Brüssel-Briefing

Frankreich, Europameister der EU-Skepsis

Mit Europa ist bei den Franzosen politisch nichts zu gewinnen. Das musste auch Präsident Macron nach sieben Jahren einsehen.
Mit Europa ist bei den Franzosen politisch nichts zu gewinnen. Das musste auch Präsident Macron nach sieben Jahren einsehen.APA / AFP / Ludovic Marin
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Wie auch immer die nächste französische Regierung aussehen wird: großen europäischen Kompromissgeist darf man von ihr nicht erhoffen. Denn die Franzosen hegen seit Jahren ein tiefes Misstrauen gegenüber der Union.

Emmanuel Macron ist stets für eine originelle Sicht auf die Welt gut. Am Mittwoch wandte er sich mit einem offenen Brief an die Franzosen, und erklärte darin unter anderen, dass letztlich niemand die vorgezogenen Parlamentswahlen gewonnen habe. Für seine zentristische, proeuropäische Sammelbewegung „Ensemble“ gilt das zweifellos. Aber was bedeutet diese Wahl für die EU?

Eines kann man schon jetzt mit großer Gewissheit festhalten: Macron wird die neue Regierung nicht mehr nach freiem Gutdünken zusammenstellen und einzelne Mitglieder willkürlich auswechseln können. Welche Koalition auch immer sich nun in der neu gewählten Assemblée nationale zusammenwürfeln wird, ist offen, doch sie wird sich die zutiefst europaskeptische Stimmung im Land zu Herzen nehmen müssen – nicht zuletzt, um dem rechtsextremen Rassemblement National und seiner Frontfrau Marine Le Pen nicht zusätzliche Munition für die Präsidentschaftswahl in drei Jahren zu geben.

Wie tief der Graben ist, der die Franzosen emotional von der EU trennt, hat eine der jüngsten Eurobarometer-Umfragen detailliert vermessen. Das Standard-Eurobarometer Nummer 101 erfasste im April und Mai, also unmittelbar vor der Europawahl, die öffentliche Meinung in allen 27 Mitgliedstaaten.

Schwache EU-Kenntnis

Gleich mehrere Indikatoren schlagen da im Falle Frankreichs tiefrot an. Nur 34 Prozent der Franzosen beispielsweise vertrauen der EU. 54 Prozent misstrauen ihr. Das ergibt den letzten Platz unter allen 27 Mitgliedstaaten. Auch die Kenntnis der Funktionsweise der EU ist in Frankreich äußerst schwach. Auf die Frage, ob es stimme, dass die Europaabgeordneten direkt gewählt werden, antworteten nur 57 Prozent der Franzosen richtigerweise mit ja. 20 Prozent hatten keine Ahnung, 23 Prozent gaben die falsche Antwort. Auch das ist das schlechteste Resultat in der EU. Wobei die Franzosen sich ihrer weit verbreiteten Unkenntnis zumindest bewusst sein dürften. Die Frage, ob sie verstünden, wie die EU funktioniert, verneinten 43 Prozent der Franzosen, und hielten damit mit den Italienern die rote Laterne.

Eine Reihe an Fragen dieses Eurobarometers untersuchte allgemeine und persönliche Wohlstandsaspekte. Auch hier zeigte sich die Distanz und Skepsis der Franzosen gegenüber der Union. Die wirtschaftliche Situation in der EU bewerteten 51 Prozent von ihnen als schlecht, 29 Prozent als gut, was den negativsten Saldo ergab. Die Arbeitsmarktlage im eigenen Land bewerteten nur Spanier, Italiener, Portugiesen und Griechen schlechter als die Franzosen: der Club Med kommt also offenbar nicht aus seiner Beschäftigungsmisere heraus.

Kein anderes Volk schätzt darüber hinaus die Möglichkeiten der EU, die Wirtschaft in Europa zu schützen, so unzureichend ein wie die Franzosen. 33 Prozent antworten, die Union habe nicht die nötigen Werkzeuge und Macht, um die wirtschaftlichen Interessen Europas in der Welt zu verteidigen. 53 Prozent bejahen dies.

Nein zu Mercosur und Erweiterung

Hier bietet sich eine Annahme über die politische Linie der nächsten französischen Regierung an. Sie wird im ordnungspolitischen Richtungsstreit zwischen Befürwortern des Freihandels und Anhängern des Protektionismus noch stärker zum zweiten Lager zählen, als es Macron und seine bisherigen Regierungen ohnehin schon taten. Insofern ist nicht zu erwarten, dass Frankreich sein Veto gegen das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay aufgeben wird.

Auch die Strafzölle gegen chinesische Elektroautos dürften von Frankreich gegen deutschen, schwedischen und ungarischen Unmut verteidigt werden. Generell wird Paris neuen Freihandelsabkommen mindestens so skeptisch gegenüber stehen, wie es das bisher schon tut. Auch für die Westbalkanstaaten und ihre Beitrittsambitionen verheißt der politische Wandel in Paris vorerst nichts Gutes. Die Ukraine wird wohl weiterhin militärische Unterstützung aus Frankreich erhalten, doch wird Frankreich sich nicht ins Zeug dafür werfen, die Beitrittsverhandlungen nach den sechs Monaten der Blockade während Ungarns EU-Ratsvorsitz Ende dieses Jahres voranzutreiben.

Insofern muss man Macron widersprechen: die vorgezogene Parlamentswahl hat sehr wohl Gewinner und Verlierer gebracht.

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