10 Jahre „Flüchtlingskrise“

Wenn aus Syrern Österreicher werden

Alaa Durzi flüchtete aus Syrien nach Österreich, mittlerweile ist er Staatsbürger und ließ sich zum Sozialpädagogen ausbilden.
Alaa Durzi flüchtete aus Syrien nach Österreich, mittlerweile ist er Staatsbürger und ließ sich zum Sozialpädagogen ausbilden.Caio Kauffmann
  • Drucken
  • Kommentieren

Fast zehn Jahre sind seit der „Flüchtlingskrise“ vergangen. Vor allem Geflüchtete aus Syrien prägten diese Zeit. Mittlerweile werden immer mehr von ihnen zu österreichischen Staatsbürgern.

Alaa Durzi wollte kein Flüchtling mehr sein. Fast ein Jahrzehnt hatte er diesen „Stempel“, wie er sagt, mit sich getragen. Er wollte einfach als Bürger, als Mensch angesehen werden. 2022 war es dann schließlich so weit. Wie es dazu kam, ist eigentlich eine lange Geschichte. Doch Durzi erzählt sie, in fast perfektem Deutsch und einer gewissen Routine, mittlerweile im Schnelldurchlauf. Unterbrochen wird er dabei nur gelegentlich von den Kellnern des traditionell eingerichteten jemenitischen Lokals in Wien-Favoriten, in dem Durzi Platz genommen hat. Heute nennt er Favoriten sein Zuhause.

Der gebürtige Syrer wuchs in der Nähe der syrischen Hauptstadt Damaskus auf. Bevor in seinem Heimatland der Bürgerkrieg ausbrach, studierte er Ökonomie und arbeitete nebenbei als Buchhalter. Im Oktober 2014 verließ er das brennende Land. Nach einem kurzen Stopp in der Türkei ging es für ihn über das Mittelmeer bis nach Österreich weiter – dort wurde er aufgegriffen, kam zuerst nach Traiskirchen, dann nach Buchbrunn in Kärnten. Ende 2015 zog Durzi, nachdem er einen positiven Asylbescheid bekommen hatte, nach Wien – wie ein Großteil der nach Österreich geflüchteten Syrer. Seine langwierige Fluchtgeschichte ist mittlerweile eine, die man nur allzu gut kennt. Er teilt sie sich mit Tausenden anderen in Österreich.

Zwei Millionen Menschen kommen

2014 hatte sie sich bereits angebahnt, 2015 kam schließlich der Höhepunkt. Eine der bis dato größten Fluchtbewegungen steuerte auf Europa zu, rund zwei Millionen Menschen kamen in die Europäische Union. 88.340 Asylanträge wurden über das Jahr verteilt allein in Österreich gestellt; rund ein Viertel davon entfielen auf Geflüchtete aus Syrien. In den Folgejahren 2016 und 2017 führten syrische Staatsbürger auch bei der Anzahl an rechtskräftigen Asylgewährungen.

Diese massive Entwicklung resultierte darin, dass bis heute auf diese Zeit als Jahre der Flüchtlingskrise zurückgeblickt wird. Eine Frage, die im Zuge dessen auch immer mehr den öffentlichen Diskurs dominierte, war, wie Österreich mit dieser Herausforderung umgehen würde und ob und wie sich die betroffenen Menschen in die Gesellschaft eingliedern würden.

Fast zehn Jahre nach seiner Ankunft in Österreich ist Durzi nun Staatsbürger dieses Lands. 2022 beantragte er die Staatsbürgerschaft, innerhalb von sechs Monaten bekam er sie auch bestätigt. „Österreich ist einfach mittlerweile mein Lebensmittelpunkt. Als Freunde begannen, die österreichische Staatsbürgerschaft zu beantragen, dachte ich mir, ich kann das auch“, sagt Durzi.

»Was haben etwa die arabischen Länder für uns Geflüchtete getan?«

Fadi Hamdeh

Stolz, aber auch mit gemischten Gefühlen ist er seither offizieller Österreicher, wie er erzählt. Es sei ein Privileg, all diese Rechte zu haben, Bürger dieses Landes zu sein, aber er habe es hier auch nicht immer leicht gehabt: „Ich habe hier viel Rassismus erlebt.“ Auch die öffentlichen Debatten gingen nicht an ihm vorbei. „2016 besuchte ich eine Rede vom späteren Bundeskanzler Sebastian Kurz. Von uns Menschen, die vor einem Krieg geflohen waren, sprach er dabei nur als Problem“, erinnert er sich zurück. Durzi überlegte in dieser Zeit sogar, es woanders zu versuchen, zu Freunden in die Niederlande zu gehen. „Ich war sehr einsam und hatte nicht das Gefühl, dass ich hier eine Perspektive habe.“ Aber wer als Geflüchteter in Österreich anerkannt wird, darf im Rahmen dieses Status nicht im Ausland arbeiten.

Also versöhnte Durzi sich in den folgenden Jahren mit Österreich. Neben seinem Job bei der Restaurantkette Habibi & Hawara, wo er als Fahrer begann und mit der Zeit zum Personalleiter aufstieg, begann er seine Ausbildung zum Sozialpädagogen. „Ich wollte etwas im sozialen Bereich machen, etwas, mit dem ich den Menschen etwas zurückgeben kann“, erklärt er seine Motivation. 2021 begann er schließlich seinen Job als Sozialpädagoge in einem Wiener Wohnheim für unbegleitete minderjährige Geflüchtete, später wechselte er in eine Wohneinrichtung für sozialpsychiatrische Intensivbetreuung. Seine Frau kam über die Familienzusammenführung im Oktober 2023 nach Österreich. Vor drei Monaten kam ihre gemeinsame Tochter auf die Welt. Sie soll als Österreicherin mit syrischen Wurzeln hier aufwachsen. „Uns ist wichtig“, sagt Durzi, „dass sie beide Kulturen mitnimmt.“

Mit Bürgermeister Ludwig

Ähnlich sieht es auch Fadi Hamdeh. Der studierte Bauingenieur flüchtete 2015 – zunächst alleine – nach Österreich. In den folgenden Jahren baute er sich hier eine Existenz auf, lernte Deutsch und ließ sein Studium anerkennen. Seit 2018 arbeitet er in einem Planungsbüro in Wien. 2017 holte er seine Frau und die beiden Kinder, mittlerweile sind es drei, über eine Familienzusammenführung nach Österreich nach. Für sie und auch ihn sei Österreich mittlerweile „ihr Land“. Stolz zeigt Hamdeh Fotos, auf denen seine älteren zwei Söhne mit dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig zu sehen sind. Sie wurden bei der feierlichen Verleihung ihrer Staatsbürgerschaft aufgenommen. Seit 2022 ist die Familie Hamdeh offiziell österreichisch.

In diesem Jahr bekamen laut Statistik Austria 1165 ehemals syrische Staatsangehörige die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Im Jahr 2023 waren es 1866. Somit entfielen 9,4 Prozent aller Einbürgerungen in Österreich auf Syrer. In Wien, wo die größte syrische Community lebt, bilden Syrer sogar die größte Gruppe neuer Staatsbürger. Von den insgesamt 3899 eingebürgerten Menschen stammen 560 ehemals aus Syrien. Rund 95.000 syrische Staatsangehörige leben mit Stand 2023 insgesamt in Österreich.

Dass nun immer mehr Syrer die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen, ist für Hamdeh auch eine Erfolgsgeschichte. Es zeige nicht nur, wie zugehörig sie sich hier fühlen, sondern auch, wie viel sie erreicht haben. „Die meisten von uns haben hier wirklich von null begonnen“, sagt er, „aber es gibt so viele positive Beispiele von Menschen, die es dennoch geschafft haben.“

Österreich sei Hamdeh unendlich dankbar. Denn dieses Land habe ihn und später auch seine Familie aufgenommen, als es andere nicht tun wollten. „Was haben etwa die arabischen Länder für uns Geflüchtete getan?“, fragt er. Für Durzi sei es auch eine logische und normale Entwicklung, die Staatsbürgerschaft zu beantragen. „Immer mehr erfüllen mittlerweile die Voraussetzungen. Warum sollten sie es also nicht tun?“

„Ich gehöre nun hierher“

Wer die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen will, muss mindestens zehn Jahre rechtmäßig und ununterbrochen in Österreich gelebt haben, wobei für anerkannte Flüchtlinge eine kürzere Aufenthaltsdauer von sechs Jahren gilt. Außerdem muss ein gesicherter Lebensunterhalt nachgewiesen werden, der zeigt, dass die Betroffenen in den letzten drei Jahren vor der Antragstellung keine Sozialhilfe bezogen haben und finanziell unabhängig sind. Ausreichende Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 sowie Unbescholtenheit sind ebenfalls erforderlich. Mit dem österreichischen Pass ergeben sich für ehemalige syrische Staatsbürger auch eine Reihe von Vorteile, wie etwa Reisemöglichkeiten.

Kurz nachdem Hamdeh die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen hatte, konnte er in den Libanon reisen. „Ich hatte während der Antragstellung erfahren, dass mein Vater Krebs hat. Ich bin so froh, dass sich alles noch so ausgegangen ist, dass ich ihn noch sehen konnte“, erzählt der Bauingenieur. „Denn zwei Wochen nach unserem Treffen starb er.“

Vor allem aber stellt der österreichische Pass für ehemals geflüchtete Menschen eine Sicherheit dar, die sie in den Jahren zuvor nicht gespürt haben. „Ich bin kein Flüchtling mehr, sondern Österreicher“, sagt etwa Alaa Durzi mit Nachdruck. „Egal, wer was sagt, ich gehöre nun hierher. Und das kann mir keiner mehr nehmen.“

Flucht 2015

Im Jahr 2014 begann in Österreich ein Anstieg der Asylanträge, der 2015 den Höhepunkt erreichte. In diesem Zeitraum bewegten sich rund 1,3 Millionen Geflüchtete aus Ländern wie Syrien, Afghanistan und dem Irak auf Europa zu, wobei vor allem der Sommer das Ausmaß der sogenannten Flüchtlingskrise deutlich machte. Bereits im Juli 2015 war das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen überfüllt. Bilder von Menschenmassen, die an der ungarischen Grenze ausharrten, dominierten die Schlagzeilen.

Am 31. August 2015 prägte die damalige deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, mit ihrem Satz „Wir schaffen das“ die Diskussion über die Bewältigung der Flüchtlingsströme. Anfang September öffneten Merkel und Kanzler Werner Faymann die Grenzen. Allein am 5. September 2015 kamen 8500 Menschen auf dem Westbahnhof in Wien an.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.