Junge Forschung

Eine virale Liebesgeschichte

Hannes Vietzen arbeitet und lebt gern in Wien: „Eine extrem schöne Stadt – voller Geschichte und mit dem besten Essen!“
Hannes Vietzen arbeitet und lebt gern in Wien: „Eine extrem schöne Stadt – voller Geschichte und mit dem besten Essen!“Jana Madzigon
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Der Biologe Hannes Vietzen erforscht an der Med-Uni Wien, wie die komplexe Interaktion von Viren und unserem Immunsystem die Entwicklung von Krankheiten beeinflusst.

Die Virologie sei für ihn „Liebe auf den ersten Blick“ gewesen, erzählt Hannes Vietzen, Biologe und Unversitätsassistent am Zentrum für Virologie der Medizinischen Universität Wien. Über Viren als Forschungsobjekt stolperte der in Deutschland geborene Wissenschaftler beim Studium der Mikrobiologie und Immunologie an der Uni Wien, als er zufällig ein Seminar des Instituts besuchte. „Ich war vollkommen fasziniert davon, wie so ein mikroskopisch kleines Virus uns große und komplexe Menschen völlig außer Gefecht setzen kann.“ Er beschloss daraufhin, seine Masterarbeit in der Forschungsgruppe von Elisabeth Puchhammer-Stöckl, der Leiterin des Zentrums, zu absolvieren. Dem folgten ein erfolgreiches Doktorat und danach auch ein Postdoktorat – aus einem Jahr Forschung an Viren wurden schließlich zehn.  

Dies gab Hannes Vietzen genug Zeit, um gemeinsam mit dem Team von Puchhammer-Stöckl eine der brennendsten Fragen der Virologie zu beantworten: Den Zusammenhang zwischen Epstein-Barr -Viren (EBV) und Multipler Sklerose (MS). Schon lang vermutet man eine mögliche Verbindung zwischen einer EBV-Infektion und der Ausbildung der Autoimmunerkrankung, bei der durch eine fehlgeleitete Immunreaktion die isolierende äußere Schicht der Nervenzellen (Myelin) vom eigenen Immunsystem stark geschädigt wird. Verschiedenste neurologische Symptome von Sehstörungen bis zu Schmerzen und Taubheitsgefühlen sind die Folge.

Der Heilige Gral der MS-Forschung

Obwohl man schon lang weiß, dass eine symptomatische EBV-Infektion – auch genannt Pfeiffersches Drüsenfieber – ein großer Risikofaktor für die spätere Entwicklung von MS ist, haben Forschende der Stanford University erst 2022 die wahrscheinliche Ursache entdeckt. Durch eine Kreuzimmunität binden Antikörper, die eigentlich gegen das EBV-Virus gebildet werden, auch an Strukturen der Nervenzellen und stören so den Aufbau und Erhalt des isolierenden Myelins. Ungeklärt blieb dabei eine entscheidende Frage: Obwohl EBV-Infektionen weit verbreitet sind und über 90 Prozent aller Menschen mit dem meist harmlosen Virus infiziert sind, bekommen nur einige wenige davon Multiple Sklerose. Warum?

»Warum erkranken manche an Multipler Sklerose und andere nicht?«

Hannes Vietzen,

Virologe

„Wir wollten verstehen, warum nur manche Menschen Jahre nach einer EBV-Infektion eine Autoimmunerkrankung entwickeln. Und wir haben dann tatsächlich einige Faktoren gefunden, die dieses Rätsel lösen konnten“, so Hannes Vietzen. Er und das Forschungsteam konnten in der im Fachjournal Cell publizierten Studie zeigen, dass es gewisse Eigenschaften unseres Immunsystems selbst sind, die in manchen Fällen zu einer überschießenden Reaktion und einer Attacke auf die Nervenbahnen führen. „Normalerweise hält unser Körper Immunreaktionen gegen uns selbst in Schach. Nur wenn die meisten dieser Kontrollmechanismen nicht funktionieren, steigt das Risiko für MS stark an.“ Sogenannte natürliche Killerzellen und EBV-spezifische T-Zellen unterdrücken in den allermeisten Fällen die Autoimmunreaktion.

Eine Impfung, die MS verhindert?

Vietzen und seine Kollegen haben erkannt, dass es unter anderem gewisse genetische Risikofaktoren gibt, die diese schützenden Immunzellen hemmen und dadurch die Attacke gegen Neuronen ermöglichen. Hier möchte der Virologe nun weiter forschen: „Wenn wir in ­Zukunft wirklich verlässlich vorhersagen könnten, wer an einer MS erkrankt, und wer nicht, dann hätten wir einen Heiligen Gral der MS-Forschung gefunden“, so Vietzen. „Außerdem wird es spannend zu sehen, ob eine Impfung gegen EBV entwickelt werden kann, die auch Multiple Sklerose verhindert.“

Dieses Ziel möchte er weiterhin in Wien verfolgen, auch wenn er seine wissenschaftliche Heimat vorerst verlassen und für ein Jahr mit EBV-Experten an der Uni Zürich forschen wird. Denn abgesehen vom exzellenten wissenschaftlichen Umfeld und von der österreichischen Küche hat ihn die Stadt selbst schon immer fasziniert. So war sie etwa bei seinem Zweitstudium Geschichte gleichzeitig Heimat und Studienobjekt: „Wien ist eine extrem schöne und lebenswerte Stadt – voller Geschichte und mit dem besten Essen!“

Zur Person

Hannes Vietzen (33) studierte Biologie an der Uni Konstanz und ab 2013 Mikrobiologie und Immunologie an der Uni Wien. Nach Abschluss seines Masters und Doktorats in der Forschungsgruppe von Elisabeth Puchhammer-Stöckl am Zentrum für Virologie der Med-Uni Wien wurde er 2020 dort Postdoktorand und Universitätsassistent.
Alle Beiträge auf: www.diepresse.com/jungeforschung

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