Open Air

Lido Sounds: Ein heißes Festival mit Relevanz

Wer auch immer Anja Plaschg alias Soap&Skin zum Festival-Gig überredet hat: danke!
Wer auch immer Anja Plaschg alias Soap&Skin zum Festival-Gig überredet hat: danke!APA/Wolfgang Hauptmann
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Bei Affenhitze ging in Linz das Lido Sounds Festival über die Bühne. Die Deutschrapper gaben sich politisch, Soap&Skin bearbeitete in einem ihrer raren Auftritte das Klavier. Und als es endlich Regen gab, entschuldigte sich Headliner Sam Smith.

Falls er in Flammen aufgehe, solle man die Notausgänge benutzen, scherzte der irische Liedermacher Hozier. Gossip-Sängerin Beth Ditto, im leichten Sommerkleid, stöhnte (auf Deutsch) „Scheiße ist heiß“ und stimmte damit in den allgemeinen Chor des Hitzesuderns ein. Es war aber auch wirklich warm am Lido Sounds Festival vergangenes Wochenende in Linz. Die Zuschauerschaft auf dem Urfahranermarktgelände an der Donaulände rottete sich in den spärlichen Schattenzonen zusammen, wo man sich selbst am hellen Betonboden beinahe den Hintern verbrannte. Die Vollversiegelung des Platzes, die meiste Zeit im Jahr zum Autoabstellen genutzt, macht sich bemerkbar. Ein Plakat mit der Aufschrift „Wir lieben Musik, aber hier brauchen wir eine grüne Wiese“ hing von einem Balkon eines umliegenden Hauses. Dient das Lido der Stadt als Vorwand, um den Platz nicht kostspielig umgestalten zu müssen, wie manche Ortsansässigen fürchten? Festival und Grünfläche schließen sich nicht aus, das kann man in der ganzen Welt nachprüfen (am Frequency werden etwa Plastikmatten aufgelegt). Warum nicht in Linz?

Hitze löst eine gewisse Lähmung aus, auch beim Wunschkonzert, selbst wenn man ausgeschlafen und frisch geduscht ist – einer der Vorteile des urbanen Veranstaltungsortes, wo Campen nicht möglich ist. Am Freitag ging es (nach dem „Infinity Opening-Day“ am Donnerstag) am Lido erst richtig los, auf beiden Bühnen und mit 23.000 Besuchern. Zwei erhoffte Höhepunkte fielen flacher aus als erwartet: Beth Ditto erklomm die Höhen der Hits ihrer Disco-Rocker Gossip schwer, trotz Griffs zum Tee. Krank sei man, entschuldigte sie sich. Der irische Liedermacher Hozier legte danach seine Show zu ruhig an – trotz toller Band (fünf Männer, fünf Frauen) und schönem aktuellem Album „Unreal Unearth: Unheard“. Dass sein Überhit „Take Me to Church“ nicht zufällig als Protestsong genutzt wird, stellte er live unter Beweis, indem er eine politische Brandrede auf demokratische Rechte hielt.

Dieses „Easy“ ist schwer zu machen

Wie immer lieferten Deichkind eine große Show ab, Headliner der kleineren Bühne, wo der Zuschauerraum mehr breit als lang und schneller voll war – dann wurde der Zugang beschränkt. Die Hamburger Hip-Hop-Formation hat ihren Auftritt klug konzipiert: Nach dem gedrosselten Beginn mit viel neuem Material drehte die Band nach einer Umbaupause richtig auf – mit Publikumsritt im Schlauchboot und alten Hits wie „Arbeit nervt“.

Headliner auf der großen Bühne war ein Lokalmatador: Parov Stelar rund um den Linzer Marcus Füreder, der inzwischen wieder in der Stadt wohnt. Von der Nervosität vor dem Heimspiel, über die Sängerin Elena Karafizi sprach, war wenig zu spüren. Die Band ist eingespielt, die neuen Lieder fügten sich nahtlos ein. Parov Stelar sind Electroswing in Bestform, manche tun das als Easy Listening ab, aber diese Leichtigkeit zu erzeugen, ist harte Arbeit. Der Mastermind meldete sich erst gegen Schluss selbst zu Wort und fragte nach der Nummer des Linzer Bürgermeisters. Vielleicht will er mit ihm über die Sperrstunde verhandeln, 23 Uhr, die strikt eingehalten wurde.

Brutal heiß war es auch am Samstag, dem „jüngsten Tag“ des Festivals mit viel bei der Jugend beliebtem deutschem Sprechgesang. Oder österreichischem: Bibiza verwandelte die Bühne mit rotem Vorhang und Sofa in Lippenform in ein Separee. „Schreit alle ganz laut, wenn man mit Kunst Geld verdienen kann“, forderte er, sang über die Schickeria und die Akademie der bildenden Künste. Nina Chuba zeigte eine perfekte Show und gab einen Vorgeschmack auf ihr neues Album.

Politisch zeigten sich ihre Landsmänner, 01099 (sprich: null-zehn-neunundneunzig), K.I.Z und Headliner Kraftklub. Alle drei positionierten sich – in unterschiedlichen Abstufungen – gegen den Rechtsaußen-Ruck. 01099 sind aus dem ostdeutschen Dresden, Kraftklub aus Chemnitz; in beiden Städten war die rechtsextreme AfD zuletzt stimmenstärkste Partei. Wenn man ein Mikro in der Hand habe, müsse man klarmachen, „dass wir gehen Homophobie, Transphobie und Rassismus sind“, sagte Kraftklub-Leadsänger Felix Brummer. Die Rap-Rocker, von der „Zeit“ als „die erfolgreichsten Loser des Landes“ tituliert, sind ein Live-Phänomen: In ihrem Universal-Appeal quer durch alle Schichten treten sie das Erbe der Toten Hosen an.

Einen kleinen Coup landete das Festival am Sonntag: Wer auch immer die tendenziell scheue Anja Plaschg alias Soap&Skin überredet hat, hier aufzutreten: danke. Die Künstlerin begann mit einer gut zehnminütigen Bearbeitung von „The End“ der Doors, drosch auf den Flügel ein, dass man Verletzungen fürchtete, tanzte eckig zu viel Ungehörtem. Ein Konzert als Performance. Eindrucksvoll. Fürs Publikum gab es am Schluss gar Kusshände. Plaschgs Auftritt bestärkte den Eindruck vom Lido als Festival, das musikalisch relevant sein will.

Das soll es auch. Als Nostalgieveranstaltung wie das Nova Rock taugt es weniger. Bei den alten Helden der Nullerjahre am Sonntag waren die Zuschauerreihen deutlich lichter. Dabei gab sich Mike Skinner alias The Streets als Star zum Anfassen: Rappend spazierte der Brite durchs Publikum und ließ Selfies mit sich machen. Die Idles und die Editors zogen ihre jeweilige Fanbase vor die Bühnen, als der Himmel dunkler wurde, Wind aufkam. Ein Unwetter kündigte sich an, die Show wurde unterbrochen. Nach 20 Minuten war der Spuk vorbei. Doch Regen kam und blieb. Trotzdem standen die Libertines pünktlich als Headliner auf der kleineren Bühne. Der inzwischen drogenfreie Barde Pete Doherty (im Regenponcho; interessanter Anblick) schien nicht in Form (gerüchteweise Magenschmerzen), die Band um ihn und Kompagnon Carl Barât wirkte insgesamt träge.

Auf ein Date mit Sam Smith

Einen langsamen Start hatte auch der sich für den Regen entschuldigende Headliner Sam Smith. Im ersten Drittel des Konzerts dominierten getragene Songs, Smith (non-binär) trug dazu passend u. a. ein Abendkleid. Dann wurde es richtig spaßig, elektronischer, drängender, nicht jugendfrei. (Strapse! Tangas!) Smiths Show hatte etwas von einem Date: erst gemeinsam gediegen Abendessen, dann in den Club und Sünden begehen. Aber nur bis 22 Uhr, dann ist am Sonntag Sperrstunde. Hat Marcus Füreder den Bürgermeister schon erreicht? Er soll ihm das mit der Begrünung ausrichten!

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