Auf Achse

Z-Poesie demaskiert Russlands Elite

Heimatliebe, Heldentod und Herrscherlob: Das Genre der sogenannten Z-Poesie, das Wladimir Putins „Spezialoperation“ in der Ukraine preist, bekommt in Russland Applaus. Doch die Gedichte sind nichts als übersetzte Nazi-Propaganda.

So geht Erfolg: Alle paar Monate publiziert ein Mann Gedichte, nur wenige Zeilen lang. Sie klingen ungelenk: „Du bist wie ein Gärtner, der in seinem Garten / die Früchte seiner harten Arbeit erntet. / Es jubelt das Volk, die Fahnen in die Höhe / Gestreckt. Die Zeit kommt leise.“ Daneben platziert er ein Putin-Porträt. Es hagelt Likes unter seinem Profil.

Im vergangenen Juli hat der Mann geschrieben: „Besondere Zeiten erfordern besondere Entscheidungen.“ Und so legte er los. Sein Name: Gennadi Rakitin. Lehrer sei er, 1975 geboren, auf seinem Profilbild bei Vkontakte, dem russischen Facebook-Klon, sah man einen blonden Mann mit Bart und im Hemd, hinter sich eine verschwommene Scheune irgendwo in einem Garten oder einem Wäldchen. Er dichtete über die Heimatliebe, den Heldentod und die Siegesgewissheit. Herrscherlob natürlich mit inbegriffen. Applaus, Applaus von all denen in Russland, die im Siegesrausch taumeln und ihren Traum von Größe und Großartigkeit mit Tod und Verbrechen im Nachbarland feiern.

Rakitins kurze Verse passten geradezu hervorragend ins Genre der sogenannten Z-Poesie, militaristischer Machwerke, die Wladimir Putins „Spezialoperation“ in der Ukraine preisen. Es ist Russlands neue Systemlyrik. „PoeZija“ – so prangt es auch in zahlreichen Buchläden quer durchs Land, in denen die nationalistischen Ergüsse mittlerweile ganze Regale füllen und die Autoren verdrängt haben, die das russische Regime wegen „Extremismus“ oder durch die Brandmarkung „ausländischer Agent“ verbannt hat.

Der Mann schaffte es, 18 solcher ­Z-Werke zu veröffentlichen. Die Zeilen wurden tausendfach geteilt, in Anthologien und gut besuchten Internetforen veröffentlicht. Seine Fans – darunter auch russische Senatoren, Duma-Abgeordnete und Kriegsreporter – fanden die Gedichte so großartig, dass sie den Poeten gar für Lyrik-Preise nominierten. Das war dem unscheinbaren Schreiberling aus dem Internet dann doch zu viel der Ehre. Vor wenigen Tagen schrieb er sein letztes Gedicht: „Gennadi spottete lang / Über die Z-Verse an der Wand / Am Ende sprayte er Fuck / the war.“ Es war eine Enthüllung und eine Entlarvung.

Einen Gennadi Rakitin hat es nie gegeben. Es sind russische Kriegsgegner, die sich vor Monaten zusammengetan haben, um NS-Gedichte – zugegeben, in etwas freierer Form – zu übersetzen. Werke von Eberhard Wolfgang Möller, einst Theaterreferent im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, von „Reichsjugendführer“ Baldur von Schirach, von Kurt Kölsch, dem „westmärkischen Gaukulturwart“. Der fiktive Rakitin ersetzte Deutschland durch Russland, Hitler durch Putin, schon war seine Kunst fertig – und damit auf eine bezeichnende Weise demonstriert worden, wie austauschbar der gegenwärtige patriotische Diskurs in Russland und die Nazi-Propaganda der 1930er- und 1940er-Jahre sind. So demaskiert sich Russlands Elite, die in der Ukraine wen auch immer „entnazifieren“ will.

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