Tag der Trauer

Die Rakete, die das Kinderkrankenhaus in Kiew traf

Der Schauplatz der Katastrophe mitten im Kiew. Ein Trakt des Okhmatdyt-Krankenhauses ist zerstört.
Der Schauplatz der Katastrophe mitten im Kiew. Ein Trakt des Okhmatdyt-Krankenhauses ist zerstört.Reuters / Thomas Peter
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Ein Video zeigt, wie die Rakete auf Kiew fällt, genau in Richtung Okhmatdyt-Kinderkrankenhaus. Russland behauptet, es handle sich um eine US-Rakete oder abgefangene Raketentrümmer. Das sehen die ukrainische Regierung, Experten und auch UNO-Vertreter anders. In Kiew ist für heute ein Trauertag angesetzt.

Den Bruchteil einer Sekunde ist sie in diversen Videos zu sehen, deren Echtheit nur schwer zu überprüfen ist: Jene Rakete, die das Kinderkrankenhaus in Kiew am Montag getroffen hat. Der Einschlag selbst ist nicht zu sehen. Er hatte dramatische Folgen. Hunderte Retter und Freiwillige suchen in den Trümmern weiter nach Verschütteten. Gerettete krebskranke Kinder an Infusionsgeräten saßen auf dem Schoß ihrer Mütter auf der Straße. In der Klinik wurden zwei Erwachsene getötet, darunter eine Ärztin. Über den verheerenden Angriff will am Nachmittag der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York beraten. 

Die Ukraine geht von einem gezielten Angriff aus, weil die Videobilder einen durch nichts gehinderten Anflug eines Marschflugkörpers auf das Gebäude zeigen. Das russische Militär spricht dagegen ohne Beweise vom Fehleinsatz einer ukrainischen Luftabwehrrakete. Die Erschütterung der Ukrainer über den Angriff tat das Moskauer Militär als „Hysterie des Kiewer Regimes“ ab.

Selenskij macht Russland verantwortlich, Russland die ukrainische Flugabwehr

Einen Beweis für seine Behauptung legte der Sprecher des Präsidialamtes in Moskau, Dmitri Peskow, nicht vor. „Ich bestehe darauf, dass wir keine Angriffe auf zivile Ziele vornehmen“, bekräftigt Peskow. Es handle sich um ein Geschoß vom Typ Nasams, erklärt die Sprecherin des Außenministeriums in Moskau, Maria Sacharowa. Nasams ist ein modernes Boden-Luft-Raketenabwehrsystem, das die USA zusammen mit Norwegen entwickelt haben. Nach ukrainischen Angaben handelt es sich dagegen um eine russische Lenkwaffenrakete vom Typ Kh-101 Kalibr. Genaugenommen handelt es sich dabei um einen Marschflugkörper und keine Rakete.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij verurteilte den russischen Raketenangriff auf das Kinderkrankenhaus, das Teil einer Reihe von Angriffen im ganzen Land war. Nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe wurden bei dem Angriff 30 von 38 Raketen abgefangen, wobei die übrigen Raketen und auch herabfallende Trümmerteile schwere Schaden anrichteten. In der Hauptstadt wurden Bilder von Menschenmengen vor dem Okhmatdyt-Kinderkrankenhaus im Stadtzentrum veröffentlicht, die versuchten, Trümmer vom Tatort zu entfernen. Die Rakete habe ein Gebäude getroffen, in dem sich Kinder einer Dialysebehandlung unterzogen, sagte Selenskij. „Wir werden alles wiederherstellen, was von diesen Terroristen zerstört wurde“, sagte der ukrainische Präsident in Warschau auf dem Weg zum Nato-Gipfel in Washington. „Zweifellos werden wir darauf reagieren.“

„Kh-101“: Zumindest seit Jänner 2023 in der Ukraine im Einsatz

Der ukrainische Staatssicherheitsdienst teilte mit, eine vorläufige Untersuchung habe ergeben, dass die russischen Streitkräfte bei dem Angriff auf das Krankenhaus einen Marschflugkörper vom Typ X-101 eingesetzt hätten. Das „X“ in der Typenbezeichnung ist kyrillisch, die übliche Transkription ist „Kh-101“ oder auch „Ch-101“. Durch abgestürzte Kh-101 weiß man, dass solche Raketen mindestens seit Jänner 2023 von Russland in der Ukraine eingesetzt werden. Die Kh-101 wurde bei der russischen Invasion in der Ukraine in großem Umfang eingesetzt. Gegenüber der „New York Times“ identifizierte Fabian Hoffmann, ein auf Raketentechnologie spezialisierter Forscher an der Universität in Oslo, die Waffe als russische „Kh-101“-Rakete. Hoffman wies auch darauf hin, dass die Rakete nicht von einem ukrainischen Luftabwehrsystem getroffen wurde und „völlig intakt war, ohne sichtbare Schäden am Rumpf“.

Das Kinderkrankenhaus ist auch nach Einschätzung der Vereinten Nationen „sehr wahrscheinlich“ von einer russischen Rakete beschossen worden. Videoaufnahmen zeigten, dass die Klinik „direkt“ von einem in Russland gestarteten Marschflugkörper vom Typ Kh-101 getroffen worden sei, sagte die Leiterin der UNO-Mission zur Beobachtung der Menschenrechte in der Ukraine, Danielle Bell, am Dienstag in Genf. Es sei jedoch eine eingehende Untersuchung des Vorfalls erforderlich. Analysten gehen davon aus, dass eine der Raketen, die von der westlichen Seite in die Stadt eindrang, nachdem sie südlich von Kiew gekreist war, um der ukrainischen Luftabwehr auszuweichen, versehentlich vom Kurs abkam. Zwischen dem Rüstungsunternehmen Zavod Artem und dem Krankenhaus liegt eine Entfernung von etwas mehr als einem Kilometer.

Tag der Trauer

Der Raketenbeschuss über Kiew war der erste derartige Angriff seit Ende März. Nach Angaben der ukrainischen Rettungsdienste gingen in sieben Stadtteilen Raketentrümmer nieder, die Schäden verursachten und ein Geschäftszentrum, ein Krankenhaus, Privathäuser, Garagen und Autos in Brand setzten.

In Kiew ist für heute ein Trauertag angesetzt. Aus den Trümmern eines beschädigten Wohnhauses in Kiew wurde in der Nacht ein vermisster Bub tot geborgen. Durch die Einschläge mehrerer Raketen und Marschflugkörper in der Dreimillionenstadt wurden nach letztem Stand 27 Menschen getötet, darunter 4 Kinder, teilte der Katastrophenschutz Kiews nach dem verheerenden russischen Luftangriff vom Montag mit. 117 Menschen wurden demnach verletzt. Weitere Opfer gab es im Gebiet Dnipropetrowsk im Süden. (APA/Ag./Red.)

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