„Die Stimme der Kraken“</u>, übersetzt von Benjamin Mildner, Tropen-Verlag, 460 Seiten, 27,50 Euro
Ray Nayler: „Die Stimme der Kraken“, übersetzt von Benjamin Mildner, Tropen-Verlag, 460 Seiten, 27,50 Euro
<em>Daniel Kraus: </em><u>„Whalefall“</u>, übersetzt von Claudia Rapp, Festa-Verlag, 400 Seiten, 26,50 Euro
Daniel Kraus: „Whalefall“, übersetzt von Claudia Rapp, Festa-Verlag, 400 Seiten, 26,50 Euro

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.