Dänemark

Stürmische Radreise: Jütland per Tandem

Zu zweit strampelt es sich leichter, das Fehlen von Steigungen macht die Tour ohnehin gemütlich. Stärkung – mit Fisch, klar – hat man sich trotzdem verdient.
Zu zweit strampelt es sich leichter, das Fehlen von Steigungen macht die Tour ohnehin gemütlich. Stärkung – mit Fisch, klar – hat man sich trotzdem verdient. Stefan Weißenborn
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Gute 100 Kilometer in vier Etappen, kaum Steigungen, dafür aber weite Dünenlandschaften und Pausen am Strand mit Wassersport-Option: Mit dem Fahrrad den Ringkøbing-Fjord in Dänemarks Westen zu umrunden ist ideal für Familien. Zumal bei Schlechtwetter Plan B in Kraft tritt.

Die Regenjacken, sie flattern und zappeln. Der Wind wird stärker, und umso leichter drückt er uns komische Fratzen ins Gesicht. Doch weder sind wir im Sturzflug noch in eine Notwetterlage geraten. Windstärke zwölf zeigt das Display des Windsimulators an. So also würde sich ein ausgewachsener Nordseesturm anfühlen. Das, was wir im Erlebnispark „Naturkraft“ in Ringkøbing mittels Technik erleben, ist ein Vorbote für das, was noch kommen wird, nur wissen wir es noch nicht. Der Blick auf die Wetter-App stimmt uns für heute positiv: Ab Mittag soll sich der Regen verziehen. Die ganze Familie, die Eltern, die beiden Söhne, werden wieder aufsatteln. Die nächste Etappe des Fahrrad-Rundtrips in Dänemarks Westen ruft.

Fischmarkt am Sonntag

Die Radreise startete tags zuvor in Hvide Sande. Der Ort am größten Binnensee des Königreichs ist mit einer begnadeten Lage gesegnet: Er schmiegt sich mitten in die Dünenheide von Holmsland Klit, einem 30 Kilometer langen, aber teilweise nur wenige Hundert Meter breiten Landstreifen, der die Nordsee von dem See, Ringkøbing-Fjord genannt, trennt. Hvide Sande ist ein bedeutender Fischereiort, wo die Kutter anlegen und Touristen jeden Sonntag wie die Händler sonst immer werktags bei einer Fischauktion mitbieten können. Doch es ist Montag, und so pedalieren wir auf unseren zwei Tandems, je ein Eltern-Kind-Pärchen in synchronem Tritt, durch den Kreisel und über die Klappbrücke, die den Verkehr über den Kanal an der Schleuse leitet – dem Highlight für Technikinteressierte und Petrijünger gleichermaßen. An der Hafenmole stehen die Angler, die Ruten schräg in die Brise haltend.

Es wuchert lila blühend die Heide außerorts, über weite Flächen. Farbtupfer setzen Sanddornsträucher mit orangen Perlenfrüchten neben silbrigen Blättern, Strandrosenbüsche mit tomatenroten Hagebutten. Die Nehrung ist Sandlandschaft wie aus dem Bilderbuch: Zum Meer hin türmen sich die Dünen wie ein natürlicher Schutzwall vor der Nordsee auf, zwischen den einzelnen Buckeln führen Zugänge zum Meer, Schneisen aus hellem Sand.

Blick auf Meer, Salzwiesen, Fjord

„Das ist ein Fahrradweg, wie man ihn sich nicht schöner vorstellen kann“, sagt die Mutter. Vor uns taucht etwas anderes Helles auf: Lyngvig Fyr, Dänemarks jüngster Leuchtturm, 1906 erbaut. Über 149 Stufen bewältigen wird das Schneckengehäuse der Wendeltreppe,­ zwängen uns durch eine Öffnung – mehr Klappe als Tür – auf die offene Ringplattform und haben den Überblick: Der Fahrradweg Vestküstenvej ist nur einer der vielen Pfade in der Dünenheide, Teil eines Adergeflechts, das die Gegend erschließt – mal Richtung Meer, mal Richtung Salzwiesen am Fjord. Die Aussicht ist Geografie zum Anfassen: Nach Süden gerichtet haben wir links die hell-gleißenden Spiegelungen des Fjords, rechts die Nordsee unter blauem Himmel, dazwischen die sich in der Ferne verjüngende Nehrung.

Sandskulpturen-Festival

Gerade einmal fünf Kilometer stecken in den Waden. Doch ein Picknick am Strand muss sein. Mit der Funktionskleidung unterm Po verzehren wir Zitronenkekse, Mandeln und getrocknete Mango, die Augen gebannt vom Spiel der hohen Wellen. Nach weiteren zehn Kilometern bewundern wir in Søndervig beim jedes Jahr wiederkehrend organisierten Sandskulpturenfestival die „längste Sandskulpturenwand der Welt“, sieben Meter hoch, 200 Meter lang. Einzelne Werke, modelliert aus zuvor zu Blöcken gehärtetem Sand zu Burgen, Statuen, riesigen Gesichtern.

Dann ändert die Natur ihr Gesicht. Im doppelten Bike-Duett geht’s über zwei Brücken, die sich im Nordwesten über das Haff spannen. Maritim war es eben noch, jetzt sind wir in einer Binnengewässerlandschaft mit einem Meer aus wiegendem Schilf, in dem hier und da wie für immer verlassen wirkende Ruderboote liegen. „So viel sind wir schon gefahren“, ruft der neunjährige Sohn, als er den Leuchtturm nochmal sieht, der jenseits des Haffs unwirklich klein wirkt. Dabei waren es von dort nur 18 Kilometer.

Nächster Stopp und Unterkunft für die Nacht: Ringkøbing mit seinen Backsteinhäusern und Gassen. Ringkøbing war im Mittelalter bedeutende Schifffahrts- und Handelsstadt – mit der Versandung der Haffzufahrt wurde es zum beschaulichen Flecken. Ursprünglich war der Ringkøbing-Fjord eine offene Bucht. Erst im 17. Jahrhundert schloss sie sich, als zwei Landzungen zusammenwuchsen. 

Bei Regen Knäckebrot rösten

Es regnet am nächsten Tag. Irgendwie passend zum „Naturkraft“-Erlebnispark, wo wir uns die Zeit vertreiben, indem wir Knäckebrot über offenem Feuer rösten und lernen, welche Bedeutung Wind- und Wasserkraft in der Kommune Ringkøbing-Skjern haben. In Westjütland soll in den kommenden Jahren einer der weltweit größten Energieparks zur Erzeugung grüner Kraftstoffe entstehen. Ob wir die Akkus unserer E-Bikes im Hotel der vergangenen Nacht mit Ökostrom geladen haben? Wir wissen es nicht. Aber: Ein nicht unbedeutender Anteil der Antriebskraft kommt auf dem flach am Ostufer des Fjords verlaufenden Fahrradweg aus unseren Beinen. E-Hilfe? Kaum vonnöten, aber als Back-up gut für etwaige kollektive Schwächeanfälle, wie sie in den besten Familien, gerade auf Reisen, vorkommen.

Weiter unterwegs auf der Inlandseite des Fjords liegen links die Kartoffeläcker mit Myriaden kleiner weißer Blüten, rechts spielt das Haff großes Theater, glattgezogen wie ein Spiegel, kopfüber darin der mit bauschigen Wolken übersäte Himmel. Vor uns ab und zu ein paar Radreisende – es geht ruhiger zu als in den Dünen. Liegt es an der geschlossenen Wolkendecke oder dem teilweise schnurgerade parallel zur Landstraße geführten Fahrradweg? Es folgt der wenig spektakuläre Part der Radreise. Doch das Durchhalten wird belohnt – denn bei Skjern mündet Dänemarks wasserreichster Fluss, der Skjern Å, in den Fjord.

Stefan Weißenborn

Wiederkäuer im Fjord

Noch in den Achtzigern war er begradigt, im Rahmen eines der größten Renaturierungsprojekte Nordeuropas gab man der Landschaft ihr ursprüngliches Gesicht zurück, ein Delta mit Feuchtwiesen, Mooren, sich schlängelndem Flusslauf. Nach der Nacht im sommerverlassenen Skjern, wenn alle Welt nach Auskunft einer Restaurantmitarbeiterin ans Meer strömt, finden wir uns in einer einsamen Fluss­auenlandschaft wieder: Kapitale Wiederkäuer stehen bis zum Bauch in Wasserläufen, Vögel jagen kreischend irgendetwas hinterher. An zwei Stellen müssen Flussarme mit Seilfähren überquert werden, die Radler und Wanderer per Hand betätigen. Später führt der „Fjorden Rundt“-Radweg über feinen Schotter wieder direkt ans Ufer des Fjords, durch Wald mit Koniferen, moosigem Boden, Eichen, Heidelbeeren, die Luft ist würzig. Auf dem Wasser klitzeklein, aufrecht und irgendwo: ein einzelner SUP-Mensch.

Noch am belebtesten ist Boden havn, wo Fischer Boote und Motoren putzen und die Hafenlokale mit Fish and Chips und anderem Fast Food die Ausflügler zumindest sättigen. Oder Bork Vikinghavn, das wir umkurven, so voll ist der Parkplatz. Während sich Touristen dort im Wikinger-Themenpark vergnügen, helfen andere in Hvide Sande Daniel Sano Mirecki vom Unternehmen Om-hu beim Müllsammeln: Von Fischernetzen und Plastikteilen wird der Strand jeden Mittwoch befreit. Eine Aktion, bei der auch Familien ihren Strandspaziergängen einen ökologischen Sinn verleihen.

Sonne und pures Blau am nächsten Vormittag. Nichts wie zum Strand von Hvide Sande, wo sich der Kreis der Radreise schließt und Justus Schuberth im Surfanzug wartet, eingepackt wie eine Wurst: Wassersport steht an. „Surfen ist die Königsdisziplin“, sagt Justus, „es herrschen beste Bedingungen, kaum Wind, beständige und regelmäßige Wellen.“ Nach den Trockenübungen geht es unter Anleitung des Surflehrers auf Wellenjagd: Auf die richtige warten, dann loskraulen, aufs Brett springen, und los geht der Wave-Express. Ein paar mal klappt’s sogar, wenn auch nur im Knien. Die Kinder können kaum ein Ende finden.

Zelten im Sommersturm

Zum Abschluss der Reise schlägt die Familie ihr Zelt auf einem Campingplatz in den Dünen bei Vejers Strand auf, südlich des Fjords. Da baut sich ein Lüftchen zu einem Sommersturm auf. Die Zeltplane drückt sich in der Nacht auf die Gesichter, an Bleiben ist nicht zu denken. Einen Simulator könnte man ausschalten, nicht aber das Wettertief.

Am Morgen heißt es buchstäblich Zelte abbrechen, und ein Alternativplan ist gefragt: Aufs Planschen verzichten, weil die Nordsee zu kochen scheint, nur noch erfahrene Surfer ihr trotzen und Sandschlieren über die Strände hinwegfegen? Wir flüchten ins Lalandia, ein Spaßbad mit Rutschen und künstlicher Surfwelle. Eine gute Idee nach einem Strandspaziergang mit Expeditionscharakter. Aber unter der Frischluft, ob auf dem Sattel oder dem Brett, hat alles doch noch mehr Spaß gemacht.

Jütland

Info: visitvesterhavet.dk; visitdenmark.com

Radrundreise: Der Ringkøbing-Fjord lässt sich zum Beispiel in drei bis vier Tagesetappen von gut 20 bis etwa 30 Kilometern bequem umrunden, die selbsterklärende Route verläuft meist flach.
Ausweiten lässt sich der Trip bis nach Blåvand am westlichsten Punkt Dänemarks, ­visitvesterhavet.dk/cykelruter

Radverleih: Fahrräder leihen kann man in Hvide Sande oder Søndervig, hvidesande­bike.dk, sondervigebike.info

Übernachten: Hvide Sande: Ferienhaussiedlung im Stil alter Fischerhütten;
Ringkøbing: Hotel Fjordgaarden mit einem Dachpool und gutem Restaurant

Skjern: im Kulturcenter (Billard, Bowling etc.) in einem Holzfass (rskulturcenter.dk);

Nymindegab: Nymindegab Kro mit feinem Restaurant und Blick über die Dünen

Campen: Wer mit Zelt unterwegs ist, findet rund um den See zahlreich Campingplätze. Blåvand: Das Resort Hvidbjerg Strand mit tollem Spa bietet Zeltplätze bis Strandvillen

Aktivitäten: Surfen: Anfängerkurse zum Beispiel bei Westwind
Mist sammeln am Strand: im Sommer immer mittwochs um 9.30 Uhr; www.om-hu.dk

Spaßbad: Lalandia mit Rutschen und künstlichen Wellen in Søndervig, lalandia.dk

Leuchtturm: Lyngvig Fyr

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