Gastkommentar

Regierung Biden auf einem Selbstzerstörungs-Trip

Peter Kufner
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Das jüngste Zollpaket der US-Regierung gegen China ist eine radikale Abkehr von der traditionellen US-Handelspolitik.

Weltweit erscheinen die Demokratien fragil und in der Defensive. zu sein. Vergleiche mit den 1970er-Jahren und der Zwischenkriegszeit drängen sich auf. In den Vereinigten Staaten hat das starke Abschneiden von Donald Trump in den jüngsten Umfragen und das schlechte Abschneiden von Joe Biden in der jüngsten Fernsehkonfrontation eine neue Welle der Angst vor einem autoritären Nationalismus ausgelöst. Für viele, die die US-Präsidentschaftswahlen 2016 und 2020 aufmerksam verfolgt haben, ist sein Vorsprung in den wichtigsten Swing States geradezu alarmierend.

Die Nachahmung der Ziele des politischen Gegners wäre die schlechteste Strategie für demokratische Parteien weltweit und insbesondere für die Demokraten in den USA. Dieses Spiel können sie nicht gewinnen. Und doch tun viele genau das. Man denke nur an das jüngste Zollpaket von US-Präsident Biden gegen China, das eine radikalere Abkehr von der traditionellen US-Handelspolitik darstellt als alles, was Trump während seiner Präsidentschaft eingeführt hat.

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In den Schlagzeilen geht es zwar um die Zölle in Höhe von 100 Prozent auf chinesische Elektroautos, aber in Wirklichkeit geht es um Batterien, Stahl, Aluminium und Halbleiter. Auch wenn die Öffentlichkeit diese Güter nicht direkt kauft, sind sie doch Vorprodukte für viele in den USA hergestellte Produkte und Geräte.

Was Zölle bewirken werden

Vermutlich hofft die Biden-Administration, dass die amerikanischen Bürger die wirtschaftlichen Auswirkungen kaum spüren werden und nur die gegenüber China eingeschlagene härtere Gangart sehen.

Wir wissen, was die Zölle nicht bewirken werden. Sie werden nicht viele Arbeitsplätze in den USA schaffen (oder „zurückbringen“), denn wenn die USA in großem Maßstab Elektroautos oder Solarpaneele herstellen wollten, wären sie überwiegend auf automatisierte Fabriken angewiesen.

Zölle werden auch nicht die Beziehungen zu den Verbündeten der USA verbessern, etwa durch die Förderung von „friendshoring“. Stattdessen werden europäische Hersteller wahrscheinlich Märkte für technische Produkte, die sie nach China verkaufen, verlieren, da die chinesische Industrieproduktion im Inland steigt.

Die Zölle werden auch die Dekarbonisierung nicht beschleunigen. Im Gegenteil: Indem Biden wichtige grüne Technologien verteuert (und damit ihre Masseneinführung verzögert), wird die Welt noch wärmer. Wie ein Bericht der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung zeigt, werden die Mineralien und Seltene Erden (Gallium, Germanium), die für teure Teile der Batterietechnologie benötigt werden, nach wie vor hauptsächlich aus China bezogen.

Schließlich werden die Zölle die Menschenrechtsbilanz Chinas ganz gewiss nicht verbessern. Sie werden nur diejenigen bestätigen, die bereits glauben, dass die amerikanische Menschenrechtsrhetorik reine Heuchelei ist und getrost ignoriert werden kann.

Dennoch werden die Zölle eine Wirkung haben: Sie werden den Demokraten helfen, die Wahl zu verlieren. Egal, wie hoch die derzeitige Regierung die Zölle ansetzt, Trump wird immer behaupten können, er würde sie noch höher ansetzen. Biden wird weiter so aussehen, als reagiere er nur halbherzig und altersschwach auf Trumps Herausforderung.

Darüber hinaus haben die Zölle das Argument des chinesischen Präsidenten Xi Jinping und des russischen Präsidenten Wladimir Putin bestätigt, dass die alte internationale Ordnung zerbrochen ist, weil die USA sich nicht an die Regeln halten. Und vor allem (im Zusammenhang mit den Wahlen) werden die Zölle das Problem der steigenden Kosten für die einfachen Amerikaner verschärfen.

Trump hat die Inflation bereits zu einem Wahlkampfthema gemacht. Bei seinen Auftritten behauptet er (natürlich lügnerisch), er könne keinen Speck mehr auf sein Sandwich legen, weil er zu teuer sei.

Was für einfache Leute zählt

Die Inflationsdebatte wird häufig missverstanden. Wie alle westlichen Regierungen kann auch die Biden-Regierung darauf verweisen, dass die Inflation rapide gesunken ist und sich in Reichweite des alten Zwei-Prozent-Ziels befindet. Aber das ist für die einfachen Leute nicht wichtig. Sie sehen, dass die Kosten seit der Covid-19-Pandemie dramatisch gestiegen sind und eine lange Phase der Preisstabilität beendet haben.

Obwohl die kumulierte Inflation seit 2020 bei etwa 20 Prozent liegt, ist die Wahrnehmung noch schlechter, da sich Verbraucher und Medien auf einige wenige extrainflationäre Posten wie Trumps Speck konzentrieren. Wohnen und Lebensmittel sind viel teurer geworden. Eine Gallone Milch, die Anfang 2020 noch 3,25 Dollar kostete, stieg bis 2022 auf über 4 Dollar; ein Dutzend Eier verteuerte sich von 1,45 Dollar zu Beginn der Pandemie auf 4,82 Dollar im Jänner 2023, bevor der Preis wieder auf 2,86 Dollar fiel.

Gleichzeitig denken die Wähler nicht an Kleidung und andere Produkte, deren Preise relativ stabil geblieben oder sogar gesunken sind, wie im Fall von Elektroautos. Sie werden aber wahrscheinlich einen Preisanstieg bei einer Vielzahl von Konsumgütern als Folge der neuen Zölle bemerken.

Rückblick auf die 1970er Jahre

Der Rückblick auf die 1970er Jahre bietet hier einige Lehren. Damals versuchten die USA, japanische Autos und andere Fertigwaren zu verdrängen, die billiger und effizienter waren. Das Ergebnis war für die amerikanischen Produzenten nur vorübergehend von Vorteil. Mittelfristig verloren sie Märkte und Glaubwürdigkeit, langfristig mussten sie sich mit Verspätung an neue Technologien anpassen.

Der Protektionismus kostete die US-Autobauer wertvolle Zeit für die Umstellung und vernichtete letztlich mehr Arbeitsplätze als er schuf. Der Protektionismus verprellte auch die Verbraucher, die über die Inflation besorgt waren, und trug schließlich zur Niederlage des Demokraten Präsident Jimmy Carter bei den Wahlen 1980 bei.

Im Jahr 2023 gab sich die Biden-Regierung große Mühe zu erklären, dass sie sich nicht von China abkoppeln, sondern lediglich die Risiken mindern wolle. Doch nun hat sie in einem Anfall von Panik eine aggressive Politik der bewussten Abkopplung betrieben.

Morgenthaus Botschaft

Weder wird eine Regierung plötzlich Wähler gewinnen, weil sie sich für „Entkopplung“ entschieden hat, noch wird sie nennenswerte Fortschritte bei der Bekämpfung des Klimawandels erzielen, indem sie die Kosten auf andere abwälzt. 1944 sagte der US-Finanzminister Henry Morgenthau: „Wohlstand ist wie Frieden unteilbar. Wir können es uns nicht leisten, ihn hier oder dort an die Glücklichen zu verteilen oder ihn auf Kosten anderer zu genießen.“

Diese Botschaft war damals richtig, sie ist es auch heute. Politische Führer schaffen Vertrauen, wenn sie zeigen können, dass ihre Politik den einfachen Menschen nützt, die Preise senkt und bessere Produkte zur Verfügung stellt. So sähe eine effektive Regierung aus, doch gerade viele Demokratien liefern derzeit nicht die gewünschten Ergebnisse.

Deutsch von Andres Hubig
Copyright: Project Syndicate 2024

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

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Harold James ist Professor für Geschichte und internationale Angelegenheiten an der Uni Princeton. Sein Buch „Seven Crashes: The Economic Crises That Shaped Globalization“ erschien bei Yale University Press.

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