Auf Achse

Amerikanischer Alltag mit zweierlei Maß

Auch beim Tanken in den USA muss man in Gallonen denken.
Auch beim Tanken in den USA muss man in Gallonen denken.Getty Images / Scott Olson
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Eine Gallone sind 3,7851 Liter, eine Meile sind 1,60934 Kilometer, eine Unze sind 28,3495 Gramm, und 97 Grad Fahrenheit sind 36,1111 Grad Celsius: Kommen Sie noch mit? Über das Leben und Einkaufen und Autofahren im Maßeinheitenvakuum.

Jüngst machte in einem Gruppenchat ein Screenshot von einem T-Shirt die Runde: Der Slogan „WTF is a kilometer?“ stand da in silbernen Lettern, vor einem Hintergrund mit US-Fahne, Weißkopfseeadlern, Panzern und dem obligatorischen Hamburger.

Ein amerikanischer Freund bestellte es für uns alle – in einem chinesischem Onlineshop mit der Tagline „Made in USA“ –, als Quasigeschenk zum 4. Juli, dem Unabhängigkeitsfeiertag.

Aber seitdem hat das T-Shirt – das wohl erst in Monaten ankommen wird, über den Pazifik ist es immerhin ein weiter Weg – ein Eigenleben entwickelt. Etwa, als ich mit besagtem Freund und seinem Ehemann in einem „pickle shop“ irgendwo in Upstate New York gestanden bin. Ein „pickle shop“, nur zur Erklärung, ist genau das: ein Laden, der ausschließlich eingelegtes Gemüse verkauft. In diesem Fall kann man aus ungefähr einem halben Dutzend Gurkensorten wählen, die vor einem aufgereiht in riesigen Plastiktanks schwimmen.

Ich sage einfach irgendwas

Wir sind hier wegen der „Hot and spicy“-Variation, die wir nach New York City zurückkarren müssen. Glauben Sie mir, Sie haben noch nie eine Gurke gegessen, die derart knackig und erfrischend und besonders ist. Der Besitzer gibt Chiliflocken in die Salzlake. Es scheint sehr einfach zu sein, aber es schmeckt viel komplizierter: Jeder, der sie gekostet hat, wird quasi süchtig danach.

Und dann kommt der Teil, bei dem mir bewusst wird, dass ich dann doch einfach nicht von hier bin. An die neuen Gurkengeschmäcker habe ich mich irgendwann gewöhnt (nein, die sauren Gurken im Diner schmecken nicht so wie die von Efko). Aber die große Tafel, die vor mir hängt, überfordert mich nach wie vor. „Half-pint. Pint. Half-gallon. Gallon.“

Ich reagiere wie immer und sage einfach irgendetwas. Meine Freunde beginnen zu lachen. Sie kennen das Schauspiel mittlerweile. Mich beruhigt, dass ich mit dem Verkäufer zumindest über das EM-Spiel reden kann, das im Hintergrund auf seinem Laptop läuft – im Gegensatz zu meinen amerikanischen Freunden. Ha!

Existenz im Temperaturvakuum

Doch ich muss gestehen, dass die Kilometer-Sache sich weiter zieht. Versteht irgendjemand Fahrenheit? Inzwischen sind für mich Celsius- und Fahrenheit-Werte unbedeutend, ich existiere in einer Art Temperaturvakuum, in dem es entweder kalt, moderat kalt, moderat warm oder übelst heiß ist (ich glaube, das wären 97 Grad Fahrenheit, wie mich mein Deli-Mann diese Woche aufklärte, als eine regelrechte Hitzeglocke über der Stadt hing).

Die Umrechnung in Meilen habe ich mir schön langsam antrainiert, immerhin bin ich hier selbst mit dem Auto unterwegs. Doch mein Sprachgebrauch macht auch nach Jahren in den USA noch nicht ganz mit. Als wir beim Gurkengeschäft aufbrechen, frage ich meine Freunde, wie viele Kilometer wir jetzt noch nach New York brauchen würden.

„What the fuck“, kommt es vom Fahrersitz zurück, „is a kilometer?“ Ich habe mir dieses T-Shirt redlich verdient.

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