Anti-Kriegs-Aktion

Ein Fake-Poet reüssiert in Russland mit NS-Lyrik: Wem und wie der Coup gelang

Kultur im Zeichen des „Z“: Propagandaplakat auf dem Verwaltungsgebäude des Bolschoi-Theaters in Moskau.
Kultur im Zeichen des „Z“: Propagandaplakat auf dem Verwaltungsgebäude des Bolschoi-Theaters in Moskau.Getty
  • Drucken

Die Gruppe, die NS-Gedichte erfolgreich als russische Kriegslyrik ausgegeben hat, erzählt nun Details: über genarrte Duma-Abgeordnete, den überraschenden Frauenfaktor in der „Z-Lyrik“ - und die einzige zentrale „deutsche Tugend“, die darin niemals vorkommt.

Ich habe mir vorgestellt, dass er in einem Dorf in der Nähe von Moskau in einer Art Altersteilzeit lebt, obwohl er erst 45 Jahre alt ist. Er hat einen Enkel, der ihm geholfen hat, das Internet einzurichten …“ : So schildert im Interview mit der Petersburger Zeitung „Bumaga“ einer der Drahtzieher die Erfindung der Person Gennadi Rakitin als russischen Lehrer und Kriegslyriker.

Dieser Rakitin schreibt nicht mehr, aber auf Social Media gibt es ihn noch. Sympathisch sieht er auf einem Profilfoto aus: ein 49-jähriger, am Land lebender Ex-Lehrer im traditionellen russischen Bauernhemd, der Rubacha. Er hat Philologie studiert und will laut Facebook-Profil „die Welt verbessern“. 2023 hat er begonnen, Z-Poesie zu veröffentlichen, wie die nach dem Angriff auf die Ukraine aufgekommene Kriegslyrik nach dem Propagandasymbol Z genannt wird. Und er hatte damit ziemlichen Erfolg.

So zeigen seine Profilfotos den Kriegslyriker Gennadi Rakitin. KI hat das Bild generiert.
So zeigen seine Profilfotos den Kriegslyriker Gennadi Rakitin. KI hat das Bild generiert.

98 „Freunde“ in der Duma

Unter Rakitins Social-Media-„Freunden“ waren bald viele Duma-Abgeordnete. Der einst international erfolgreiche nationalistische Filmregisseur Nikita Michalkow repostete eines der Gedichte auf Telegram. Rakitins Poesie wurde für Preise nominiert und gelangte ins Halbfinale eines Lyrikwettbewerbs. Bis sich Rakitin am 28. Juni mit einem letzten Posting als Fake-Poet outete und klarmachte: Die Aktion war eine gegen den Krieg.

Die insgesamt 18 Gedichte sind nämlich kaum veränderte Übersetzungen von Nazilyrik. Zu ihren Autoren zählen der Politiker Baldur von Schirach, der Autor Eberhard Wolfgang Möller, der jahrelang als Theaterreferent für Goebbels arbeitete, oder der in der Schweiz geborene Heinrich Anacker, ein SA-Mann und NS-Dichter der ersten Stunde.

»Wenn ich nur zweifle, schau ich auf dein Bild, dein Auge sagt mir, was allein uns gilt . . .«

Aus „Der Führer“ von Eberhard Wolfgang Möller, in der russischen Version eine Putin-Huldigung.

Die nationalsozialistische Herkunft ist auch deswegen so peinlich für Kriegsbefürworter in Russland, weil Putins Propaganda den Krieg gegen die Ukraine als eine Art Fortsetzung des Kampfs gegen den Nationalsozialismus im „Großen Vaterländischen Krieg“ darstellt (da ja in der Ukraine, so Putins Narrativ, Nazidenken dominiere). Damit war Putin zumindest bei Älteren auch ziemlich erfolgreich. Eine Sammlung russischer Kriegslyrik, etwa „PoZyVnoy – Sieg!“, die patriotische Weltkriegsgedichte ebenso beinhaltet wie neue Z-Poesie, präsentiert laut dem russischen Schriftstellerverband „Dichter verschiedener Generationen, die durch ihre Ablehnung des Nationalsozialismus und den Glauben an den Triumph von Wahrheit und Gerechtigkeit vereint sind“. Und bei dem Twardowsky-Literaturwettbewerb in der Stadt Kaluga, bei dem der Fake-Poet ins Halbfinale kam, gewann schließlich in eben jener Kategorie „Gedichte über Krieg und die Verteidiger des Vaterlandes“ eine Elfjährige (!): mit dem fiktiven, auf 1942 datierten lyrischen Brief eines Soldaten aus dem Schützengraben in der Region Kaluga im Kampf gegen die Wehrmacht.

Aber wer steckt hinter dem ernsten Streich, wie wurde er durchgeführt? Die Gruppe hinter Gennadi Rakitin hat jetzt in zwei Interviews mit russischen Medien („Bumaga“ und „Mediazona“) zum Teil überraschende Details erzählt: etwa über den Frust der Z-Poeten, über Alter und Geschlecht ihres Publikums oder über den einzigen großen Unterschied zwischen nazideutscher und russischer Kriegslyrik.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.