Prognosen

Frankreich: Linksblock holt Sieg, Rechtspopulisten nur dritte, Premier Attal reicht Rücktritt ein

RN-Parteichef Jordan Bardella kündigt an, nicht für eine Zusammenarbeit mit anderen Blöcken zur Verfügung zu stehen.
RN-Parteichef Jordan Bardella kündigt an, nicht für eine Zusammenarbeit mit anderen Blöcken zur Verfügung zu stehen.Reuters / Kevin Coombs
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Die linke Neue Volksfront feiert einen Sieg bei der Stichwahl zum französischen Parlament - und will in die Regierung. Der Rassemblement National von Jordan Bardella und Marine Le Pen wird womöglich nur drittstärkste Kraft - gewinnt aber kräftig dazu. Eine Konstellation, die viele Fragen aufwirft.

Frankreich hat ein neues Parlament gewählt. Um 20 Uhr am Sonntagabend wurden erste Prognosen darüber veröffentlicht, wie die Stichwahl ausgehen wird. Nach der ersten Runde hatte sich ein Sieg der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National (RN) abgezeichnet. Doch nun ist alles anders. Keiner der drei Blöcke kommt auf eine absolute Mehrheit - und das Linksbündnis liegt klar vorne.

Ersten Prognosen zufolge (errechnet von Ipsos für die französische Mediengruppe Talan) führt das neue Linksbündnis Neue Volksfront (172 bis 192 Sitze) vor dem Bündnis Ensemble von Präsident Emmanuel Macron (150 - 170 Sitze). Vorerst nur an dritter Stelle: der RN von Parteichef Jordan Bardella (und Parteigründerin Marine Le Pen) mit prognostizierten 132 - 152 Sitzen. Nach dem deutlichen Wahlsieg in der ersten Runde ein herber Schlag für die rechte Partei, wenn auch ein deutlicher Zugewinn seit der letzten Wahl 2022. Derzeit hat der RN nur 89 Mandate inne.

Premier Attal reicht Rücktritt ein, Linksblock will Regierung bilden

RN-Parteichef Jordan Bardella sprach in einer ersten Stellungnahme vor Anhängern von einem demokratischen Ergebnis, das zu akzeptieren sei. Er war der Regierung von Präsident Macron und Premier Gabriel Attal vor, „gefährliche, wahltaktische Spiele“ gespielt zu haben. Bardella zielte damit auf den Rückzug von Dutzenden Kandidaten aus wahltaktischen Gründen in der Stichwahl an. Er verstehe den Frust von „Millionen Franzosen an diesem Tag“. Man werde nun noch aktiver im Parlament arbeiten und sich um einen demokratischen Wandel bemühen. Er wolle keinerlei politische Zusammenarbeit oder Kompromiss eingehen.

Der Chef der linken Partei „La France insoumise“, Jean-Luc Mélenchon, hatte sich kurz nach 20 Uhr als Erstes zu Wort gemeldet. Seine Partei ist Teil der Neuen Volksfront. Er forderte den Rücktritt von Premierminister Gabriel Attal und er forderte Präsident Macron auf, sein Bündnis damit zu beauftragen, eine Regierung zu bilden. Das Wahlergebnis sei das Resultat einer „herausragenden“ Mobilisierung. „Wir haben gewonnen“, skandierten die Unterstützer des Linksbündnisses. Der Chef der sozialistischen Partei, Oliver Faure, kommentierte das Wahlergebnis euphorisch: „Heute Abend hat Frankreich Nein dazu gesagt, dass die RN an die Macht kommt!“ In Paris formierten sich erste spontane Jubel-Kundgebungen von politischen Gegnern des RN.

Der angesprochene Premier Attal hat wenig später tatsächlich angekündigt, seinen Rücktritt am Montag einzureichen. „Mein politisches Lager hat keine Mehrheit.“ Er wolle seine Pflichten aber so lange ausführen, wie es nötig sei. Er sei aber auch erleichtert, dass es keiner „extremen“ Partei gelungen sei, eine absolute Mehrheit im Parlament zu erlangen.

Premier Gabriel Attal während seiner Rede am Sonntagabend in Paris.
Premier Gabriel Attal während seiner Rede am Sonntagabend in Paris.Reuters / Guglielmo Mangiapane

Was macht Macron?

Unklar ist, ob Staatschef Macron nun einen Premier aus den Reihen der Linken ernennen wird. In einer Erklärung aus dem Präsidentenpalast hieß, Macron werde sich erst äußern, wenn die Zusammensetzung des Parlaments fix ist, also alle Stimmen ausgezählt sind. Die Nationalversammlung kann die Regierung stürzen. Bei einem Premier aus dem linken Lager müsste Macron die Macht teilen. Der Premier würde wichtiger. Das Linksbündnis ist in sich gespalten und vertritt bei vielen großen politischen Themen sehr unterschiedliche Positionen.

Aus dem Regierungslager kamen bereits Absagen an einen Premierminister der Linken: Niemand könne vorerst sagen, dass er gewonnen hat, betonte Innenminister Gérald Darmanin - „vor allem nicht Monsieur Mélenchon“. Macron will vorerst keine Entscheidungen treffen und die Zusammensetzung der neuen Nationalversammlung abwarten, wie es aus dem Elysée-Palast hieß.

Für den unpopulären Macron ist das Ergebnis überraschend weniger vernichtend als erwartet. Macron scheiterte zwar mit dem Versuch, die relative Mehrheit seiner Mitte-Kräfte mit den Neuwahlen auszubauen. Immerhin könnte seine Fraktion aber noch vor Le Pens Rechtsnationalen zweite Kraft werden und mit den Linken in Regierungsverantwortung sein. Sollte keines der Lager eine Regierungsmehrheit finden, könnte die aktuelle Regierung als Übergangsregierung im Amt bleiben oder eine Expertenregierung eingesetzt werden.

Frankreich droht in einem solchen Szenario politischer Stillstand. Eine erneute Auflösung des Parlaments durch Macron und Neuwahlen sind erst im Juli 2025 wieder möglich.

Am Platz der Republik feiern Menschen den Wahlsieg der Linken.
Am Platz der Republik feiern Menschen den Wahlsieg der Linken.APA / AFP / Geoffroy Van Der Hasselt

Hohe Wahlbeteiligung für französische Verhältnisse

Schon am Nachmittag hatte sich die höchste Wahlbeteiligung seit über vier Jahrzehnten abgezeichnet. Um 17 Uhr lag die Wahlbeteiligung bei der zweiten Runde bei 59,71 Prozent, wie das Innenministerium am Sonntag in Paris mitteilte. Dies ist die höchste Wahlbeteiligung seit der Parlamentswahl von 1981, die auf die Wahl des Sozialisten François Mitterrand zum Präsidenten folgte. In der ersten Runde der Parlamentswahl vor einer Woche hatte die Wahlbeteiligung um 17.00 Uhr bei 59,39 Prozent gelegen und damit auch sehr hoch.

Die abschließende Wahlbeteiligung in der zweiten Runde könnte mehreren Umfrageinstituten zufolge bei 67 bis 67,5 Prozent liegen - nach 66,7 Prozent in der ersten Runde. Das wäre eine Rekordzahl seit den vorgezogenen Parlamentswahlen von 1997.

510 Mandate wurden vergeben, 76 waren schon fixiert

Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte die Neuwahl nach dem Triumph des RN bei der Europawahl am 9. Juni ausgerufen. Da in der ersten Runde am 30. Juni bereits 76 Mandate vergeben wurden, waren in der Stichwahl nur die Wähler der verbleibenden 501 Wahlkreise aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Alle Kandidaten, die in der ersten Runde die Stimmen von mindestens 12,5 Prozent der eingeschriebenen Wähler bekommen haben, durften an der Stichwahl teilnehmen. Viele der Drittplatzierten hatten sich aus taktischen Gründen aber aus der Wahl zurückgezogen

Der RN und seine Verbündeten hatten in der ersten Wahlrunde 33 Prozent der Stimmen geholt. Das links-grüne Wahlbündnis Neue Volksfront lag mit 28 Prozent auf dem zweiten Platz, gefolgt vom Regierungslager mit rund 20 Prozent. Durch den taktischen Rückzug von mehr als 200 Kandidaten der Neuen Volksfront und aus dem Regierungslager nach der ersten Wahlrunde sollte eine absolute Mehrheit des RN verhindert werden. Eine Strategie, die aufgegangen sein dürfte. Es ist allerdings nicht abzuschätzen, wie viele Wähler tatsächlich den Wahlempfehlungen jener Kandidaten folgten, die sich zurückgezogen haben, um RN-Kandidaten auszubremsen. Entscheidend für das Wahlergebnis ist nicht der Anteil an den Gesamtstimmen, sondern die Zahl der gewonnenen Wahlkreise. (APA/Ag./Red.)

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