Trinkwasser

„Forever Chemicals“ auch im Trink- und Mineralwasser

Auch Trinkwasser kann Chemikalien enthalten - wie groß die Gesundheitsgefahr ist, darüber sind sich Experten uneins.
Auch Trinkwasser kann Chemikalien enthalten - wie groß die Gesundheitsgefahr ist, darüber sind sich Experten uneins.Thomas Trutschel
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Das Ergebnis europaweiter Tests ist ernüchternd: In den meisten Proben können Chemikalien nachgewiesen werden, die den PFAS zugerechnet werden. Welche Folgen dies für die Gesundheit haben kann, ist nicht geklärt.

Sowohl bei Chemikern, als auch bei Umweltschützern ist „PFAS“ mehr als ein Zisch-Laut, sondern der Hinweis auf ein ernsthaftes, und bisher stark unterschätztes Problem für Umwelt und Gesundheit. Die Abkürzung steht für „Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen“, von denen es Tausende gibt. Sie sind seit Jahrzehnten im Einsatz – etwa in der Industrie, aber auch in alltäglichen Produkten (etwa als Beschichtung von Lebensmittel-Verpackungen). Die Universalität der Einsatzmöglichkeiten ist gepaart mit extrem ausgeprägter Langlebigkeit, was PFAS den Beinamen „Forever Chemicals“ eingetragen hat.

Während Experten mittlerweile viel über die Gefährlichkeit von PFAS wissen, sind die Kenntnisse über dem PFAS-Abbauprodukt TFA, „Trifluoracetat“, begrenzt. Vor diesem Hintergrund haben Umweltorganisationen aus elf europäischen Ländern, insbesondere „Global 2000“ und „Pesticides Action Network“, Wasserproben gezogen – vor einigen Monaten in Fließgewässern und Seen, und nun in Leitungs- und auch Mineralwasser. Konzentriert haben sich die Untersuchungen auf die Konzentration von TFA.

Fünf Tropfen im Olympia-Schwimmbecken

Bei den 34 öffentlichen und zwei privaten Quellen, die beprobt worden sind, sind lediglich zwei völlig unbedenklich, indem keine Belastung festgestellt werden konnte. Die Nachweisgrenze liegt bei Werten unter 20 Nanogramm pro Liter. Eine davon – jene in Hamburg – lag in unmittelbarer Nähe eines sehr stark belasteten Trinkwasser-Vorkommens. In Österreich gibt es einen Ausreißer in Oberösterreich. Im Wiener Trinkwasser wurden TFA festgestellt, die Konzentration ist allerdings vergleichsweise gering. Der Durchschnittswert aller 36 Trinkwasserproben liegt bei 740 ng/l.

Deutlich niedriger fällt die Konzentration von TFA in Mineralwässern aus (mit Ausnahme eines Ausreißers). Die durchschnittliche TFA-Kontamination in Mineral- und Quellwasser lag bei einem Durchschnittswert von 278 ng/l. Die Mineralwasser-Marken werden vorerst nicht veröffentlicht. Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchemiker von Global 2000: „Die Auswahl der Mineralwässer war zufällig, außerdem hatten wir keine Möglichkeit für Kontroll-Untersuchungen.“ Man bleibe aber am Ball und sei mit den Mineralwasser-Herstellern in engem Kontakt.

100 Nanogramm insgesamt ist der Zielwert der europäischen Wasserversorger für wenig untersuchte Chemikalien; aber auch der Grenzwert für Pestizidwirkstoffe und ihre „relevanten“ Wirkstoffe.

Wie viel sind 100 Nanogramm? Sehr wenig. Das bedeutet fünf Tropfen in einem Schwimmbecken, das den Vorgaben für olympische Spiele entspricht. Der in den Tests der NGOs ermittelte Durchschnittswert von 740 Nanogramm TFA entspricht 44 Tropfen im Olympia-Becken.

„Abbauprodukte wurden unterschätzt“

Die US-Umweltbehörde hat für zwei Säuren, PFOS und PFOA, einen Grenzwert von vier Nanogramm verordnet – „mit dem Zusatz, dass aus gesundheitlicher Sicht eine „Nullexposition“ das Ziel sein sollte,“ berichtet Burtscher-Schaden; er ist Koordinator der Studie. In Schweden liegt der Grenzwert für die als am gefährlichsten eingestuften vier PFAS-Verbindungen ebenfalls bei vier Nanogramm, ebenso wie in Flandern und bei nur zwei Nanogramm in Dänemark.

Burtscher-Schaden meint, dass „viele, wenn nicht alle PFAS“, die angemessen untersucht wurden, als „Nicht-Schwellenwert-Chemikalien“ betrachtet werden müssen. Die Beurteilung für TFA ist für ihn eindeutig, die Abbauprodukte wurden unterschätzt, als sie als „nicht relevante Metaboliten“ eingestuft worden sind“, so Burtscher-Schaden.

Die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) habe „in höchst unverantwortlicher Weise versäumt“, TFA als relevanten Metaboliten einzustufen. „Hätten die politischen Entscheidungsträger bei der ersten Zulassung von PFAS-Pestiziden in den 1990er Jahren einen solchen Zielwert von 100 Nanogramm für TFA festgelegt, wäre der chemische Zustand der europäischen Gewässer heute viel besser.“

In der Arbeit, welche die NGOs vorlegen, wird auch auf mehrere Studien verwiesen, unter anderem auf jene in den USA, bei der belegt wird, das TFA auch im Blut von Menschen nachgewiesen worden sei. Zudem sei auf Ersuchen der EFSA eine Studie mit Kaninchen durchgeführt worden, wobei „TFA pränatal verabreicht worden ist. Die Kaninchen sind mit schweren Geburtsfehlern zur Welt gekommen.“

Für Burtscher-Schaden sind zwei Konsequenzen jedenfalls klar: Es müsste sowohl „ein sofortiges Verbot von PFAS-Pestiziden verhängt werden, ebenso ein Verbot von F-Gasen, die als Kühlmittel verwendet werden. Die Verwendung von PFAS müsse rasant eingeschränkt werden, ebenso müsse ein Grenzwert für sicheres Trinkwasser für TFA auf EU-Ebene definiert werde. Und schließlich müssten Qualitätsnormen für TFA für Gewässer, die unter die Wasserrahmenrichtlinie fallen, festgelegt werden.

„Landeshauptleute müssen sofort agieren“

Burtscher-Schaden geht noch einen Schritt weiter: „In Österreich sind die Landeshauptleute die einzigen, die hier sofort etwas bewirken können.“ Deshalb fordert er, dass die Landeshauptleute sofort agierten und dass ein sofortiges Verbot von PFAS-Pestiziden und von F-Gasen verhängt werde. „Nur so können wir verhindern, dass Trinkwasser weiter verunreinigt wird.“ Und Sarah Johansson (Europäisches Umweltbüro) fordert, dass die Kosten für die Reinigung von PFAS und den Abbauprodukten von den Verursachern gezahlt werden müssen - „nicht von der Allgemeinheit, von uns Steuerzahlern“.

Vertreter der Landwirtschaft argumentieren freilich seit langem, dass die Belastung der Trinkwasservorkommen nicht durch den Einsatz von Pestiziden stammt. Burtscher-Schaden: „Das ist eine Behauptung, die von Erkenntnissen etwa des deutschen Umweltbundesamtes eindeutig widerlegt wird.“ Und außerdem seien die Belastungen dort hoch, wo die Landwirtschaft besonders intensiv betrieben wird. Der Umweltchemiker streicht außerdem heraus, dass „die meisten Landwirte gar nicht wissen, dass der Einsatz von Pestiziden bedeutet, dass dadurch PFAS in den Boden und weiter ins Grundwasser gelangen und daraus auch die TFA-Belastung entsteht.“

Unterdessen scheint Bewegung in die Beurteilung der TFA zu kommen: In Deutschland wird im Umweltbundesamt an einer Einstufung gearbeitet, es gebe ein Dossier, heißt es, es gebe neue Tests und wissenschaftliche Ausschüsse diskutieren das Thema intensiv.

„Wir müssen das wieder los werden“

Und Manfred Eisenhut, Trinkwasser-Experte der „Österreichischen Vereinigung für das Gas- und Wasserfach“ (ÖVWG), Dachverband für 291 Wasserversorger, meint: „TFA ist ein unerwünschter Stoff. Die Konzentrationen sind derzeit von einer Gefährdungsstufe noch weit entfernt, aber solche Substanzen haben im Trinkwasser nichts verloren. Es muss entfernt werden! Und zwar nach dem Verursacherprinzip – es darf also nicht die Bevölkerung, es dürfen nicht die Wasserwerke zur Kasse gebeten werden, sondern die Verursacher!“. Eisenhut kritisiert, dass die Stoffströme unzureichend bekannt seien und erwartet sich Druck auf die Politik, die klären müsse, wie derartige Substanzen in den Umweltkreislauf gelangen können. „Wir müssen schauen, dass wir das wieder loswerden.“

>> Petition von Global 2000, um PFAS zu verbieten

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