Fußball-EM

Der geplatzte Traum: Österreich scheitert an der Türkei

Türkische Freud, österreichisches Leid.
Türkische Freud, österreichisches Leid. APA / AFP / John Macdougall
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Österreich schied in einem dramatischen Achtelfinale mit 1:2 gegen die Türkei aus. Schon nach 57 Sekunden lag das ÖFB-Team mit 0:1 zurück. „Das ist einer der traurigsten Tage in meinem Leben“, resümiert Christoph Baumgartner. Teamchef Ralf Rangnick sagte: „Es fühlt sich sinnlos und unverdient an.“

Im Dauerregen von Leipzig hat die Reise der österreichischen Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft ihr Ende gefunden. Österreich verlor das Achtelfinale gegen die Türkei mit 1:2 und verpasste damit den historischen ersten Viertelfinaleinzug. Die Tore erzielten Gregoritsch (66.) bzw. Demiral (1./59.).

Vor dem Anpfiff hatte der türkische Teamchef Vincenzo Montella den Österreichern verbal noch Rosen gestreut, sie als „vielleicht beste Einheit“ dieses Turniers gelobt. Es blieb die einzige Nettigkeit.

Auf dem Rasen wollten die Türken dieses Spiel über Emotionalität und mit Zweikämpfen an sich reißen, sich in Leipzig auch für die Schmach von Wien (1:6-Testspielniederlage im März) rehabilitieren. Marcel Sabitzer und Kollegen waren auf fast alles vorbereitet. Ralf Rangnick sagte: „Wir brauchen heiße Herzen, aber einen kühlen Kopf.“

Schnellstart der Türkei: Tor nach nicht einmal 60 Sekunden

Die Herzen, sie waren heiß, die Köpfe nach 57 Sekunden allerdings auch. Sie rauchten. Nach einem Eckball für die Türkei herrschte für einen Augenblick das kollektive Chaos in der österreichischen Hintermannschaft. Pentz kratzte den Ball noch irgendwie von der Linie, Demiral schoss ihn aus vier Metern unter die Latte. 0:1.

Sollten die ÖFB-Spieler in der Nacht vor dem Achtelfinale schlecht geschlafen haben, dann hat der Albtraum genau so ausgesehen. Die Rangnick-Elf fand unmittelbar nach dem Gegentor durch Baumgartner (2., 5.) zwei Chancen auf den raschen Ausgleich vor, beide Male aber fehlten Zentimeter. Österreich hatte das Glück verlassen.

Das ÖFB-Team spürt den Druck

Noch gab es Hoffnung. Schließlich blieb genügend Zeit, um dieses Spiel unter Kontrolle zu bringen. Es zu drehen. Die ÖFB-Auswahl verfügt über bessere Einzelspieler, auch als Team funktionierte es in der Gruppenphase sehr viel besser als jenes der Türkei. Österreich jedoch plagte sich damit, das Plus an Qualität auf den Platz zu bringen, den Gegner unter Druck zu setzen.

Die Verunsicherung, des frühen Gegentors war der Mannschaft anzumerken. Sie war als Favorit in dieses Duell gegangen, hatte diese Türken doch vor drei Monaten noch aus dem Happel-Stadion geschossen.

Ganz Österreich lag seit Tagen im Freudentaumel, träumte vom Viertelfinale oder sogar mehr. Und jetzt? Dieses Team spürte den Druck, lag seit der 58. Sekunde mit 0:1 zurück. Das ging nicht spurlos an den elf Herren vorüber. Bis auf eine weitere Chance von Baumgartner (45.+1) bot die erste Halbzeit in der Offensive nichts Erwähnenswertes. Die Türkei wurde nochmals durch Demiral (25.) gefährlich.

Alexander Prass (r.) und Baris Alper Yilmaz schenkten sich nichts.
Alexander Prass (r.) und Baris Alper Yilmaz schenkten sich nichts.Reuters / Annegret Hilse

Österreich musste nach der Pause irgendetwas ändern. Ralf Rangnick fing beim Personal und der Formation an. Er brachte den offensivstärkeren Prass für Mwene und stellte Arnautović mit Gregoritsch einen zweiten Stürmer zur Seite. Die Umstellungen fruchteten. Das ÖFB-Team erhöhte Druck und Tempo.

Arnautović hatte den Ausgleich allein vor Schlussmann Günok auf dem Fuß (51.), vergab aber kläglich. Wer ins Viertelfinale aufsteigen will, der muss solche Chancen nutzen. Wenig später fand auch Laimers Schuss nicht den Weg ins Tor (54.). Der Treffer fiel auf der Gegenseite. Wieder war Demiral zur Stelle (59.), diesmal per Kopf. 0:2.

21 Schüsse, aber nur ein Tor

Nach dem wunderbaren Sieg gegen die Niederlande (3:2) samt Aufstieg als Gruppensieger drohte Österreich nun gegen die schwächer eingeschätzte Türkei auszuscheiden. Das ÖFB-Team stemmte sich gegen dieses Szenario. Es lief, grätschte, flankte, versuchte alles. Gregoritsch traf zum 1:2 (66.). Österreich drängte auf den Ausgleich, er wäre verdient gewesen. Das Schussverhältnis lautete am Ende 21:6. Das Ergebnis 1:2. In den Schlusssekunden scheiterte Baumgartner an Günok, der mit einer Glanzparade den türkischen Sieg sicherte.

Österreich spielte mit: Pentz – Posch, Danso, Lienhart (65. Wöber), Mwene (46. Prass) – Seiwald, Laimer (65. Grillitsch) – Schmid (46. Gregoritsch), Baumgartner, Sabitzer –  Arnautović.

Michael Gregoritsch jubelt noch über den Anschlusstreffer. Der Ausgleich fiel nicht mehr.
Michael Gregoritsch jubelt noch über den Anschlusstreffer. Der Ausgleich fiel nicht mehr.APA / AFP / Angelos Tzortzinis

Reaktionen

Ralf Rangnick (Teamchef Österreich): „Wenn man sieht, was wir heute alles in dieses Spiel investiert haben und wie viele Torchancen wir ausgelassen haben, dann fühlt sich das Ganze schon ziemlich grotesk und surreal an. Ich glaube nicht, dass die Mannschaft gewonnen hat, die über das gesamte Spiel die bessere Mannschaft war. Aber darum geht es im Play-off nicht. Im Play-off geht es darum, Spiele zu entscheiden. Der einzige Vorwurf ist, dass wir zu wenige Tore gemacht haben und dass wir zweimal bei Standards nicht gut verteidigt haben. Wir wussten, dass die Türken große, kopfballstarke Spieler haben, aber trotzdem haben wir den Anspruch, dass wir solche Situationen besser verteidigen. Das erste war ein halbes Eigentor, als der Ball hinten durchrutscht. Beim zweiten Tor hatten wir unsere kopfballstärksten Spieler genau in dem Bereich. Ab dem Moment war es dann noch schwerer. Nach dem 2:1 hatten wir noch so viele Riesen-Möglichkeiten und in der letzten Sekunde des Spiels, wie der Torwart den Ball da hält, war unglaublich. Nach dem 2:1 haben die Türken nur noch mit Mann und Maus verteidigt. Ich kann es eigentlich selber noch nicht glauben, dass wir morgen tatsächlich die Heimreise antreten sollen. Fühlt sich sinnlos und unverdient an. Keinen Vorwurf an die Mannschaft, wir haben es gut gemacht. Auch heute. Uns hat das nötige Glück gefehlt. Wenn das Spiel in die Verlängerung gegangen wäre, dann hätten wir gewonnen.“

Marko Arnautovic (Kapitän Österreich): „Es ist sehr bitter, es ist Wahnsinn. Dass wir so rausgehen aus dem Spiel, das ist brutal. Sie hatten nur zwei Corner. Aber so ist Fußball. Ich will eine Gratulation an die türkische Mannschaft schicken. Sie haben in 90 Minuten ihr Leben auf dem Platz gegeben und alles verteidigt, was es zu verteidigen gibt. Ich wünsche ihnen alles Gute für das weitere Turnier. Für uns ist es jetzt aus. Es ist sehr schade, so rauszugehen.“

Zur Zukunft: „Ich muss jetzt mal zu meiner Familie zurück und nachdenken, was weiter passiert. Es kann sein, dass es das letzte Mal für mich war. Ich muss es jetzt mal verkraften. Wenn man verstehen würde, wie es in mir gerade zugeht, dann würde man mich auch verstehen. Das Gefühl ist Wahnsinn gerade. Ich muss das jetzt mit meiner Familie reflektieren und alles aufladen. Für mich war es persönlich eine sehr glückliche Saison, aber das hat nochmal alles geschlagen. Mal schauen, ich hoffe, dass ich die nächsten Tage zu mir kommen kann und dann werde ich eine Entscheidung treffen.“

Michael Gregoritsch (Torschütze Österreich): „Einer der schlimmsten Fußball-Abende, die ich erlebt habe. Wir haben uns so viel vorgenommen, alles versucht, am Ende glaube ich zumindest aus österreichischer Sicht unverdient ausgeschieden. Gratulation an die Türkei, sie haben leidenschaftlich verteidigt, aufopferungsvoll. Wir haben alles versucht, das bleibt hängen. Am Ende hat es nicht gereicht, schade, weil wir uns eigentlich nichts vorwerfen können. So vereint hatte Österreich eine Fußball-Mannschaft noch nie. So viele Leute sind hinter uns gestanden. Ich glaube, die Leute können es wertschätzen, das Land kann stolz sein, wie fair alles abgelaufen ist, es war überall ein friedliches Fußball-Fest. Die Botschaft in ganz Österreich und Europa ist, dass man sich nicht auseinandersetzen soll mit Differenzierung und rechten Gedanken, sondern vereint und stolz und glücklich sein.“

Maximilian Wöber (Verteidiger Österreich): „Es herrscht im Moment Leere in allen. Wir haben eine Euphorie entfacht, nicht nur in Österreich, auch in der Mannschaft. Wir haben geglaubt, dass wir sehr viel erreichen können, jetzt ist sehr viel Enttäuschung da. In der ersten Halbzeit haben wir nicht wirklich in unser Spiel gefunden und ein schnelles Tor bekommen. In der zweiten Halbzeit haben wir umgestellt, das hat besser funktioniert. In einer guten Phase von uns haben wir das zweite Tor wieder durch einen Standard bekommen. Die Chancen waren da, es hat einfach nicht gereicht. Es ist sehr viel drin in dem Team, der Stamm ist in einem perfekten Alter. Jetzt ist es schwer zu verkraften, es wird für jeden ein paar Tage dauern.“

Christoph Baumgartner (Stürmer Österreich): „Das ist sicher einer der traurigsten Tage in meinem Leben. Ich bin sehr, sehr enttäuscht. Ich tu mir sehr schwer, die richtigen Worte zu finden. Alaba hat gesagt, dass solche Momente einen stärker machen. In solchen Momenten ist es schwer, irgendwas anzunehmen, weil die Enttäuschung so groß ist. Es war nicht mein Spiel heute, habe es am Ende am Kopf gehabt, und einige Situationen, die sehr unglücklich waren. Es ist so enttäuschend, weil so viel drin gewesen wäre.“

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