Fußball-EM

Achtelfinale gegen die Türkei: Österreichs Fußball vor der historischen Chance

Florian Grillitsch, Ralf Rangnick, Marcel Sabitzer und Marko Arnautovic beim Stadionbesuch am Montag.
Florian Grillitsch, Ralf Rangnick, Marcel Sabitzer und Marko Arnautovic beim Stadionbesuch am Montag.GEPA pictures / Armin Rauthner
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Das 6:1 von Wien darf gegen die Türkei bei der EM kein Trugschluss sein, weiß Teamchef Ralf Rangnick. Siehe da: Es gibt Parallelen zu Otto Rehhagel.

Leipzig. Die Spannung steigt, rundum werden Wirbel und Euphorie immer größer, nur im ÖFB-Team bleibt es bei dieser Fußball-EM erstaunlich ruhig. Man trainiert, zeigt sich dabei 15 Minuten lang der Öffentlichkeit, auch vor dem Abschluss zum Achtelfinalspiel gegen die Türkei war das (noch in Berlin) nicht anders. Ralf Rangnick gab Anweisungen, Spieler lachten und liefen, Gernot Trauner war nach seiner Verletzung gegen Polen erstmals wieder dabei. Am Nachmittag erfolgte dann die Anreise nach Leipzig.

Da wird es dann lauter, noch emotionaler: Österreich spielt am heutigen Dienstag (21, live ServusTV) um den erstmaligen Einzug in ein EM-Viertelfinale. Nach dem Gruppensieg muss man sich der ungewohnten Favoritenrolle stellen, manch einem läuft auch das 6:1 gegen die Türkei aus dem Testspiel noch vor den Augen ab. Gelingt das Historische, wartet am Samstag im Berliner Olympiastadion der Sieger des Duells zwischen den Niederlanden und Rumänien.

Rangnick wie Rehhagel?

Den neuen Fußball-Optimismus hat man im ÖFB-Lager freilich wahrgenommen. „Dass wir als Erster aus dieser Gruppe rausgehen, ist schon eine außergewöhnliche Leistung. Wir bekommen mit, dass dadurch Zuversicht und Erwartungshaltung nochmal gestiegen sind“, weiß Rangnick. Den großen Optimismus bewertet der Deutsche als zusätzliche Moralinjektion. Dass Leipzig für ihn und Österreich einen gewissen „Heimvorteil“ (siehe Artikel rechts) bedeuten, liegt auf der Hand. Einen weiteren Aspekt sollte er, als Trainer eines Außenseiters der zum EM-Geheimtipp avancierte, auch nicht übersehen. Bislang war es nur Otto Rehhagel gelungen, als „Ausländer“ ein anderes Team zum EM-Sieg zu führen. 2004 war „Rehhakles“ 66 Jahre alt, wie Rangnick.

Am Cottaweg 7 steht Leipzigs einzigartige Akademie, wurden RasenBalls Beitrag und Rangnicks Werk Wirklichkeit. Auf der anderen Seite der Elster thront das Stadion, bei einem Aufstieg hätte das ÖFB-Team drei EM-Siege in Folge gefeiert. Im Rahmen einer Endrunde gelang das zuletzt bei der WM 1954. Der letzte Pflichtspielsieg gegen die Türken liegt 35 Jahre zurück. Wo, wenn nicht hier, wo ein Klub aus der vierten Liga unter Rangnicks Feder bis in die deutsche Bundesliga marschierte, sollte es eher gelingen?

Blick zurück, vor 20 Jahren überraschte Otto Rehhagel
Blick zurück, vor 20 Jahren überraschte Otto RehhagelImago / Imago

Aggressives Spiel

Österreichs Fußball-Nationalspieler machen sich also keine Sorgen, heute (21 Uhr/live ServusTV) in einem möglicherweise emotional aufgeladenen EM-Achtelfinale gegen die Türkei die Nerven zu verlieren. Auch die Drucksituation, in der Favoritenrolle in die K.o.-Phase zu starten, soll nicht zum Stolperstein werden. „Es geht jetzt darum, jede Minute bei dem Turnier auch ein Stück weit zu genießen“, erklärte Christoph Baumgartner am Montagabend am Spielort in Leipzig.

In erster Linie wolle man sich selbst und den Menschen in Österreich eine Freude bereiten, versicherte Baumgartner - und dabei auch nicht von der eigenen Spielweise abrücken. „Wir sind auch eine Mannschaft, die durchaus aggressiv ist. Wir werden auch versuchen, Emotionen ins Spiel zu bringen - kontrollierte Emotionen“, sagte der Niederösterreicher. „Wenn wir das schaffen, müssen wir uns keine großen Sorgen machen, dass uns das Spiel aus den Händen gleitet, weil wir irgendwie durchdrehen oder völlig wahnsinnig sind.“

Christoph Baumgartner jubelt mit Michael Gregoritsch
Christoph Baumgartner jubelt mit Michael Gregoritsch APA / APA / Georg Hochmuth

Man wisse als Spieler, dass man in derartigen Partien einen „kühlen Kopf“ benötige, ergänzte sein RB-Leipzig-Kollege Nicolas Seiwald. „Natürlich ist der Puls hoch bei so einem Spiel. Es wird intensiv, trotzdem muss die Birne klar sein, damit man die richtigen Entscheidungen treffen kann“, betonte der Salzburger. In der K.o.-Phase helfe keine gute Leistung allein. „Es steht das Ergebnis im Vordergrund. Ohne einen Sieg morgen können wir nicht weiterspielen. Ohne einen Sieg morgen können wir das Turnier nicht gewinnen im Endeffekt.“

Wohin geht die EM-Reise?

Mit dem Turnierbaum - Österreich befindet sich in der nominell deutlich leichteren Rasterhälfte - beschäftige man sich daher vorübergehend nicht. „Wir müssen erst einmal morgen einen großen Brocken zur Seite räumen, um dann zu schauen, wo es hingehen könnte“, erklärte Baumgartner. Grundsätzlich verhalte es sich beim Spielplan aber wie mit der Ligatabelle: „Jeder Spieler sagt nein, am Ende des Tages schaut aber schon jeder irgendwo drauf.“

Sicherheit gibt den Österreichern die Spielphilosophie, die Teamchef Ralf Rangnick in den vergangenen zwei Jahren implementiert hat. Türkei-Coach Vincenzo Montella verglich die Automatismen der ÖFB-Elf mit jenen eines Clubs. „Das ist wie ein Anker für uns, an dem wir uns immer festhalten können“, schilderte Baumgartner. „Das macht uns sehr stark. Ich glaube, in einer Nationalmannschaft ist das wesentlich schwieriger zu entwickeln als in einer Clubmannschaft, wo du tagtäglich mit dem ganzen Kader trainieren kannst.“

Marko Arnautovic
Marko Arnautovic APA / APA / Georg Hochmuth

Ein Markenzeichen des ÖFB-Teams ist der druckvolle Start. In sechs der bisherigen sieben Länderspiele des Jahres traf Österreich in den ersten zehn Minuten. „Das ist vielleicht ein bisschen Glück, aber auch kein Zufall“, meinte Baumgartner. „Es geht darum, direkt energetisch nach vorn zu gehen.“

Sechs Tore hat Baumgartner in den vergangenen acht ÖFB-Partien erzielt - darunter im März den Weltrekord-Treffer im Test in der Slowakei (2:0) nach lediglich 6,3 Sekunden. In seiner ersten Saison in Leipzig hat es der 24-Jährige wie Seiwald dennoch noch nicht zum Stammspieler gebracht. „Es sind Kleinigkeiten, warum es scheint, dass es hier bisher nicht so funktioniert hat wie beim Nationalteam“, sagte Baumgartner. „Ich bleibe ruhig und mache mein Ding weiter.“

Seiwald blüht unter Rangnick auf

Gute EM-Leistungen werden das Standing des ÖFB-Duos auch bei ihrem Club verbessern. Aus Rangnicks Team sind sie ohnehin nicht wegzudenken. „Beide Spieler passen hervorragend zu der Art, wie wir spielen wollen“, lobte der Teamchef. Seiwald hätte trotz seiner Spielweise in den drei Gruppenspielen keine Gelbe Karte kassiert. „Das muss man auch erst einmal schaffen.“ Der 23-jährige Mittelfeld-Rackerer beging in 270 EM-Minuten noch nicht einmal ein Foul - bei einem ÖFB-Bestwert von 20 Ballgewinnen.

Von bisher 25 Länderspielen unter Rangnick hat Seiwald 23 durchgespielt, darunter die jüngsten 18 in Folge. Er kam damit im vergangenen Jahr auf mehr Minuten im ÖFB- als im Leipzig-Dress. In Sachsen gefällt es ihm dennoch. „Ich fühle mich sehr wohl, wenn ich hier reingehe“, sagte Seiwald über das Stadion in Leipzig. „Das ist sicher kein Nachteil. Ich hoffe, das hilft uns.“ Die Spielfläche wurde zudem zur besten in der deutschen Bundesliga gewählt. „Wir haben einen überragenden Rasen, das wird uns sehr zu Gute kommen“, meinte Baumgartner.

Nicolas Seiwald
Nicolas SeiwaldImago / O.behrendt

Der Waldviertler ist neben Marko Arnautovic der einzige Österreicher, der mehrmals bei EM-Endrunden getroffen hat. Die einwöchige Pause seit dem 3:2-Coup im abschließenden Gruppenspiel gegen die Niederlande ist für Österreichs wichtigsten Kreativspieler kein Problem. „Wir kennen den Rhythmus aus der Bundesliga, für uns ist das nichts Außergewöhnliches.“ Der Spagat zwischen Regeneration, Kopffreibekommen und Fokus auf die nächste Aufgabe sei gelungen. Baumgartner: „In den letzten Tagen, als die anderen Spiele abends wieder losgegangen sind, ist das Kribbeln wieder losgegangen.“

Match-Daten

Österreich - Türkei, Leipzig, 21 Uhr, SR Soares Dias (POR).
Österreich: Pentz; Posch, Danso, Lienhart, Mwene; Laimer, Seiwald; Schmid, Baumgartner, Sabitzer; Arnautovic.
Türkei: Günok; Müldür, Bardakci, Demiral, Kadioglu; Ayhan, Özcan; Kahveci, Güler, Yildiz; Yilmaz.

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